Corona in Kriegsgebieten

die Gefahr einer neuen Katastrophe

Arbeiter tragen Gesichtsmasken, während sie in einem kleinen Labor arbeiten. Foto: Anas Alkharboutli/Dpa
Arbeiter tragen Gesichtsmasken, während sie in einem kleinen Labor arbeiten. Foto: Anas Alkharboutli/Dpa

KABUL: Die Corona-Pandemie hat die Welt im Griff. Tausende starben bereits. Die Gesundheitssysteme vieler Staaten stehen unter enormen Druck. Und in den Kriegsgebieten der Welt bahnt sich eine weitere Katastrophe an.

Zu wenig Ärzte, nicht genug Krankenhaus-Betten und sogar Fieberthermometer sind oft Mangelware. In den Krisengebieten dieser Welt, wo Krieg, Gewalt und Armut heftige Spuren hinterlassen haben, verschärft die weltweite Corona-Pandemie die Lage dramatisch. Und das vor den Augen der Weltöffentlichkeit.

ZEHNTAUSENDE TOTE IN AFGHANISTAN BEFÜRCHTET

«Wenn sich das Virus ausbreitet, können wir nichts mehr tun. Wir sind nicht einmal in der Lage, 100 Betten für Corona-Patienten in einem Notfall zur Verfügung zu stellen», sagt Mohammad Dschawad Mersaie, ein Arzt aus der umkämpften westlichen Provinz Farah. Es fehle an fast allem: Nur fünf Infrarot-Fieberthermometer habe man im Krankenhaus der Provinzhauptstadt. Die militant-islamistischen Taliban ließen die Ärzte aber ihre Arbeit machen, sagt der Arzt.

Seit fast vier Jahrzehnten kommt das Land am Hindukusch nicht zur Ruhe. Krisen und Kriege haben das Gesundheitssystem in die Knie gezwungen. Trotz internationaler Hilfe in Milliardenhöhe haben viele nur selten Zugang zu ausreichender medizinischer Versorgung. Es mangelt an Ausrüstung und Personal. Der Weg ins Krankenhaus ist oft weit und gefährlich.

Sorgen bereitet auch der Grenzverkehr zum besonders schwer von der Krise betroffenen Nachbarland Iran. Fast 200.000 Afghanen kehrten nach Angaben der Internationalen Organisation für Migration aus dem Land zurück - nur wenige Hundert wurden auf das Coronavirus getestet. Ebenso fliehen jährlich Hunderttausende wegen der Kämpfe und Gefechte aus ihren Dörfern und Städten. Auf engstem Raum leben sie oft in Flüchtlingslagern zusammen.

Das Gesundheitsministerium fürchtet ein düsteres Szenario für das kriegszerrisene Land. Weit mehr als 100.000 Menschen könnten an den Folgen des Coronavirus sterben, sagte Ministeriumssprecher Wahidullah Mayar. Im schlimmsten Fall geht die Regierung davon aus, dass 80 Prozent der Bevölkerung an Covid-19 erkranken. Durch die Epidemie werde sich die Ernährungslage noch einmal verschärfen», warnt die Welthungerhilfe. «Es ist eine sehr, sehr schwierige Zeit.»

WASSERVERSORGUNG IN DER OSTUKRAINE STÄNDIG GEFÄHRDET

Offiziell sind noch keine Infektion gemeldet, aber auch im Kriegsgebiet im Osten der Ukraine könnte sich die Lage zuspitzen. Beide Seiten - Kiew und die prorussischen Separatisten - haben die Kontrollpunkte zu den seit 2014 von Separatisten kontrollierten Teilen der Gebiete Donezk und Luhansk faktisch geschlossen. Auch der Umweg über das angrenzende Russland war kurzzeitig zu.

Bisher passierten täglich rund 40.000 Menschen die Konfliktlinie. Das wird nun vor allem für Hunderttausende Rentner im Separatistengebiet zum Problem. Sie können ihre Rente nur an Geldautomaten an der anderen Seite der Grenze abholen. Viele leben von der Hand in den Mund. Für sie könnte die Situation mehr als eng werden.

Das Rote Kreuz ist als eine der wenigen internationalen Hilfsorganisationen weiter im Rebellengebiet aktiv. Man will auch bleiben. Für die Alten soll so vor allem eine Grundversorgung mit Lebensmitteln garantiert werden. Doch durch die Kämpfe ist auch die Wasserversorgung gefährdet. «Ein Treffer in Wasserversorgungsobjekte kann tödlich für tausende Zivilisten sein», warnt die Hilfsorganisation. Händewaschen zur Vorbeugung vor einer Infektion könnte dann nicht mehr möglich sein.

Wie die medizinischen Einrichtungen Covid-19-Erkrankungen meistern könnten, ist völlig unklar. Nach sechs Jahren Krieg kann ein Ausbruch der Epidemie katastrophale Folgen haben. In dem Konflikt gab es bislang 13.200 Tote. Ein Friedensplan liegt auf Eis.

ÜBERFÜLLTE FLÜCHTLINGSLAGER IN SYRIEN

In dem Bürgerkriegsland gibt es offiziell erst wenige Fälle, allesamt in Regierungsgebieten. Wahrscheinlich ist es aber nur eine Frage der Zeit, bis das Virus auch Rebellengebiete im Norden und Nordwesten erreicht. Dort ist die humanitäre Lage ohnehin schon katastrophal. Viele der Hunderttausenden Vertriebenen leben in völlig überfüllten Lagern, «dicht gedrängt unter unmenschlichen Bedingungen», wie die Hilfsorganisation Save the Children beklagt. Es ist praktisch unmöglich, Kontakt zu meiden.

Schon jetzt ist das Gesundheitssystem völlig überlastet. Durch Luftangriffe der syrischen Armee und des Verbündeten Russland sind viele Krankenhäuser zerstört. Verbreitet sich das Virus, drohen auch die verbliebenen Einrichtungen zusammenzubrechen. Die WHO hat in der Rebellenprovinz Idlib mit flächendeckenden Tests begonnen. Auch dringend benötigte Schutzkleidung wird dorthin gebracht.

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