Das Ungewisse umarmen - Was Forscher über das Morgen sagen

Blick in das Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Experimentierforum Futurium in Berlin. Foto: Jörg Carstensen/Dpa
Blick in das Ausstellungs-, Veranstaltungs- und Experimentierforum Futurium in Berlin. Foto: Jörg Carstensen/Dpa

BERLIN (dpa) - Zukunftsthemen machen die Runde. Junge Klimaschützer sorgen sich ums Morgen, neue Bücher und das neue Museum Futurium ringen um Visionen. Ein Trend: Viele reden nicht nur einfach über die Zukunft, sondern über Zukünfte - im Plural.

Das Paar führt solche Gespräche öfter, diesmal knistert es heftig. Beruf, Familie, Wohnung, sie reden über gemeinsame Pläne. «Das Wichtigste über die Zukunft weiß doch jeder», leitet er seine Gedanken ein. Die Freundin hebt den Kopf, nimmt die Hand in den Nacken, blickt erwartungsvoll. Er grinst: «Die Zukunft ist total offen.» Für ihn heißt das: Sie bietet Chancen. In ihrem Gesicht spiegelt sich Unzufriedenheit. Viele Optionen erschweren eine Entscheidung, findet sie. Offenheit lässt sich schwer steuern.

Doch stimmt die Idee von der offenen Zukunft überhaupt? Oder bestimmt unser heutiges Tun nicht vielmehr schon stark mit, wie das Morgen aussehen kann? Diese Frage stellt sich im Privaten, zum Beispiel bei der Wahl des Partners, des Berufs, des Wohnorts. Und ebenso in Politik, Wirtschaft und bei großen Klimadebatten: Wenn wir heute die Umwelt nicht schützen, ist sie dann 2050 noch zu retten?

Die Debatte über unsere Zukunft, über die Rolle von Zufall, Fehlern und Selbstbestimmung beim Weg ins Morgen, hat Konjunktur. In Museen und neuen Büchern, in Meinungsumfragen zu Ängsten und Visionen, bei Kongressen - Experten leuchten in die verschiedensten Ecken. Die Autoindustrie möchte mit Elektromotoren «zukunftsfähig» werden. Die Schülerproteste nach dem Vorbild der jungen Schwedin Greta Thunberg tragen es im englischen Namen: «Fridays for Future», Freitage für die Zukunft.

«Heute sprechen wir viel mehr über Zukunft, als das vielleicht noch vor zehn Jahren der Fall war», urteilt Stefan Brandt. Im blauen Anzug, mit weißem Einstecktuch und blauer Krawatte, sitzt der 43-Jährige in seinem Büro hoch oben im Futurium. So heißt das neue Museum, das die Bundesregierung mit auf den Weg gebracht hat. Brandt leitet das Haus nah an der Spree und am Berliner Hauptbahnhof seit gut zwei Jahren.

Die Idee zu dem futuristisch-kastigen Ausstellungsort mit der dunklen Fassade aus 8000 Kassettenelementen ist wesentlich älter - und war zum Start deutlich anders. «Die Ausrichtung des Hauses hat sich im Laufe der Zeit geändert. Am Anfang stand erst einmal die Idee, eine Art Showroom für die deutsche Industrie und Forschung zu errichten», berichtet der Musikwissenschaftler Brandt. «Diese Idee wurde dann Schritt für Schritt weiterentwickelt.» Zukunft - das zeigt sich daran - lässt sich aktuell nicht ungetrübt unter dem Label Technik und Fortschritt verkaufen.

Zur Öffnung im September präsentieren die Macher ihr Haus eher als Ort des Wandels, der Fragen und der Begegnung denn als Schau mit Zielmarken für künftige Generationen. Zwar gibt es auch hier den Einsatz von Robotern, Künstlicher Intelligenz und neuen Baustoffen aus der Natur, etwa aus Pilzen, zu bestaunen. Doch im Zentrum, so betont Brandt, stehe der Mensch und das Thema: «Wie wollen wir leben?» Und er verweist darauf, dass auch in Nürnberg gerade eine Zukunftsschau aufgebaut wird. 2020 soll sie als Zweigstelle des Deutschen Museums öffnen.

GEBALLTE LADUNG GEMISCHTE GEFÃœHLE

«Ich glaube, dass wir in einer kritischen Phase sind. Da sollte man sich auch nicht in die Tasche lügen», antwortet der Futurium-Direktor auf die Frage, ob er eher Optimismus oder Vorsicht spüre. «Viele Menschen sind sehr verunsichert und blicken derzeit nicht gerade optimistisch in die Zukunft. Sie fühlen sich überfordert, vielleicht auch von der Vielfalt der Gestaltungsoptionen, aber auch von der gefühlten Machtlosigkeit, was Zukunft angeht.»

Die geballte Ladung negativer Gefühle interpretiert Brandt als Zeichen der Sehnsucht vieler, mitzureden und das Steuer des eigenen Lebens fester in der Hand zu halten. Das bietet ihm zugleich die Vision, was sein Haus werden soll: «Wir brauchen wieder so ein bisschen etwas wie ein "Lagerfeuer", man kann auch sagen Heimathafen, um sich über das Thema Zukunft konzentriert austauschen zu können.»

Für einige Hunderttausend Museumsbesucher mag das eine Chance sein. Ein größerer Teil, der es nicht so schnell nach Berlin schafft, muss mit Unsicherheiten anders umgehen. «Eine Mehrheit der Bundesbürger blickt mit zunehmender Sorge auf die Zukunft», fasst Ulrich Reinhardt Studienergebnisse seines Hamburger Instituts zusammen.

«Die Gründe hierfür sind zahlreich. Von der Angst vor Altersarmut oder Arbeitsplatzverlust über das Gefühl der Überforderung durch die digitale Entwicklung bis hin zu ungelösten Fragen der Migration, des Klimawandels oder der Sicherheit.» Reinhardt, 48, ist Leiter der Stiftung für Zukunftsfragen, die seit Jahrzehnten die Bürger befragt.

«Aus wissenschaftlicher und statistischer Sicht lassen sich die meisten Ängste und Sorgen jedoch nicht bestätigen», gibt der Erziehungswissenschaftler und Psychologie zu bedenken. «So waren beispielsweise die Lebensqualität und der Lebensstandard niemals besser, unsere Sozialabsicherung ist mit die beste der Welt, und selbst die Wahrscheinlichkeit eines Krieges war nie geringer als derzeit.» Berechtigt sei dagegen die Angst vor dem Klimawandel.

Früher sah die Zukunft zwar nicht immer rosiger aus. Aber der Umgang war einfacher. Historisch galt sie lange als vorbestimmt: etwa von Göttern, Sternen oder von der sozialen Schicht, in die man geboren wurde. Manche verschoben auch die Hoffnung auf Erlösung auf die Zeit nach dem Tod. Ideen vom Glück im Sozialismus oder dem Heil durch technischen Fortschritt ließen Utopien greifbar erscheinen.

Die Zukunftsforscher der vergangenen Jahrzehnte konnten sich zwar Gehör verschaffen, lagen aber mit Prognosen oft daneben: «Es gab Vorstellungen, dass der Transrapid unsere Welt verändert. Hat er bekanntlich nicht», resümiert Michael Carl, 50, und selbst Mitglied der Prognosezunft. «Es gab Vorstellungen, wofür Atomkraft alles gut ist. Heute wird man sagen müssen: Zum Glück haben sich viele Dinge nicht materialisiert. Atombetriebene Autos etwa - und was nicht alles in Studien prognostiziert wurde.» Sein Fazit: «Wer nur ein Zukunftsbild von einer einzelnen Technologie abhängig macht, riskiert viel.»

VIELE TRENDS LAUFEN GLEICHZEITIG

Heute muss sich vielmehr jeder mit der Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Trends arrangieren: Etwa dass intelligente Computer unser Einkaufsverhalten vorhersagen sollen, während man merkt, dass selbst der tägliche Wetterbericht wieder mal daneben liegt.

In jüngerer Zeit erscheint die Beschäftigung mit Zukunft sogar noch komplizierter. Globalisierung, Digitalisierung und die gefühlte Beschleunigung des Alltags - all das hinterlässt Spuren. «Unsere Welt war sicher wenige Jahrzehnte zurück sehr viel geradliniger. Da waren Dinge einfacher vorherbestimmt oder vorher zu bestimmen», sagt Michael Carl und ergänzt mit Blick aufs Berufsleben: «Da konnte ich mich für etwas entscheiden, habe etwas gelernt und habe das dann 40 Jahre gemacht. Das ist vorbei.»

Carl, der länger beim 2b Ahead ThinkTank war, hat sich 2019 selbstständig gemacht. Sein Mini-Unternehmen in Leipzig trägt den Namen Carl Institute for Human Future. Er berät Firmen, hält Vorträge. «Sprechen Sie mal mit einem 18-Jährigen darüber, wie er sich seine berufliche Zukunft vorstellt. Das ist erheblich komplexer als vor 30 Jahren», sagt er. «Ich glaube, dass es ein wesentlicher Lernschritt ist, in unterschiedlichen Zukünften zu denken - sowohl gesellschaftlich als auch persönlich.»

MAN SPRICHT VON MEHR ALS EINER ZUKUNFT

Damit stellt Carl den Begriff in den Raum, der gerade manche Debatte prägt: Man spricht nicht von DER Zukunft, sondern von Zukünften - im Plural. Das Berliner Futurium etwa beschreibt sich auch als «Haus der Zukünfte». Dieser Plural wird im Duden als «selten» eingestuft. Das inzwischen häufige Auftauchen der Mehrzahl dürfte ein Signal sein: Das Morgen ist keine große Einbahnstraße, sondern ein Wegenetz mit vielen Kreuzungen, die alle eine Entscheidung verlangen.

Wer seinen Zukunftsweg steuern will, hat es nach dieser Logik nicht leicht. Eben mal ein neuer Partner, ein neuer Job, eine neue Technik zum Einfangen des klimaschädlichen CO2 - viele Experten bezweifeln, dass die Veränderung einzelner Bedingungen der Knackpunkt für eine bessere Zukunft sein kann. Im Kleinen wie im Großen.

Prognosespezialist Matthias Horx zum Beispiel hat ein neues Buch auf den Markt gebracht. «15 ½ Regeln für die Zukunft» heißt es. Seit mehr als einem Vierteljahrhundert macht Horx mit Trendvorhersagen Schlagzeilen. Sein 350-Seiten-Werk kann als eine Art Bilanz gelesen werden. Viele Prognosen seien Quatsch, betont er zum wiederholten Mal, «Future Bullshit».

Lange seien Trends einfach in die kommende Zeit fortgeschrieben worden. Viel zu geradlinig, ohne den Gegentrend einzukalkulieren. Und selbst, seit man kompliziertere Modelle anwende, bleibe ein Kernpunkt außen vor: «Die Zukunft findet nicht getrennt von uns statt. Sie kommt nicht "über uns" wie eine Lokomotive, die aus dem Tunnel rast», beschreibt er das, was er erst lernen musste.

Unser Handeln und Denken im Heute sei von Anfang an ein wichtiger Teil des Morgen: «Wir sind verantwortlich dafür, welchen Berufsweg wir nehmen, welchen Partner wir heiraten zum Beispiel», sagt Horx im Gespräch.

ZUKUNFTSDEUTER HORX: MANCHE SIND HILFLOS

«In einer individualisierten Welt wird diese Verantwortung aber auch zur Last. Früher wurden die Menschen verheiratet. Und sie waren Teil einer Klasse, einer Schicht, einer Hierarchie, die ihnen sagte, wo es langgeht.» Und weiter: «Viele Menschen sehnen sich diesen Zustand der Unmündigkeit heute wieder herbei, die Psychologie spricht auch von der "Erlernten Hilflosigkeit".»

Wie man mit komplizierten Zukunftsfragen umgeht, ist Teil des Jobs von Sylvia Hustedt. Sie gehört zur Leitung des Kompetenzzentrums Kultur- und Kreativwirtschaft des Bundes in Berlin. Ihr Team möchte helfen, Deutschland innovativer zu machen. Dafür sollen Kultur-Kreative und Unternehmen enger zusammenrücken.

Wenn es darum geht, Neues in die Welt zu bringen, setzt sie auf eine besondere Methode. Sie heißt Effectuation - übersetzt «Ausführung». Sie kommt aus dem Unternehmensbereich, kann aber auch im Privaten manches bewirken.

«Normal planen viele die Zukunft nach kausaler Logik. Sie legen als erstes bestimmte Ziele fest und suchen den besten Weg, um dort hinzukommen», sagt die Wirtschaftswissenschaftlerin. Sie sitzt auf der Terrasse des Fiction Forums, wo sich Bürger bis Ende Oktober über Zukunftstrends wie 3D-Drucker und begrünte Kunststoff-Fassaden informieren können. Beim normalen Planen werde ein Vorsatz Schritt für Schritt abgearbeitet. Das mache oft Sinn: «Zum Beispiel, wenn ich sicher bin, dass ich einen ganz bestimmen Beruf haben möchte wie Krankenschwester.»

METHODE FÃœR UMGANG MIT UNSICHERHEIT

«Aber wenn ich etwas machen möchte, was es noch gar nicht gibt, oder wenn ich unsicher bin, dann muss man mit anderen Mitteln auf die Zukunft zugehen», findet Hustedt. Der Container-Bau des Fiction Forums sei zum Beispiel mit Planungsoffenheit entstanden. Man guckt: Welche Mittel kann ich mobilisieren, was kann ich und wen kenne ich? Und legt los, setzt nur so viel ein, dass das Risiko nicht überhand nimmt. Man sucht früh Partner, die mitziehen. Der Zufall wird nicht klein gehalten, weil er alles durcheinanderbringt. Er wird geschätzt als Chance für Richtungswechsel oder zur Umkehr bei Fehlern.

«Wenn ich planerisch vorgehe und genau weiß, ich will es so und so, dann ist der Zufall eher störend. Dann macht er mir Angst», sagt Hustedt. «Aber wenn ich den Zufall als Ressource nutze, kann ich ihn, bildlich gesprochen, umarmen.» Und mir so mehr Wege offen halten: in die eine Zukunft oder in die andere.

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