Das Schweizer Hochseeflotten-Fiasko: Reeder vor Gericht

Foto: Pixabay
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BERN: Wer «Diavolezza» googelt, findet Schweizer Skipisten. Bei «Andermatt» erscheinen Bilder mit satten Bergwiesen und Alpenpässen. Schiffe mit so klingenden Namen befahren aber auch die Weltmeere. Die Schweiz hat eine Hochseeflotte? Ein Prozess wirft jetzt ein Schlaglicht darauf.

Die Briten sollen sich im Zweiten Weltkrieg lustig gemacht haben über die «merkwürdigste Hochseeflotte der Welt». Eine Flotte mit Heimathafen Basel, hunderte Kilometer vom Meer entfernt? Doch die Schweizer haben seit 1941 tatsächlich eine eigene Seefahrtsflagge und wurden damit zur Seefahrernation. Die Hochseeflotte wurde Jahrzehnte mit Staatsgeldern großzügig gefördert. Das Engagement ist aber zum Fiasko geworden, Steuerzahler müssen nun tief in die Tasche greifen. Ein Reeder (66) steht jetzt wegen Betrugs vor dem Wirtschaftsstrafgericht. Das Urteil wird am 9. Juli erwartet.

Ist der Reeder in einen der größten Betrugsfälle der Schweizer Geschichte verstrickt? Hat er sich mit Lügengebilden Steuermillionen für einen ausschweifenden Lebensstil erschlichen? Oder haben Beamte, mit Schifffahrtskontrakten wenig vertraut, nichts geprüft und Steuergelder fahrlässig verschwendet? Staatsanwalt Roman Sigrist forderte für den Reeder eine Haftstrafe, ging aber auch mit den Beamten hart ins Gericht. Das Schwindelsystem habe funktioniert, weil der Reeder gut verdient habe - und «die Bundesbeamten durften hin und wieder schnuppern an der aufregenden Luft der Hochseeschifffahrt». Der Anwalt des Reeders forderte Freispruch.

Die Schweizer Hochseeflotte umfasst heute noch 21 Schiffe, darunter etwa die «Diavolezza», deren Name vom höchsten Skiberg im Engadin stammt. Der Massengutfrachter ist gerade von Indien nach Südafrika geschippert. Oder die «Andermatt», benannt nach einem Berggebiet mit Alpenwiesen und -pässen, zuletzt zwischen der Ukraine und Frankreich unterwegs. Reedereien gibt es unter anderem in Zürich und Genf.

Genf, die Rhone-Stadt mit Blick auf den 4.810 Meter hohen Mont Blanc, ist übrigens Drehscheibe der internationalen Containerschifffahrt. Die kommerzielle Handelsflotte Schweizer Reeder war nach Angaben des Reederverbands STSA 2016 nach Bruttotonnage weltweit die Nummer 11, noch vor Norwegen, Frankreich und der Türkei. Allerdings fahren die wenigsten der mehr als 800 Schiffe unter Schweizer Flagge.

Die, die es tun, waren Jahrzehnte lang fein raus. Der Staat wollte die Schiffe im Kriegsfall zur Landesversorgung einsetzen. Dafür bekamen Reeder für den Flottenausbau Bürgschaften. Davon profitierte auch die SCL/SCT-Gruppe, deren Ex-Chef jetzt vor Gericht steht.

Die Finanzkrise 2008 hat die maritime Transportbranche dann in große Not gebracht. Überkapazitäten machten Reedereien in aller Welt zu schaffen. Als die Schweizer Regierung das Bürgschaftsprogramm 2016 einstellte, waren Teile der Flotte mit noch rund 40 Schiffen in bedenklicher Schieflage. Banken zogen die Bürgschaften, mindestens 300 Millionen Franken (320 Mio Euro) haben die Steuerzahler seitdem bereits für mehr als 20 Pleiteschiffe berappen müssen. Weitere Bürgschaften über 375 Millionen Franken stehen noch aus.

Die SCL/SCT-Gruppe strauchelte 2017 als erste. Deren einstiger Chef soll den Schweizer Beamten laut Anklage seit 2005 für neue Frachter fingierte Kaufverträge mit einem 20-prozentigen Aufschlag auf den wahren Kaufpreis vorgelegt haben. Mit den daraufhin gewährten Bürgschaften soll er sich höhere Kredite als nötig erschlichen und davon auf großem Fuß mit Luxusjacht, Harley-Davidson und Oldtimer gelebt haben. Verteidiger Raffael Ramel wies das zurück. Auf den Werftpreis seien noch die Kosten für die Erstausstattung gekommen, alles legal. Der Reeder fordert die Freigabe aller Vermögenswerte und eine Entschädigung für die 14-tägige Untersuchungshaft.

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