Das «heimliche Deutschland»

Hermann Hesses Briefe 1933 bis 1939

Die Totenmaske von Hermann Hesse. Foto: epa/Wolfram Kastl
Die Totenmaske von Hermann Hesse. Foto: epa/Wolfram Kastl

BERLIN (dpa) - Hermann Hesse war nicht nur der Autor des «Steppenwolfs», sondern auch ein ungemein fleißiger Briefeschreiber. Die jetzt veröffentlichten Briefe aus den Jahren 1933 bis 1939 dokumentieren seine Verzweiflung am «hysterischen Deutschland».

Es war einmal eine Zeit, als ein berühmter Schriftsteller wie Hermann Hesse («Der Steppenwolf») von Sorgen um «zehntausende ausgeplünderte und verzweifelte Flüchtlinge» umgetrieben wurde, «mit denen Deutschland in seiner Größe die Nachbarn und die Welt überschwemmt». So formulierte es der spätere Literaturnobelpreisträger in einem seiner zahlreichen Briefe aus der Schweiz in den Jahren von 1933 bis 1939, die jetzt als fünfter Band der Briefe Hesses erschienen sind, kompetent ediert wieder von Volker Michels (Hermann Hesse: Die Briefe 1933-1939, Suhrkamp Verlag).

«Sie finden nirgends Brot. So werden nun noch viele kommen», notierte Hesse im März 1933, der auch für viele Autorenkollegen wie Bertolt Brecht, Thomas Mann, Stefan Zweig und Johannes R. Becher eine der ersten Anlaufstellen im Exil war. Und das, während «drüben in Germanien», wie es Hesse formulierte, ein «wütendes Pogrom gegen den Geist» im Gange war, wobei die Bücherverbrennung vom Mai 1933 nur «ein Vorspiel» war.

Der im württembergischen Calw an der Nagold geborene spätere Schweizer Staatsbürger Hesse, dessen drei Söhne bei Ausbruch des Zweiten Weltkriegs zur Schweizer Armee einrückten, hat sich selbst immer zum «heimlichen Deutschland» bekannt. «Alles, was ich in Jahrzehnten getan habe, war ein Mitarbeiten am heimlichen Deutschland», nämlich an seiner Sprache, Dichtung und Kultur. Wenn Hesse 1939 von einem Briefpartner allerdings an, wie es Hesse selbst formuliert, «die große Mitschuld der deutschen (und nicht nur der deutschen) Intellektuellen und Literaten an der Finsternis der Zeit» erinnert wird, dann, so bekennt er freimütig, treffe ihn das mit. «Doch gehöre ich auf diesem Gebiet zu den Harmlosen». Er habe keine schädlichen Lehren und Haltungen in die Welt gebracht wie ein Nietzsche oder auch ein Stefan George. Im George-Kreis gab es den Begriff des «geheimen Deutschland».

Hesse ist auch in den 30er Jahren trotz zunehmender Augenkrankheit (Bücher müssen ihm abends von seiner Frau vorgelesen werden) ein unermüdlicher Briefschreiber (und leidenschaftlicher Gärtner, «an manchen Tagen hocke ich ganze Stunden an einem Grasfeuer»). Ähnlich wie die Tagebücher von Thomas Mann fast gleichrangig neben sein schriftstellerisches Werk traten, nehmen die Briefe Hesses ebenfalls einen bedeutenden Rang ein, wie erst recht der neue Band mit den Briefen aus den geschichtsträchtigen 30er Jahren zeigt. Nach Hitlers Machtantritt 1933 wird Hesse zunehmend von Emigranten und anderen deutschen Oppositionellen um Rat und Hilfe gebeten. Gleichzeitig bangt der Schriftsteller um die Zukunft seines S. Fischer Verlages im Deutschen Reich, wo Hesse ebenso wie der Verlagsautor Thomas Mann nicht mehr zu den offiziell genehmen Autoren gehört.

Anders als Thomas Mann wird sich Hesse aber zum Ärger vieler Emigranten und Oppositionellen Hitlers nicht öffentlich gegen das NS-Regime und diesem «versauten und brutalisierten Deutschland» äußern. Als sich Mann anders entscheidet, ist Hesse enttäuscht und verärgert («Ich verliere einen Kameraden»), er kämpft immer noch darum, dass beide Autoren ihren deutschen Lesern erhalten bleiben.

Dabei analysiert Hesse in seinen Briefen viel früher als andere haarscharf den Ungeist und Terror der Nazis und die «deutsche Unteroffiziersbegabung», aber eben nicht wie Thomas Mann auch öffentlich. Daher rücken auch viele Emigranten von dem «Kleingärtner im Tessin» wieder ab, der sich nun auch von dieser Seite «Anpöbeleien» (Hesse) ausgesetzt sieht, was ihm schwer zusetzt und zu immer neuen Rechtfertigungsversuchen führt, bis hin zu aggressiven Reaktionen («Emigranten, die zum Teil ein Saupack sind», schreibt er wütend). Er sieht sich als den «stillen Träumer» zwischen den Stühlen, der «von allen angespuckt» wird, «heut von den Patrioten, morgen von den Internationalen».

Nichtsdestotrotz stehen die Besucher - Bewunderer ebenso wie Rat- und Hilfesuchende - Schlange im Tessin («der eine oder andere Besucher sieht wohl auch etwas nach Spitzel aus»). Hesse hilft wo er kann, auch materiell, obwohl er kaum noch Einkünfte aus Deutschland hat («Ich bin auf das Land Germanien angewiesen»), aber vor allem auch durch Fürsprache für Flüchtlinge bei der Schweizer Fremdenpolizei oder befreundeten Prominenten.

Seine eigentliche Schriftstellerarbeit kommt fast zu Erliegen, immer wieder nimmt er Anläufe zum «Glasperlenspiel», an dem er viele Jahre arbeitet und das als sein Alterswerk schließlich 1943 erscheint. Zunehmend machen sich bei dem ohnehin zu Einsamkeit und Melancholie neigenden Autor Erschöpfung bis hin zur Lebensunlust bemerkbar. «Ich bin seit längerer Zeit an den Wurzeln angesägt und der Lebenswille ist sehr klein geworden.» Aber die über 1.000 Briefe und Glückwünsche zum 60. Geburtstag 1937 richten ihn wieder etwas auf.

Hesse will sich nicht vereinnahmen lassen, Kollektivbewegungen sind ihm zuwider. Ob Faschismus, Kommunismus, Katholizismus, «sie alle haben gemeinsam ein Dogma und Kultformen und einen Führer», schreibt er 1937. Die Welt sei «ein Irrenhaus und ein schlechtes Sensationsstück», meint Hesse. «Sie werden sich schämen, wenn sie eines Tages wieder zu sich kommen sollten.» Sein Angewidertsein und Philosophieren verführt Hesse allerdings auch zu realitätsfremden Ansichten. Dabei schimmert bei dem Schriftsteller auch eine gewisse Überheblichkeit durch.

«Ich halte das, was ich treibe...für sehr viel nötiger und richtiger als das, was sämtliche Generäle, Staatslenker und Völker tun, welche alle, ob sie wollen oder nicht, dem Krieg dienen und den Krieg rüsten.» Davon ließ sich ein Hitler nicht aufhalten, es waren natürlich Generäle und Politiker vonnöten wie Churchill, Roosevelt, Montgomery, Eisenhower und Stalin. Aber mit der «deutschen Seele» kannte sich Hesse aus, denn er meinte zu wissen, «wie der Deutschenhass aussieht, wenn er zugleich Selbsthass ist». Der Deutsche sei sehr sentimental und es werde gefährlich, wenn seine Sentimentalität eine Verbindung mit Brutalität eingehe. Ähnlich wird es 1945 auch Thomas Mann im amerikanischen Exil in seinem berühmt gewordenen Essay «Deutschland und die Deutschen» sehen.

Auch mit diesem 5. Band der Briefe Hermann Hesses ist wieder einer der fleißigsten Briefeschreiber der Literaturgeschichte zu entdecken. Das Besondere bei Hesse ist aber auch, dass er nicht nur mit prominenten Kollegen und Zeitgenossen korrespondierte, sondern auch Tausenden und völlig unbekannten Lesern meist keine Antwort schuldig blieb und mit ihnen nicht nur über sein Werk, sondern auch über «Gott und die Welt» und Lebensauffassungen, Religion, Philosophie, Vorlieben und Abneigungen diskutierte. Dabei betonte er immer wieder, er sei «weder Seelsorger noch Arzt».

Die jetzt veröffentlichten Briefe bis 1939 machen neugierig auf den nächsten für Herbst 2019 geplanten 6. Band, der die Jahre 1940 bis voraussichtlich 1948 dokumentieren wird. 1946 erhielt Hesse, der 1962 im Alter von 85 Jahren starb, den Literaturnobelpreis.

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