Drei Kinder erlaubt - aber gewollt?

​China lockert Familienpolitik 

Eine Frau und zwei Kinder gehen im Sanlitun-Viertel von Peking spazieren. Foto: epa/Roman Pilipey
Eine Frau und zwei Kinder gehen im Sanlitun-Viertel von Peking spazieren. Foto: epa/Roman Pilipey

PEKING: Nach Jahrzehnten der Ein-Kind-Politik kämpft China mit einer rapide alternden Gesellschaft. Schon die Zwei-Kind-Politik seit 2015 konnte die Geburtenrate nicht ankurbeln. Dafür müsste sich viel mehr ändern.

China lockert seine umstrittene Familienpolitik und erlaubt Paaren künftig auch drei Kinder. Wegen des unerwartet starken Geburtenrückgangs und der schnellen Überalterung der Gesellschaft beschloss das Politbüro der Kommunistischen Partei am Montag eine «Optimierung der Geburtenpolitik». Die Wende soll helfen, die Bevölkerungsstruktur zu verbessern und «aktiv» auf die Überalterung zu reagieren, wie die Nachrichtenagentur Xinhua berichtete. Experten zeigten sich skeptisch, ob die Drei-Kind-Politik erfolgreich wird.

Der Beschluss fiel nur drei Wochen nach der Veröffentlichung der jüngsten Volkszählung. So droht die 1,4 Milliarden zählende chinesische Bevölkerung in wenigen Jahren zu schrumpfen. Als Gründe nannten Experten die seit 1979 geltende Ein-Kind-Politik, die erst 2015 aufgehoben und durch eine Zwei-Kind-Politik ersetzt worden ist, sowie die hohen Kosten für Wohnraum, Ausbildung und Gesundheit.

Auf der Sitzung des Politbüros unter Vorsitz von Staats- und Parteichef Xi Jinping wurden daher «unterstützende Maßnahmen» für die Drei-Kind-Politik angekündigt. So soll die Gesundheitsversorgung vor und nach Geburten verbessert und ein universelles System zur Kinderbetreuung entwickelt werden. Die Kosten der Familien für Ausbildung sollen reduziert werden. Auch sollen Erziehungsurlaub, Mutterschutz und Vorteile bei Steuer und Wohnraum ausgebaut sowie die Rechte und Interessen berufstätiger Frauen besser geschützt werden.

Allerdings haben sich viele Chinesen längst daran gewöhnt, nur ein Kind zu haben. «Nur ein Kind oder kein Kind zu haben, ist in China soziale Norm geworden», sagte der Familienplanungsexperte Yi Fuxian von der Universität von Wisconsin der Deutschen Presse-Agentur. Die umstrittene Familienplanung, die durch radikale Maßnahmen das Bevölkerungswachstum bremsen sollte, «hat die Einstellung zum Kinderkriegen verändert und Werte hinsichtlich des Lebens verzerrt».

Der Professor, der die Wende zur Zwei-Kind-Politik einst als «zu wenig, zu spät» kritisiert hatte, sieht sich bestätigt. Seither seien nicht mehr Kinder geboren worden. «Ähnlich wird auch die Drei-Kind-Politik die Fruchtbarkeit nicht erhöhen», sagte Yi Fuxian. «China wird alt, bevor es reich wird. Die Überalterung wird das Wirtschaftswachstum verlangsamen.» Kommunen seien hoch verschuldet, dass sie nicht genug Geld hätten, um die Fruchtbarkeit zu fördern.

In den vergangenen zehn Jahren ist Chinas Bevölkerung nur noch um jährlich 0,53 Prozent auf 1,41178 Milliarden Menschen gewachsen - so langsam wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Die seit 2015 verfolgte Zwei-Kind-Politik hatte nur im Folgejahr zu einem leichten Anstieg der Geburten geführt. Seither ist die Zahl jedes Jahr gefallen. Im vergangenen Jahr ging die Zahl der Geburten nach offiziellen Angaben sogar um 18 Prozent auf zwölf Millionen zurück.

Wie die Volkszählung auch zeigte, schreitet die Überalterung des Milliardenvolkes damit unaufhaltsam voran: Die Zahl der Chinesen über 60 Jahre ist seit 2010 um 5,44 Prozent auf 264 Millionen gestiegen. Knapp jeder fünfte Chinese (18,7 Prozent) ist heute schon älter als 60 Jahre, während die Bevölkerungsgruppe im arbeitsfähigen Alter weiter zurückgeht. Die Gruppe zwischen 15 und 59 Jahren verkleinerte sich um 6,79 Prozentpunkte auf einen Anteil von 63 Prozent.

Immer weniger Werktätige müssen in der zweitgrößten Volkswirtschaft immer mehr alte Leute versorgen. So wird eine unpopuläre Anhebung des Rentenalters diskutiert. China hat weltweit eine der niedrigsten Altersgrenzen: Frauen können je nach Beruf mit 50 oder 55 Jahren in Rente gehen - Männer mit 60. Die Regelung stammt aus den Anfängen der Volksrepublik, als die Lebenserwartung niedrig war.

Ob die jüngste Volkszählung aber überhaupt das wahre Ausmaß der Entwicklung widerspiegelt, blieb unklar. So wiesen Experten auf Widersprüche hin und deuteten an, dass die Lage noch düsterer sein könnte. Die genannten zwölf Millionen Geburten 2020 waren auffallend höher war als die 10,04 Millionen, die das Ministerium für öffentliche Sicherheit im Februar gemeldet hatte. Da in China rund zehn Millionen Menschen im Jahr sterben, deutet der Geburtenrückgang in Richtung Null-Wachstum oder Bevölkerungsrückgang.

Die Fruchtbarkeitsrate ist laut Statistikamt auf 1,3 Kinder pro Frau gefallen. Das ist deutlich niedriger als die 2,1, die für eine stabile Bevölkerungszahl notwendig wären. Die Zahl der Eheschließungen geht zurück, während die Scheidungsrate in China viel höher ist als etwa in Japan oder Südkorea. Viele Paare warten auch mit der Heirat und gründen erst später Familien.

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