CIA-Spion im Kreml?

Moskau sucht offiziell vermissten Staatsbeamten

Foto: epa/Alexei Druzhinin
Foto: epa/Alexei Druzhinin

WASHINGTON/MOSKAU (dpa) - Im Kreml soll sich ein CIA-Spion bis an den Präsidenten herangewanzt haben. Das wäre für den Ex-Geheimdienstchef Putin eine besondere Schmach. Mehrere «Verräter», wie er sie nennt, wurden schon vergiftet. Aber dieser Agententhriller steht erst am Anfang.

Vom wichtigsten Agenten des US-Auslandsgeheimdienstes CIA im Kreml ist die Rede. Von einem Mann mit direktem Zugang zu Präsident Wladimir Putin. Vom Kronzeugen, der Russlands Einmischung in den US-Präsidentenwahlkampf von Donald Trump und Putins direkte Order dazu bestätigt haben soll. Sollte stimmen, was russische und US-Medien seit Tagen berichten, dann dürfte dies der spektakulärste Fall von Spionage zwischen den beiden Ländern seit Jahren sein. Und es wäre für den Ex-Geheimdienstchef Putin besonders peinlich, sollte er in seiner Nähe einen CIA-Spion gehabt haben.

In diesem Agententhriller kommen die Details nur bruchstückhaft ans Licht. Und vor allem die Medien in Moskau bauen sich ihre Story zusammen. Offiziell bestätigt ist, dass der ranghohe Beamte Oleg Smolenkow bis 2017 im Kreml gearbeitet habe. Kremlsprecher Dmitri Peskow erklärte, dass er dann entlassen worden sei. Den Grund nannte er nicht. Unbekannt ist auch, ob und inwieweit Smolenkow tatsächlich Zugang zu Putin hatte.

Die «Washington Post» schrieb, Smolenkow sei früher Diplomat in der russischen Botschaft in Washington unter dem langjährigen Botschafter Juri Uschakow gewesen. Er habe weiter für Uschakow gearbeitet, als dieser zu Putins außenpolitischem Berater ernannt wurde. Die Moskauer Zeitung «Wedomosti» berichtete, Smolenkow solle dabei zwar keinen Zugang zu Staatsgeheimnissen, aber doch zu Informationen gehabt haben, die die USA interessierten. Demnach hätten Kollegen im Kreml Smolenkow auch als besonders wissbegierig in Erinnerung.

Der US-Sender CNN sprach von einem «Top-Spion», der sogar Bilder von Dokumenten auf Putins Schreibtisch geliefert habe. Die «New York Times» berichtete, der schon vor langer Zeit rekrutierte Informant sei zu einer der wichtigsten und am besten geschützten Quellen des US-Geheimdienstes CIA geworden. Die von ihm vor der Präsidentenwahl 2016 gelieferten Informationen seien so brisant gewesen, dass der damalige CIA-Direktor John Brennan die Depeschen darüber in eigens versiegelten Umschlägen ans Weiße Haus geschickt habe.

Die US-Geheimdienste stellten im Januar 2017 einen außergewöhnlich detaillierten Bericht über russische Einmischung in die Präsidentenwahl vor. Sie kamen zu dem Schluss, dass Putin persönlich die Kampagne angeordnet habe - mit dem Ziel, das öffentliche Vertrauen in den demokratischen Prozess in den USA zu untergraben und die Wahlchancen Donald Trumps zu verbessern.

CNN berichtete, der Spion sei 2017 aus Sicherheitsgründen abgezogen worden. Einer der Gründe sei die Sorge gewesen, dass Trumps laxer Umgang mit Geheimdienstinformationen auch den Spion in Moskau gefährden könnte. Dem widersprachen allerdings sowohl das Weiße Haus als auch die CIA selbst. Die «New York Times» - die nicht im Verdacht steht, Trump zu schonen - fand dafür ebenfalls keine Belege. Ihrem Bericht zufolge führten letztlich verstärkte US-Medienrecherchen dazu, dass die CIA den Informanten aus Russland herausholte.

Bestätigt ist, dass Russland nach Smolenkow fahnden lassen will. Der Vater galt nach einem Urlaub 2017 in Montenegro als vermisst – samt Ehefrau und Kindern. Sogar wegen Mordverdachts sei ab dem 6. September 2017 ermittelt worden, berichteten russische Medien. Nun aber geht wohl auch das russische Außenministerium davon aus, dass sich die Familie in die USA abgesetzt hat.

Deshalb wandte sich das Ministerium an die internationale Polizeibehörde Interpol, die Smolenkows Verbleib aufklären soll, wie Sprecherin Maria Sacharowa sagte. Die Spionage-Geschichte an sich tat sie aber als Teil des US-Wahlkampfes ab.

Ein neues Kapitel schlug nun noch der Ex-Mann von Smolenkows Ehefrau auf: In einem Interview des Fernsehsenders RTVi erzählte Jewgeni Agafonow, dass das Paar seinen damals 13 Jahre alten Sohn Iwan entführt habe. Er hatte das Kind in den Sommerferien für zwei Monate der Mutter überlassen - und seither keinen Kontakt mehr. Zwar habe sie immer gedroht, ihm das Kind wegzunehmen, sagt Agafonow. Nun aber wolle er kämpfen für den Kontakt zu seinem Sohn.

Ein von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Ria Nowosti zitierter Ex-Geheimdienstmitarbeiter hält es für gut möglich, dass Smolenkow früher als Mitarbeiter in der russischen Botschaft in Washington vom US-Geheimdienst angeworben worden sein könnte. Zudem breiten Medien in Moskau inzwischen aus, dass Smolenkow zuletzt in einem Luxus-Anwesen im US-Staat Virginia gewohnt habe. Er soll nun wieder auf der Flucht sein mit der Familie – wohl auch, weil Putin im Ruf steht, Spionen keinen ruhigen Lebensabend zu gönnen.

Schon lange sieht der frühere KGB-Offizier sein Land von westlichen Agenten infiltriert. Nachdem ein russischer Geheimdienstler zu den USA überlief und 2010 Putins Agentin Anna Chapman enttarnte, sagt er wütend, was er von Verrätern hält: Sie würden in der Gosse oder im Suff enden. Und erst im Sommer legte er nach. «Verrat ist das größte Verbrechen, das es auf der Welt geben kann, und Verräter sollen hart bestraft werden», sagte er in einem Interview britischen Journalisten. Bei dem Gespräch ging es um den früheren Doppelagenten Sergej Skripal, der mit seiner Tochter Julia einen Angriff mit dem Nervengift Nowitschok in England überlebte.

Der Präsident wollte damit zwar nicht sagen, dass Skripal so eine Strafe verdient oder gar Russland damit etwas zu tun habe. Aber er wiederholte, dass Verrat das Mieseste sei, was er sich vorstellen könne. Auch im Fall des 2006 mit dem Strahlengift Polonium in London getöteten russischen Ex-Geheimdienstmitarbeiter Alexander Litwinenko führen die Spuren nach Überzeugung der Ermittler nach Moskau. Wo der nun enttarnte Smolenkow sich jetzt aufhält, ist unbekannt. Medien berichteten, dass CIA-Agenten die Familie beschützten.

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