D wie Drosten, Q wie Querdenken: Das ABC zum Krisenjahr 2020

Christian Drosten, Direktor Institut für Virologie der Charite Berlin. Foto: epa/Clemens Bilan
Christian Drosten, Direktor Institut für Virologie der Charite Berlin. Foto: epa/Clemens Bilan

BERLIN: Das Jahr 2020 mit dem prägenden Thema «Corona» neigt sich dem Ende entgegen. Es gab aber auch einen Kurzzeit-Ministerpräsidenten, Demonstrationen und Ärger um Kassenzettel. Zeit, auf wichtige Begriffe aus dem Krisenjahr zurückzublicken.

Selten gab es ein Jahr, das so stark von einem Thema geprägt wurde wie 2020: Spätestens seit dem Frühjahr drehte sich fast alles um das Coronavirus. Das spiegelt sich auch in einem ABC der wichtigsten Begriffe wider.

APP: Seit Mitte Juni können sich Bürger die Corona-Warn-App des Bundes auf ihre Smartphones laden. Das Ziel: Corona-Infektionsketten besser erkennen. Kritiker stellen aber immer wieder die Wirksamkeit in Frage. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) etwa bezeichnet sie als «zahnlosen Tiger».

BLACK LIVES MATTER: Nach der brutalen Tötung des unbewaffneten Afroamerikaners George Floyd bei einem Polizeieinsatz in den USA gehen im Juni auch in deutschen Städten Zehntausende auf die Straße. Der Protest richtet sich gegen Rassismus und Polizeigewalt. Es folgen Debatten über Rechtsextremismus in der Polizei.

BONPFLICHT: Vor allem vor Ausbruch der Corona-Pandemie sorgt die Bonpflicht für Aufsehen, die ab Jahresbeginn Händler mit elektronischen Kassensystemen verpflichtet, Kunden bei jedem Kauf unaufgefordert einen Beleg auszuhändigen. Das soll Steuerbetrug verhindern. Einzelhandel und Handwerk kritisieren die Vorschrift als bürokratisch und überflüssig.

CDU-VORSITZ: Nach der Ankündigung von Annegret Kramp-Karrenbauer, den CDU-Vorsitz - und damit auch die Kanzlerkandidatur - abzugeben, kündigen NRW-Ministerpräsident Armin Laschet, Außenpolitiker Norbert Röttgen und Ex-Unionsfraktionschef Friedrich Merz ihre Kandidatur an. Als ein Parteitag verschoben wird, wirft Merz Teilen des «Partei-Establishments» vor, ihn verhindern zu wollen.

DROSTEN: Wie kein anderer steht Christian Drosten für die Virologen, Epidemiologen und Ärzte, die zuvor nur Fachkreise kannten, auf die während der Corona-Krise aber das ganze Land blickt. Plötzlich kennen auch Wissenschaftslaien etwa die Virologen Hendrik Streeck und Alexander Kekulé oder RKI-Chef Lothar Wieler.

FÖDERALISMUS: Den Bundesländern kommt im föderalen Deutschland bei der Bekämpfung des Coronavirus eine entscheidende Rolle zu. Teils wird das von Politikern hinterfragt. Lange Zeit gleicht Deutschland einem Flickenteppich bei den Corona-Regeln. Erst die Beschlüsse Ende Oktober zum Teil-Lockdown setzen die Länder - von feinen Unterschieden abgesehen - gemeinsam um.

HANAU: Im Februar erschießt ein 43 Jahre alter Deutscher aus rassistischen Motiven neun Menschen mit ausländischen Wurzeln. Später tötet er seine Mutter und schließlich sich selbst. Die Tat lässt Rassismus-, Muslimfeindlichkeits- und Antisemitismus-Debatten neu aufflammen und bewegt viele dazu, die Namen der Opfer zu teilen - um nicht wie oft bei Anschlägen dem Täter Öffentlichkeit zu geben. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gedenkt ihrer: Sedat Gürbüz, Gökhan Gültekin, Said Nesar Hashemi, Vili-Viorel Paun, Ferhat Unvar, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Fatih Saraçoglu, Kaloyan Velkov.

HEINSBERG-STUDIE: Im Frühjahr während der ersten strengen Corona-Beschränkungen ist die sogenannte Heinsberg-Studie in aller Munde, für die ein Forscherteam um den Virologen Hendrik Streeck Untersuchungen in Gangelt im NRW-Kreis Heinsberg anstellt, einem frühen Epizentrum der Pandemie. Die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung in Auftrag gegebene Studie sorgt für Aufsehen, aber auch Kritik an der Methodik und der Begleitung durch eine PR-Agentur.

KEMMERICH: Im Februar wird der FDP-Politiker Thomas Kemmerich völlig überraschend mit den Stimmen der AfD-Abgeordneten zum Regierungschef in Thüringen gewählt, nimmt die Wahl an und löst damit ein politisches Erdbeben aus. Wenig später tritt er zurück, am Ende wird Bodo Ramelow (Linke) wieder Ministerpräsident.

KULTURSZENE: Kulturschaffende gehören zu den Gruppen, die finanziell am stärksten unter der Corona-Krise leiden. Vor allem im Sommer versucht man es mit Modellen wie Autokonzerten und -aufführungen - allerdings mit weniger Zuschauern als unter normalen Bedingungen. Gerade die Schließung der Freizeiteinrichtungen und das Verbot von Unterhaltungsveranstaltungen im Herbst stößt auf Protest.

MINISTERPRÄSIDENTENKONFERENZ: Während sie vor der Pandemie selten im Zentrum der Aufmerksamkeit stand, kommt der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) plötzlich große Bedeutung zu, wenn es bei der Abstimmung von Bund und Ländern um neue Maßnahmen geht. Teilweise finden die Gespräche mit Bundeskanzlerin Angela Merkel im Wochentakt statt.

PARLAMENT: In der MPK sind die Regierungen vertreten, Bundestag und Landesparlamente bleiben außen vor. Auch um die Frage, wie viel Mitspracherecht die Parlamente etwa bei Corona-Maßnahmen haben sollen, entbrennt eine Debatte. Vorerst einigt man sich mit der Reform des Infektionsschutzgesetzes im November, das «Leitplanken» für die Regierungen vorsieht und etwa festhält, dass für Verordnungen unter anderem eine Pflicht zur öffentlichen Begründung kommt.

PFLEGEKRÄFTE: Auf sie kommt es in der Pandemie entscheidend an. Im Frühjahr während der Ausgangsbeschränkungen drücken manche per Klatschen auf dem Balkon ihre Anerkennung aus, die Krise macht aber auch auf ihre Bezahlung aufmerksam. Es folgt ein Tarifvertrag mit etwas höheren Gehältern, außerdem gibt es Corona-Prämien.

QUERDENKEN: Im April demonstriert in Stuttgart erstmals die Initiative «Querdenken» gegen aus ihrer Sicht eingeschränkte Grundrechte. Wenig später protestieren Tausende, nicht mehr nur im Südwesten und nicht mehr nur bei «Querdenken». Die Demonstrationen prägen die Corona-Zeit mit. Teils setzt sich der Begriff «Corona-Leugner» durch - auch wenn nicht alle die Existenz und Gefährlichkeit des Virus bezweifeln. Verschwörungsmythen sind aber weit verbreitet. Auf die Straße geht eine Mischung aus Menschen, die teilweise zum ersten Mal auf Demos gehen: von Esoterikern, Friedensbewegten bis hin zu Reichsbürgern und offen Rechtsextremen. Etwa der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung, Felix Klein, warnt: «Das Selbstbild als verfolgtes Opfer ist und war ein zentrales Element antisemitischer Einstellungen.»

REICHSFLAGGEN: Ende Oktober überrennen 300 bis 400 Protestler bei einer großen Demo in Berlin die Absperrgitter am Reichstagsgebäude. Auf den Treppen vor dem Parlament werden schwarz-weiß-rote Reichsflaggen geschwenkt, ein Symbol der Rechtsextremen.

VERFASSUNGSSCHUTZ: Der von AfD-Politikern gegründete rechtsnationale «Flügel» um den Wortführer Björn Höcke ist, wie im März bekannt wird, ein Beobachtungsfall für den Verfassungsschutz.

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