Corona statt Carola: Italiens Kampf mit der Seenotrettung

Carola Rackete deutsche Kapitänin des Rettungsschiffes Sea-Watch 3. Archivfoto: epa/CLEMENS BILAN
Carola Rackete deutsche Kapitänin des Rettungsschiffes Sea-Watch 3. Archivfoto: epa/CLEMENS BILAN

ROM: Vor einem Jahr fuhr Carola Rackete mit Migranten an Bord unerlaubt in einen italienischen Hafen. Die Aufregung war groß. Nun liegt das Schiff «Sea-Watch 3» wieder vor Sizilien. Doch es gibt entscheidende Unterschiede. Und auch Rackete macht längst Anderes.

Die «Sea-Watch 3» wartet wieder. Wie damals vor einem Jahr, als Kapitänin Carola Rackete zur Ikone der Seenotrettung wurde. Doch dieses Mal ist alles anders. Die Crew des deutschen Rettungsschiffes darf zwei Wochen nicht von Bord, sie ist vorsorglich wegen Corona in Isolation. Ebenfalls vor Sizilien liegt die italienische Fähre «Moby Zazà», die zu einem Quarantäne-Schiff umfunktioniert wurde. Hier sind mehr als 200 Migranten von der «Sea-Watch 3» untergebracht. In einer «roten Zone» sind 28 von ihnen, die sich mit dem Coronavirus infiziert haben. Heute wie vor einem Jahr warten Migranten vor Italien auf Einlass.

Doch am 29. Juni 2019 spielte sich vor Sizilien ein Schauspiel um Flüchtlinge und populistische Politik ab, das weltweit Schlagzeilen machte. Die deutsche Aktivistin Rackete hatte die «Sea-Watch 3» mit 40 Migranten an Bord trotz eines Verbots der Regierung in Rom in den Hafen von Lampedusa gesteuert und dabei ein Polizeiboot touchiert - «gerammt», wie der damalige Innenminister Matteo Salvini auch jetzt noch gerne sagt. Sie wurde festgenommen und unter großem Trubel dann doch wieder freigelassen.

Salvini macht immer noch Stimmung gegen Rackete, gegen Seenotretter und gegen Migranten. Dieses Mal sind die Migranten in seinen Augen Überträger der Lungenkrankheit Covid-19, die Italiener in Gefahr bringen und es sich «auf Kreuzfahrtschiffen» gut gehen lassen. Doch die Zahl von 28 infizierten Sea-Watch-Migranten ist im Vergleich zu insgesamt rund 238.000 Infektionen in Italien überschaubar.

Salvini hat sich letzten Sommer selbst ins Aus manövriert, als er die Koalition mit der Fünf-Sterne-Bewegung platzen ließ. Seitdem versucht er als Oppositionschef die Regierung aus Sternen und Sozialdemokraten zum Wanken zu bringen. Doch hat sich ohne ihn in der Regierung bei der Seenotrettung etwas verändert?

«Das ist mit einem klaren Jein zu beantworten», sagt Ruben Neugebauer, Sprecher von Sea-Watch. Die Lage habe sich zwischenzeitlich mit dem sogenannten Malta-Abkommen verbessert. Im vergangenen September hatten sich Länder wie Deutschland und Frankreich bereit erklärt, Italien und Malta Bootsflüchtlinge abzunehmen. Doch diese Vereinbarung ist inzwischen ausgelaufen. Salvinis parteilose Nachfolgerin Luciana Lamorgese fährt beim Thema Migration einen zurückhaltenden Kurs. Keine Tweets, keine Facebook-Videos sondern Handeln im Hintergrund ist ihre Devise.

Sea-Watch und andere Hilfsorganisationen werfen den Regierungen in Italien und Malta vor, mit der «Ausrede» Covid Migranten abzuwehren. Beide Länder haben sich in der Krise zu «nicht sicheren Häfen» erklärt. «Unter dem Deckmantel Covid werden sehr viele Maßnahmen durchgezogen, die eigentlich Maßnahmen gegen die Seenotrettung sind», sagt Neugebauer. Unter anderem das deutsche Rettungsschiff «Alan Kurdi» lag in Sizilien wochenlang an der Kette, weil die Behörden technische Mängel sahen. Es fährt jetzt nach Spanien zur Wartung - und somit nicht in den nächsten Einsatz.

Die Menschen legen trotz Corona-Pandemie weiter aus Ländern wie Libyen ab. Getrieben von den menschenunwürdigen Umständen in dem Bürgerkriegsland. «Covid-19 macht viel weniger Angst als die libyschen Gefängnisse und die dort erlebte Folter», sagt Matteo Villa vom italienischen Institut für Internationale Politikstudien (ISPI) der Online-Plattform «Osservatorio Diritti».

Seit Jahresbeginn kamen rund 6400 Bootsflüchtlinge in Italien an - im Vorjahreszeitraum unter Salvini waren es rund 2500 und noch ein Jahr zuvor im gleichen Zeitraum 16.500. Auf der Insel Lampedusa landen immer wieder Boote aus Tunesien an. Der «Hotspot», eine Erstaufnahmestelle für Bootsflüchtlinge, ist notorisch überfüllt, die Stimmung auf der Insel mies. Zuletzt wurden alte Migrantenboote in Brand gesetzt, die auf einem «Schiffsfriedhof» lagern.

«Hier leben wir ausschließlich von der Fischerei und vom Tourismus. Und beides hat Covid (...) in die Knie gezwungen», sagt Bürgermeister Totò Martello. «Auf Lampedusa gibt es drei Notstände: Einen gesundheitlichen, einen wirtschaftlichen und einen menschlichen.»

Rackete war für viele gerade in Deutschland ein Sinnbild der «Menschlichkeit». Sie selbst haderte mit dieser plötzlichen Berühmtheit. Zum Jahrestag will sie keine Interviews geben, aus der Öffentlichkeit hat sie sich weitgehend zurückgezogen. Statt auf Rettungsschiffen ist sie auf Forschungsschiffen unterwegs, wie zuletzt auf einer Expedition in die Antarktis. Statt Migration stand zuletzt Klimaschutz im Fokus. Ein neuer Einsatz für Sea-Watch sei aber nicht ausgeschlossen, so Sprecher Neugebauer.

In Sizilien laufen immer noch Ermittlungen gegen Rackete, erklärt ihr Anwalt Leonardo Marino. Dabei geht es auch um den Vorwurf der Beihilfe zur illegalen Einwanderung. Doch Sea-Watch geht davon aus, dass es nicht zum Prozess kommen wird. Denn das Oberste Gericht in Italien hatte im Januar die Beschwerde der Staatsanwaltschaft gegen die damalige Freilassung Racketes abgewiesen. Im Februar hatte die Staatsanwaltschaft dann weitere sechs Monate Verlängerung gefordert, um die Vorwürfe zu prüfen. Die Mühlen der Justiz mahlen langsam, und in Italien ganz besonders langsam.

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