Das Rennen um den Impfstoff

​Wer findet das erste Corona-Mittel?

FRANKFURT/MAIN: Rund um den Globus ist ein Wettlauf ausgebrochen, wer den ersten Impfstoff gegen das Coronavirus entwickelt. Dem Sieger winken Milliarden-Gewinne. Doch die Herausforderungen für die Pharmabranche sind riesig.

Es ist die große Frage in der Corona-Pandemie: Wann kommt ein Impfstoff auf den Markt, der Milliarden Menschen vor der Krankheit schützen kann? Und welches Pharmaunternehmen schafft den Durchbruch? Es geht um Menschenleben, viel Geld und das Ringen um einen Vorsprung: Welches Land bekommt zuerst den Impfstoff? Ohne ein Mittel dürfte ein Alltag mit vollen Kneipen und Clubs, Fußballstadien oder großen Konzerten noch lange undenkbar sein. «Nur der Impfstoff ist am Ende die Lösung des Problems», sagte kürzlich der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Klaus Cichutek.

Längst ist in der Pharmabranche ein Rennen um einen Corona-Impfstoff entbrannt. Weltweit gibt es laut dem Verband forschender Pharma-Unternehmen (vfa) mehr als 120 Impfstoffprojekte, von kleinen Firmen wie Biontech aus Mainz oder Curevac in Tübingen bis Konzernen wie Sanofi und GlaxoSmithKline. Und in den USA berichtete schon das Biotechunternehmen Moderna von Fortschritten bei der Forschung an einem Corona-Impfstoff. Vfa-Präsident Han Steutel erwartet, dass 2021 in globalem Maßstab geimpft wird und viele Anbieter zugleich oder kurz aufeinander Impfstoffe auf den Markt bringen.

«Noch nie gab es eine konzertierte Aktion so vieler forschender Pharmafirmen», sagt auch Thilo Kaltenbach, Gesundheitsexperte bei der Strategieberatung Roland Berger. «Es ist ein Kopf-an-Kopf-Rennen.» Auch das Interesse der Politik sei immens: «Jede Regierung ist in Sorge, sie könnte unterversorgt sein.»

Kaltenbach ist optimistisch, dass schon bis Ende des Jahres ein Impfstoff gegen den Corona-Erreger SARS-CoV-2 entwickelt sein könnte. Frühestens im Frühjahr könne dann geimpft werden. Die erste klinische Studie in Deutschland führt Biontech an gesunden Patienten durch, ab Ende Juni könnten Daten vorliegen. Bei einer Zulassung könne man mit dem US-Partner Pfizer bis Jahresende Millionen Impfstoffdosen bereitstellen, sagt Biontech-Chef Ugur Sahin. Bei Curevac könnten laut Miteigner Dietmar Hopp klinische Tests im «Frühsommer» beginnen. «Wir wären also in der Lage, den Impfstoff im Herbst zu liefern.»

Doch solche Zeitpläne sind ehrgeizig. Noch vor wenigen Jahren wurde für die Entwicklung eines Impfstoffs ein Zeitraum von 15 bis 20 Jahren veranschlagt. Neue, moderne Technologien können den Prozess beschleunigen, doch nach wie vor muss die Sicherheit des Wirkstoffes bestätigt werden - möglichst ohne Nebenwirkungen.

Immerhin hat Europa gute Voraussetzungen: Die großen westlichen Impfstofffirmen haben hier 80 Prozent ihrer weltweiten Produktion. Nur wenige Pharmakonzerne wie Sanofi, GlaxoSmithKline, Pfizer und Merck & Co beherrschen den lukrativen Markt mit Impfstoffen.

Olaf Tölke, Pharmaexperte bei der Rating-Agentur Scope, glaubt aber nicht, dass schon dieses Jahr ein Impfstoff gegen das Corona-Virus vorliegt. Die Forschung sei aufwendig mit Fehlerquoten von 95 Prozent. Tölke sieht den französischen Konzern Sanofi und GlaxoSmithKline aus Großbritannien in einer guten Position. Die beiden größten Impfstoff-Spezialisten Europas peilen gemeinsam ein Mittel für die zweite Jahreshälfte 2021 an. «Es ist schwer zu glauben, dass kleine Firmen schneller sind.»

Ist ein Impfstoff gefunden, könnten Arzneibehörden relativ schnell eine Zulassung erteilen, meint Berater Kaltenbach. «Das Thema hat Priorität bei allen Behörden.» Doch selbst dann muss ein Impfstoff erst an Milliarden Menschen verteilt werden - eine immense Aufgabe, meint die Weltgesundheitsorganisation (WHO).

Zudem drohen nationale Streitigkeiten um den ersten Zugriff. Einen Vorgeschmack gab jüngst Sanofi. Nach einem Interview von Generaldirektor Paul Hudson, der den USA als Finanzierungspartner die größte Vorausbestellung einräumte, schlugen die Wellen hoch. Angesichts von Protesten der französischen Regierung stellte Sanofi klar, dass ein Impfstoff allen verfügbar sein müsste. «Der gleiche Zugang für alle zum Impfstoff ist nicht verhandelbar», betonte Frankreichs Premier Édouard Philippe. Und Präsident Emmanuel Macron mahnte eine multilaterale Aktion bei der Verteilung an.

Andere warnen, einen Corona-Impfstoff dürfe es nicht nur für die Reichen geben. Mehr als 140 Präsidenten, Ex-Politiker und frühere hohe UN-Vertreter forderten kürzlich die kostenlose Verteilung von Medikamenten oder Impfstoffen. «Niemand sollte bei Impfungen wegen seines Wohnorts oder Einkommens ans Ende der Schlange geschickt werden», meinte Südafrikas Präsident Cyril Ramaphosa. Auch die WHO-Mitgliedsländer drangen bei ihrer Jahrestagung am Dienstag auf einen weltweiten und «gerechten Zugang» zu einem Corona-Impfstoff.

Hier prallen die Interessen von börsennotierten Pharmakonzernen und ethische Fragen aufeinander. Die Entwicklung eines Impfstoffs kostet Hunderte Millionen Euro, schätzt Scope-Experte Tölke. «Die Unternehmen tragen das Risiko, im Rennen mit der Konkurrenz zu spät zu kommen.» Auch sei denkbar, dass ein Corona-Impfstoff 2021 gar nicht mehr so gefragt sei, wenn die Pandemie dann überwunden ist.

Der Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts, Cichutek, glaubt, dass es wohl eine Priorisierung geben wird. Manche Menschen würden zuerst geimpft werden - etwa medizinisches Personal oder Menschen, bei denen es zu schweren Krankheitsverläufen kommen könnte.

Doch allem Werben um abgestimmte Aktionen zum Trotz: Reiche Länder wie die USA und europäische Staaten dürften vor ärmeren Ländern zum Zug kommen. Am Ende dürfte es einen Mittelweg zwischen ökonomischen und ethischen Fragen geben. «Da Milliarden Menschen gegen das Coronavirus geimpft werden könnten, muss das Mittel nicht so teuer sein», sagt Tölke. Trotzdem wäre ein Impfstoff für die Pharmabranche ein lukratives Geschäft. «Wer zuerst einen Impfstoff hat, kann auf Milliardengewinne hoffen. Die ganze Welt wird sich darauf stürzen.»

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