Corona und das Privileg

Wie die Reichen mit der Krise umgehen

An der Vorderseite der New Yorker Börse hängt eine US-Flagge. Die US-Aktien schlossen am Dienstag deutlich höher, wobei der Dow Jones um mehr als 11 Prozent zulegte. Foto: Wang Ying/Xinhua/dpa
An der Vorderseite der New Yorker Börse hängt eine US-Flagge. Die US-Aktien schlossen am Dienstag deutlich höher, wobei der Dow Jones um mehr als 11 Prozent zulegte. Foto: Wang Ying/Xinhua/dpa

NEW YORK: Das Virus kennt keine Klassenunterschiede. Die Betroffenen aber schon. Während weite Teile der Welt zu Hause zusammenrücken, setzt die US-Elite auf ihr Privileg.

Wer wissen will, wie gerecht sich einige Amerikaner in Zeiten von Corona behandelt fühlen, der sollte einen Blick auf einen der beliebtesten Tweets der letzten Tage werfen: «Der beste Weg für den durchschnittlichen Amerikaner, herauszufinden, ob er Covid-19 hat, ist, einer reichen Person ins Gesicht zu husten und auf dessen Testergebnis zu warten», schrieb ein User. Im Land der Mehrklassen-Medizin spiegelt dieser mehr als 185.000 Mal geteilte Tweet die Annahme, dass die Reichen auch in der Pandemie Vorteile haben.

Gibt es wirklich einen «Weg der Reichen» in der Krise? Ja, wenn auch nicht nur exklusiv in den USA. Es fängt ganz grundsätzlich damit an, dass sich für Wohlhabende die Frage stellt, welches Anwesen am besten für die Selbstisolation geeignet ist. Vielleicht nicht gerade das in der Metropole, mag sich der ein oder andere Bestverdiener denken. «Die Reichen haben eine Coronavirus-Heilung: die Flucht aus New York», titelte dazu die «New York Times».

Denn nach einer Reihe von zirkulierenden Falschnachrichten in der Upper Class, die eine Abriegelung der Stadt ankündigten, machten sich viele Mitglieder der Elite auf den Weg nach Long Island oder anderen Orten mit Küsten-Idylle vor den Toren der Stadt. Das Ziel waren ihre großzügigen Sommerhäuser: mehr Platz als in den Großstadt-Wohnungen, weniger Pandemie-Viren - und obendrein noch Meerblick.

Wer weiter weg will, für den ist das Linienflugzeug trotz Businessclass momentan ein Verkehrsmittel mit hohem Stresslevel - weshalb unter denen, die es sich leisten können, Privatjets boomen. Dem TV-Sender CNBC zufolge machen die Anbieter Kasse, während die Airlines Angst um ihre Existenz haben. Bei mehreren Anbietern ging die Nachfrage demnach deutlich in die Höhe. Das private Flugzeug muss man sich schließlich nur mit der Crew teilen, nicht mit hustenden Sitznachbarn.

Was die obersten 10.000 und die restlichen Millionen gleichermaßen trifft, ist die Angst vor Covid-19. Doch die Wohlhabenden können sich eine Versorgung leisten, die ihresgleichen sucht. Als Beispiel kann der New Yorker Anbieter Sollis Health genannt werden. Für einen Familien-Sockelbetrag von 8.000 Dollar pro Jahr gibt es laut «New York Times» ein kleines Privatkrankenhaus ohne Wartezeiten - Behandlungskosten sind da noch nicht eingerechnet.

Auf seiner Internetseite wirbt Sollis Health mit seiner Covid-19-Behandlung. Wenn Kunden getestet werden müssten, «schicken wir einen Mitarbeiter in Schutzausrüstung zu ihrem Haus, um sie zu untersuchen und wahrscheinlich eine Probe zu entnehmen». Bei akuter Erkrankung werde man seine Beziehungen zu den örtlichen Krankenhäusern nutzen, «um ihnen einen vorrangigen Zugang zu ermöglichen».

Offiziellen Angaben zufolge werden im Staat New York in den kommenden Wochen für besonders ernste Fälle 30.000 Beatmungsgeräte gebraucht. Im Moment gibt es 11.000. Im Einzelfall dürfte das Recht, die Maschine zu benutzen, über Leben und Tod entscheiden.

Trotz einer Reform des US-Gesundheitssystems unter Präsident Barack Obama haben Dutzende Millionen Amerikaner keine Versicherung. Viele weitere sind unterversichert. Dazu kommen immense Kosten für Medikamente und Ärzte, für die trotz Versicherung oft draufgezahlt werden muss. Einer kürzlich veröffentlichten Studie zufolge gab ein Viertel der US-Bürger an, dass ein Familienmitglied schon einmal eine Behandlung einer ernsthaften Erkrankung wegen des Preises nicht wahrgenommen habe.

Wer in den USA in den vergangenen Wochen versucht hatte, einen Corona-Test zu machen, dem wurde es nicht leicht gemacht. Für viele Fälle gab es trotz Symptomen oder Kontakt zu einer infizierten Person keine Untersuchung, unter anderem wegen eines Mangels an Tests. Umso bizarrer erscheint es, dass ganze Basketballteams getestet wurden.

Der Bundesstaat Oklahoma untersuchte dem Magazin «Daily Beast» zufolge 58 Mitglieder der Utah Jazz Anfang März, als dort nur insgesamt etwa 100 Fälle pro Tag analysiert werden konnten. Auch die Brooklyn Nets wurden komplett getestet - was den New Yorker Bürgermeister Bill de Blasio auf die Palme brachte: «Tests sollten nicht für die Reichen sein, sondern für die Kranken», wetterte er bei Twitter.

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