Conférencier der BRD: «Kuli» würde 100

Hans-Joachim Kulenkampff (rechts), 1966. Archivfoto: Wikipedia
Hans-Joachim Kulenkampff (rechts), 1966. Archivfoto: Wikipedia

BREMEN: Hans-Joachim Kulenkampff war eine TV-Legende, vor allem sein Quiz «Einer wird gewinnen» war ein Straßenfeger. Nun wäre der vor 23 Jahren gestorbene Showmaster und Schauspieler 100 Jahre alt.

Einen wie ihn bringt das Fernsehen und die Medienwelt heute nicht mehr hervor. Hans-Joachim Kulenkampff gab stets den Mann von Welt - schlagfertig und schlau: Vor allem mit der ARD-Samstagabendshow «Einer wird gewinnen» des Hessischen Rundfunks (hr) hatte er sensationelle Einschaltquoten. Darin glänzte er mit Conférencen über aktuelle Themen oder die Gastgeberstadt der Show. Heute würde man dieses lockere Scherzen im Stehen «Stand-up» nennen.

Am Dienstag (27.4.) jährt sich Kulenkampffs Geburtstag zum 100. Mal. Der gebürtige Bremer, der 1998 mit 77 Jahren in Seeham bei Salzburg starb, hat im heutigen Fernsehen eigentlich keinen legitimen Erben mehr - oder wenn es einen gibt, dann verspielt der den Status gerade.

Eines war «Kuli», wie er liebevoll genannt wurde, ganz und gar nicht: angepasst und glatt wie viele Fernsehleute heute. Kulenkampff war ein Meister beim Überziehen seiner Sendezeit. Millionen fanden ihn charmant, einige aber auch machohaft und zotig.

Kulenkampff bezeichnete sich selbst gern als «letzten TV-Dinosaurier» und war einer der beliebtesten Show- und Quizmaster der Nachkriegszeit - neben Herren wie Peter Frankenfeld, Rudi Carrell, Lou van Burg, Heinz Schenk, Peter Alexander, Joachim Fuchsberger, Wim Thoelke, Dieter Thomas Heck und Hans Rosenthal.

Die ARD strahlte zwischen 1964 und 1987 mehr als 80 Ausgaben von «Einer wird gewinnen» aus. Es war kein Zufall, dass «das große internationale Quiz» wegen der Kandidaten aus verschiedenen Ländern Europas «EWG» abgekürzt wurde, also genauso wie die «Europäische Wirtschaftsgemeinschaft», die Vorgängerin von EG und EU.

In Erinnerung sind Älteren die einstudierten Witzchendialoge am Schluss, die sich Kuli als «Chef» mit seinem «Butler» Martin Jente lieferte. Der Butlerdress war übrigens nicht die erste schwarze Uniform in Jentes Leben. Der TV-Diener - eigentlich der Produzent der Show - schaffte es lange, seine SS-Vergangenheit zu verheimlichen.

«Ich kann nicht singen, nicht tanzen, kein Instrument spielen und bin doch ein Showmann geworden - das ist doch fantastisch!», wunderte sich «Kuli» einmal über seine TV-Karriere. Der gelernte Schauspieler war auch auf der Theaterbühne und im Kino zu sehen («Immer die Radfahrer», «Drei Mann in einem Boot. Vom Hunde ganz zu schweigen»).

Sohn Kai-Joachim, ein Arzt, erzählte schon vor Jahren in Dokus, dass der Mann, der im Fernsehen nie um ein Witzchen verlegen schien, die Abgründe seines Lebens lieber nur mit sich selber ausmachte - etwa die Kriegserlebnisse an der Ostfront oder den Unfalltod seines vierjährigen Sohnes Till in den 50er Jahren.

2018 erfuhr die Nachkriegsfernsehen-Doku «Kulenkampffs Schuhe» einige Aufmerksamkeit. In dem aus Archivmaterial bestehenden Film entwickelte Regina Schilling als Kind eines Kriegsheimkehrers die These, dass Fernsehunterhalter wie Hans-Joachim Kulenkampff und Hans Rosenthal so etwas wie Therapeuten einer traumatisierten Generation waren, auch wenn sie selbst schwere Kriegsschicksale erlitten hatten: «Kuli» als Soldat an der Ostfront, der sich selbst mehrere Zehen amputierte; Rosenthal als Jude, dessen Familie ermordet wurde und der die Verfolgung der Nazis nur mit Glück in einer Berliner Laube versteckt überlebte.

In der Öffentlichkeit war «Kuli» stets ein Mann des offenen Wortes («Nur politische Scheißer und kleine Hirne können sich nicht vorstellen, dass ein Mensch eine ehrliche Meinung haben kann und diese äußert»). Jeder wusste, wo er politisch steht. 1969 machte er Wahlkampf für Willy Brandt und die SPD.

«Kuli» mochte Spötteleien und war, obwohl selbst Fernsehmann, auch ein Kritiker des Mediums. Ob mit Sendungen bei RTL oder später wieder öffentlich-rechtlich: Er war nie mehr so erfolgreich wie mit «EWG». Am meisten blieb noch seine Sendung zum ARD-Programmschluss in Erinnerung, die «Nachtgedanken» zwischen 1985 und 1989.

Der Wettermoderator Jörg Kachelmann scheiterte 1998 mit einer «EWG»-Neuauflage kläglich, ebenso Jörg Pilawa 2014.

Am nächsten kommt heut wohl Thomas Gottschalk der Legende Kulenkampff - etwa was Rücktrittsgetöse und Eitelkeit angeht: «Kuli» nahm bei der «EWG»-Show gleich dreimal seinen Hut. Nach einem Abschied im Sommer 1966 kehrte er bereits 1968 wieder zurück, nach einem weiteren Abschied im August 1969 war das Comeback dann erst im September 1979. Endgültig Schluss war am 21. November 1987. Als wahrer «Kuli»-Erbe müsste der 70-jährige Gottschalk, der lange Zeit in Kalifornien lebte, eigentlich mehr Weltläufigkeit an den Tag legen, statt sich in einem Hickhack mit Dieter Bohlen um eine RTL-Show zu verstricken.

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