Das traurige Schicksal der Lepra-Kranken in Japan

Foto: Wikipedia
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TOKIO: Es ist eines der düstersten Kapitel der Nachkriegsgeschichte Japans. Obgleich Lepra bereits seit den 1940er Jahren behandelbar ist, wurden Patienten noch bis 1996 zwangsisoliert. Der Staat hat sich inzwischen entschuldigt. Doch Diskriminierung ist weiter ein ernstes Problem.

Yasuji Hirasawa wird jenen Tag im Dezember 1941, an dem er in eine Lepra-Kolonie zwangseingewiesen wurde, nie vergessen. «Es war kalt und es wehte ein starker Wind», erinnert sich der 1927 geborene Japaner. Mit 13 Jahren hatte man bei ihm Lepra diagnostiziert. «Uns wurde gesagt, das sei eine Krankheit, die Menschen bekommen, die schlechte Dinge tun. Eine göttliche Strafe», erzählt der heute greise Mann in einem auf YouTube festgehaltenen Video vor Schulkindern. «Man behandelte uns wie Hunde und Katzen».

Hirasawa wurde fern seiner Heimat Ibaraki ins «Tama Zenshoen» in Tokio weggesperrt, eine von 13 «Sanatorien» genannten Lepra-Kolonien. Jahrzehntelang lebten er und andere Betroffene isoliert und geächtet vom Rest der Bevölkerung. Es war «wie ein Gefängnis», ohne die Möglichkeit auf Entlassung. Männer wie Hirasawa durften nur heiraten, wenn sie sich sterilisieren ließen. Wurde eine Frau doch schwanger, musste sie abtreiben. Viele änderten ihre Namen, damit ihre Angehörigen keine Nachteile im Beruf oder bei Heirat hatten.

Japans Staat und seine Gesellschaft haben Menschen wie Hirasawa zu Aussätzigen gemacht. Stigmatisiert bis an ihr Lebensende - und noch darüber hinaus. Obgleich 1941 das erste Medikament zur Behandlung entwickelt worden war, hatte Japans Regierung zwölf Jahre später ein Gesetz zur Zwangsisolation der Lepra-Kranken von 1907 verschärft. Erst 1996 wurde es abgeschafft.

2001 erklärte ein Gericht die jahrzehntelange Isolationspolitik des Staates für verfassungswidrig. «Endlich wurden wir als Menschen anerkannt», sagt Hirasawa. Japans Regierung entschuldigte sich daraufhin und begann mit Unterstützungszahlungen, sofern die Betroffenen darauf klagten. Doch viele sahen davon ab, da sie fürchteten, dass ihre Krankheit öffentlich wird. 2019 beschloss die Regierung, auch Angehörige von Lepra-Patienten zu entschädigen.

«Wie überall auf der Welt sind nicht nur die Lepra-Erkrankten, sondern auch ihre Familien von Vorurteilen und Diskriminierung betroffen», beklagt Nao Hoshino, Direktorin des auf Betreiben der Betroffenen entstandenen nationalen Lepra-Museums, das unweit des «Tama Zenshoen» als Erinnerungs- und Aufklärungsstätte dient.

Als das Isolationsgesetz abgeschafft wurde, lebten noch rund 5400 Menschen in den Lepra-Kolonien des Inselreiches. Viele Betroffene, darunter auch Hirasawa, blieben auch danach dort, viele aus Angst vor der andauernden Diskriminierung. Andere versuchten, sich wieder in Japans Gesellschaft einzugliedern, doch kehrten sie am Ende oft wieder in die Kolonien zurück. «Das Durchschnittsalter der 927 dort heute noch lebenden Menschen beträgt 87,6 Jahre», erklärt Hoshino.

Stigmatisierung und Diskriminierung, so beklagt Hoshino im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur, seien in Japan ein gesellschaftliches Phänomen, das immer dann auftrete, wenn Menschen gesundheitlichen Gefahren ausgesetzt seien. Dies hätten zum Beispiel auch Menschen aus Fukushima nach dem Atomunfall im Jahr 2011 erfahren müssen. Und auch in der Corona-Pandemie kam es zu Diskriminierungen, zum Beispiel von Menschen, die sich von einer Infektion erholt hatten.

Nur wenige der einst an Lepra Erkrankten sind bereit, über ihre Vergangenheit zu sprechen. Einer, für den der Kampf gegen Diskriminierung und Vorurteile zur Lebensaufgabe wurde, ist Hirasawa. Die Hoffnung des greisen Japaners ruht auf der jungen Generation. So hat das Lepra-Museum einige seiner in YouTube-Videos festgehaltenen Auftritte zum Beispiel vor Schulkindern auf der Museums-Webseite verlinkt. Dort erzählt er von jahrzehntelangem Leiden, klärt auf und appelliert an die Zuhörer, gesellschaftliche Missstände in Japan wie das nicht nur unter Kindern weit verbreitete Mobbing zu beenden.

Neben solchen Vorträgen gibt es in manchen der Sanatorien auch Führungen, die die Bevölkerung aufklären helfen sollen. «Da es jetzt eine Entschädigung für die Betroffenen gibt, wird das Thema jedoch inzwischen oft als Problem der Vergangenheit angesehen», beklagt Hoshino. Dabei seien Diskriminierung und Vorurteile mitnichten aus der Welt. Als nach der Fukushima-Katastrophe Menschen aus Angst vor Strahlung flüchten mussten, hätten die noch verbliebenen Bewohner der einstigen Lepra-Kolonie «Tama Zenshoen» angeboten, sie aufzunehmen. «Doch niemand kam», sagt Hoshino. Und als eine Grundschule einen Auftritt von Hirasawa plante, sei von Eltern als Bedingung verlangt worden, dass er den Kindern nicht nahe komme.

Einer der kleinen Jungen, so schildert Hoshino, habe jedoch nach Hirasawas Vortrag darauf bestanden, dem alten, von der Lepra-Erkrankung gezeichneten Mann zum Abschied die Hand zu geben. «Ich habe deinen Eltern versprochen, dass ich euch nicht berühre», sagte Hirasawa demnach. Doch der Kleine gab nicht nach. Er werde zu Hause erzählen, was Menschen wie Hirasawa Schlimmes angetan wurde, und seine Eltern überzeugen. Und so gaben sich der alte Mann und der Junge am Ende doch die Hand. Der Kleine behielt recht: «Die Eltern entschuldigten sich später», schildert Hoshino die rührende Szene.

Begegnungen wie diese geben manchen der noch lebenden Bewohner der einstigen Lepra-Kolonien ein klein wenig Hoffnung, dass sich Japans Gesellschaft ändert. Für die meisten Betroffenen kommt das rechtliche und gesellschaftliche Umdenken jedoch zu spät. Selbst nach dem Tod bleibe ihnen eine Beisetzung in der Heimat verwehrt. «Einzig der Rauch» aus den Krematorien, so erzählt Hirasawa, könne heimkehren.

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