Das letzte Opfer des Tunnels

Das letzte Opfer des Tunnels

Drei Tage vor der Eröffnung des langersehnten Tunnelbauwerks in Chalong, Phuket, hat es doch noch einen Verkehrsteilnehmer erwischt:

Lange haben wir Autofahrer gebraucht, um uns an ihn zu gewöhnen, jetzt ist er nicht mehr da und ich habe das dumpfe Gefühl, dass wir ihn vermissen werden! Er war uns so vertraut, so selbstverständlich, so alltäglich und wohlbekannt. Er war immer da, zu jeder Stunde präsent, nur nachts, zur Schlafenszeit, da hielt er sich zurück. Die Rede ist natürlich von der endlos anmutenden Baustelle vom Chalong-Tunnel auf Phuket und ihrem Dauer-Horror-Stau. Er war über drei lange Jahre das Gesprächsthema Nummer eins in Rawai. Oft genug hörte man in den Bars, Restaurants und Geschäften, wie sich Autofahrer mit Rekordzeiten brüsteten, die sie angeblich in den Ewigkeiten dieses Staus verbracht haben wollten. Es ging um die Minuten, die benötigt wurden, um die sechs Kilometer von Rawai bis zum Kreisverkehr in Chalong zu bewältigen. Die ersten Hochrechnungen lagen bei 45 Minuten, daraus wurden schnell 60, 75 und sogar 90 Minuten. Wartezeiten, die ungeduldige Autofahrer in den Wahnsinn trieben, wenn sie rat-, taten- und hilflos in ihren Fahrzeugen hockten, vor sich hinbrüteten und weder vor- noch zurückkonnten.

Bei der hierzulande üblichen Fahrweise waren Wutausbrüche an der Tagesordnung. Doch die meisten Autofahrer blieben brav und sittsam in ihrer Spur und ließen sich im vom Stau vorgegeben Schleichtempo gemächlich vorantreiben. Dann aber platzte jemand der Kragen, er lenkte sein Fahrzeug aus der Linie der geduldig Wartenden heraus und versuchte sein Glück auf der linken oder rechten Seite des doppelspurigen Staus. Links blieb der Rastlose meistens schon nach ein paar Metern an einem parkenden Gefährt hängen und musste um Wiedereintritt in die Staukolonne bitten. Rechts neben dem Stau war es wesentlich gefährlicher. Sofort ertönten massive Proteste des Gegenverkehrs in Form von Hupen und Lichthupen. Das Recht auf eine freie Fahrt musste behauptet werden.

Meine Familie gehörte zweifelsfrei zu den Leidtragenden dieser Baustelle. Der Tag, an dem diese eröffnet wurde, war zugleich der erste Schultag unseres Sohnes Danny in Phuket Town. Ein schicksalhaftes Zusammentreffen, denn unser Schulweg führte unweigerlich über den Chalong-Kreisel. Das machte uns zu Intensiv-Nutzern des Baustellen-Staus. Mit dem Auto brauchten wir im Durchschnitt eine Stunde von Rawai bis zur Schule. Mit dem Moped nur 25 Minuten, weil man sich nicht unbedingt in den Stau einreihen muss. Also wechselten wir vom Auto aufs Moped. Nur bei Regen erhielt der PKW den Vorzug. Die erheblich größere Gefahr durch Unfälle war uns dabei absolut bewusst: Im Schnitt konnte man an jedem Tag mindestens einen Unfall auf unserer Fahrstrecke zählen. Doch wir hatten Glück und es hielt an, bis es mich kurz vor Beendigung der Baustelle doch noch erwischte. Drei Tage vor Eröffnung des Tunnels war durch ein plötzlich auftretendes Hindernis eine Vollbremsung erforderlich. Diese führte zu einem Sturz und anschließend zu dieser mumienartigen Kostümierung. Es sah aber schlimmer aus, als es tatsächlich war. Wie von den klugen Erbauern geplant, ist der Tunnel ab jetzt voraussichtlich für lange Zeit geöffnet und der Verkehr fließt störungsfrei. Baustelle und Horror-Stau gehören der Vergangenheit an. Wenn ich darüber nachdenke, komme ich zu der Überzeugung, dass wir ihn wahrscheinlich doch nicht vermissen werden.

Djero Holandan, Rawai


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