Das Hoffen auf ein Ende der Leidenszeit

England vor EM-Qualifikation

Foto: epa/Hugo Delgado
Foto: epa/Hugo Delgado

LONDON (dpa) - Mit einem Sieg in Tschechien kann sich England als Erster für die EM qualifizieren. Mehrere Spiele, darunter das Finale, finden 2020 in London statt. Die Sehnsucht nach einem Erfolg im eigenen Land ist groß. Der Titel wäre eine willkommene Abwechslung zum Brexit.

Fußball-Euphorie gegen Brexit-Frust? Nur noch ein Sieg fehlt der englischen Nationalmannschaft, um sich vorzeitig für die Europameisterschaft zu qualifizieren. Es wäre der erste Schritt auf dem Weg zum ersten Titel für die Three Lions seit der WM 1966. Und vielleicht hätte ein erfolgreiches Turnier in den Wirren des Brexits auch einen positiven gesellschaftlichen Nebeneffekt. Durch den schier endlosen Streit um den EU-Austritt sind die Briten tief gespalten. Der Gewinn des ersten EM-Titels hätte das Zeug, zwar nicht ganz Großbritannien, aber immerhin England im Jubel zu vereinen.

Am Freitagabend wollen die Engländer in Prag mit einem Erfolg gegen Tschechien den Grundstein legen für einen - so hoffen sie - herrlichen Fußball-Sommer 2020. Sieben Partien der paneuropäischen EM finden im Londoner Wembley-Stadion statt, darunter die beiden Halbfinals und das Endspiel.

Seit Gareth Southgate vor drei Jahren das Traineramt übernommen hat, geht es bergauf für das Team um die Premier-League-Stars Harry Kane und Raheem Sterling. Nach vielversprechenden Auftritten bei der Weltmeisterschaft in Russland und dem dritten Platz in der Nations League gewann England alle vier Qualifikationsspiele. Das macht Hoffnung. Auf der Insel wächst die Sehnsucht nach einer Trophäe.

Allzu gern würden die leidgeprüften Anhänger nach dem Abpfiff des Endspiels am 12. Juli 2020 endlich mal aus vollem Herzen und nicht aus Trotz ihr berühmtes «Football's Coming Home» anstimmen. «30 Jahre Schmerzen, trotzdem höre ich nicht auf zu träumen», heißt es in dem selbstironischen Lied «Three Lions», das die Lightning Seeds 1996 zur Heim-EM veröffentlichten. Die Trophäe gewann damals bekanntlich Deutschland. Der Song über die Leiden der England-Fans genießt heute Kultstatus. Und inzwischen sind es 53 Jahre Schmerzen.

Schmerzen empfinden viele Engländer auch bei dem gesellschaftlichen Reizthema - und selbst im Fußball spaltet der Brexit. Die Vorsitzenden des englischen Fußballverbands (FA) wittern im EU-Austritt eine Chance für ihre Nationalmannschaft. Vereinfacht gesagt, hoffen die FA-Bosse, dass in Zukunft weniger ausländische Profis in die Premier League und die unteren englischen Ligen kommen und dadurch der heimische Nachwuchs bessere Chancen hat. Klar, dass die Clubbosse von solchen Aussichten überhaupt nicht begeistert sind.

Auch Nationaltrainer Southgate ist skeptisch. «Dass wir eine Insel sind, hat uns 1945 gerettet», sagte er. «Aber ich bin mir nicht sicher, dass es uns seitdem jemals geholfen hat. Wir müssen unseren Horizont erweitern. Die Jungs sehen nur eine Liga, sie denken, wir sind der Mittelpunkt der Erde, aber das sind wir nicht.»

Gegen Tschechien wird wohl Jadon Sancho in der Startelf stehen. Der 19-Jährige schaffte durch seine Leistungen in der Bundesliga bei Borussia Dortmund den Sprung ins Nationalteam. Bei einem ungeregelten Brexit ohne Abkommen zwischen Großbritannien und der EU könnten Spieler wie Sancho im schlimmsten Fall sogar ihre Arbeitserlaubnis verlieren. Junge Engländer wie Jonjoe Kenny (FC Schalke), Lewis Baker (Fortuna Düsseldorf) oder Reece Oxford (Augsburg) würden gar nicht erst in der Bundesliga landen und auf wertvolle Erfahrungen verzichten müssen.

Ob Großbritannien in gut neun Monaten noch Mitglied der Europäischen Union ist? Fraglich. Dass England an der Fußball-EM teilnimmt, ist hingegen so gut wie sicher. Sollte die Siegesserie der Three Lions in Prag reißen und es am Freitag noch nicht klappen, dürfte sich Southgates Team spätestens am Montag in Bulgarien qualifizieren. Und die Fans werden sicher schon mal «Football's Coming Home» anstimmen.

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