Chaos nach Heimkehr

Chaos nach Heimkehr

Das Chaos hat mich überfallen: Rückkehr aus Deutschland nach zwei Monaten. Jetzt muss erstmal die Wohnung auf Vordermann gebracht werden. Ich brauche frische Wäsche. Das Reisegepäck ist immer noch nicht dort, wo es hingehört. Durst. Der Kühlschrank ist leer.

Der Nachbar, dem ich meinen zweiten Wohnungsschlüssel vorsichtshalber überlassen hatte, irgendwo unterwegs. Und Björn vom FARANG drängt auf die nächs­te Kolumne. Was soll ich machen? Burn out? Den habe ich schon mitgebracht. Aber es muss ja irgendwie weitergehen. Weggehen, ja, das fände ich jetzt gut. Geht aber nicht. Okay, Björn, ich schreibe was: Ich war in Mainz. Fastnacht von morgens bis abends, und dann weiter bis zum anderen Morgen. Dem entkommst du dort nicht, selbst wenn du nicht am Rosenmontag geboren bist, gelle? Das Wetter war auch scheiße. Was war hier inzwischen los? Nach meiner Ankunft heute Morgen habe ich versehentlich alle Mails der letzten zwei Monate, einschließlich aller News vom FARANG gelöscht. Darf man hier noch rauchen oder Bier trinken am Strand? Wer regiert gerade oder lässt regieren? Es wird dauern, bis ich hier wieder auf dem Laufenden bin. In Deutschland hat es sowieso nicht geklappt. Dort ging es politisch täglich rauf und runter. War gestern Martin Schulz noch der Held, fühlt sich heute schon Andrea Nahles an der Macht. Gabriel schaute machtlos, ohnmächtig und bitterböse seiner Demontage zu, bis der Reporter Yücel aus der türkischen Geiselhaft entlassen wurde. Mal sehen, wie es weiter geht mit ihm. Gibt es in der Politik Gerechtigkeit, Ehrlichkeit, Vertrauen? Oder ist es, wie die Schwester des SPD-Kanzlerkandidaten sagte, eine Schlangengrube. Könnte schon sein, wenn ich höre, dass die Parteivorsitzenden in der Koalitionsrunde vierzehn Stunden am Stück über Posten geschachert haben, die am nächsten Tag wieder über den Haufen geworfen wurden. Klar, es gilt die Rivalitätstheorie. Mist! Ich brauche jetzt ein Bier oder einen Wein. In meinem jetzigen Zustand, übernächtigt, unrasiert, ungeduscht, kann ich nicht in den nächsten Supermarkt gehen, ohne befürchten zu müssen, festgenommen zu werden. Ja, wenn heute wenigstens Halloween wäre. Ist aber nicht. Eine offene Flasche mit Wasser für die Blumen ist meine Rettung, denn das Leitungswasser ist während meiner Abwesenheit abgestellt worden, der Haus-Ingenieur nicht erreichbar. Wie soll ich hier wieder Fuß fassen? Ich telefoniere mit Horst: Unser Lieblingsrestaurant hat dicht gemacht. Und jetzt? Ach wie schön war Pattaya noch vor zwanzig Jahren! Alles war klar, alles wie immer und alles improvisiert. Aber die Zeit fließt. Ich auch. Gestern noch vier Grad minus, jetzt 30 Grad. Und nichts passt, und nichts ist da, und nichts stimmt mehr. Was ist aus meinem Paradies geworden? Meine Lebensfreude sinkt, und schon höre ich, dass die Preise hier massiv ansteigen sollen, sofern sie es nicht schon sind. Als Kleinrentner wäre es wohl an der Zeit, dieses Land zu verlassen. Für mich kommt das nicht in Frage. Ich weiß, warum ich hier als Farang über zwanzig Jahre glücklich gelebt habe. Aber ich weiß auch, dass Thailand nicht das Paradies ist, weder für Farangs als auch nicht für Einheimische, von denen viele hier einiges in Kauf nehmen müssen, um zu überleben. Der Flug von Frankfurt nach Bangkok war angenehm und ruhig, aber ich fand leider keinen Schlaf. Ich las diverse Zeitungen, erfuhr von Vulkan­ausbrüchen und Flugzeugabstürzen, aber auch davon, wie eine Familie in Syrien mit drei Kindern nach vier Tagen aus dem Keller eines zerbombten Hauses lebend geborgen wurde. Das lässt mein Herz wieder etwas höher schlagen. So geht es rauf und runter. In Mainz habe ich aus meinen Callolo-Büchern gelesen und damit viele Besucher erfreut. Außerdem wurde mir dort höchst offiziell der „Satirische Seniorenstift“ überreicht unter großer Anteilnahme der Presse. Ich will damit nicht angeben. Solche Ehrungen gehen mir im Grunde am Allerwertesten vorbei. Aber, wenn ich bei solchen Veranstaltungen Einnahmen erziele, die ich dem Kinderhilfswerk Human Help Network zur Verfügung stelle, das mit dem Geld Straßenkindern eine Zukunft gibt, dann hat das für mich doch einen Sinn und einen Zweck. Kürzlich durfte ich meinen 80sten Geburtstag feiern, relativ gesund und gleichzeitig relativ alt. Trotzdem, das von mir 1966 gegründete „unterhaus“ in Mainz blüht und gedeiht. Und der gerade verliehene erste DEUTSCHE KLEINKUNSTPREIS, den ich im Jahre 1972 ins Leben rief, gilt immer noch als die höchste Auszeichnung in den Sparten Kabarett, Chanson und Kleinkunst. So sitzt man denn hier als alter Mann in Thailand in seinem ganz aktuellen Chaos und träumt von der Vergangenheit. Ich weiß, ich bin nicht der Einzige. Aber für uns alle ist das das Einzige was von uns bleibt. Ich denke, wer etwas hinterlassen kann, das ihn überlebt, darf wirklich stolz sein oder sich glücklich fühlen. Andere sind stolz darauf, die Stradivari unter den Arschgeigen zu sein. Darauf kann ich gerne verzichten.

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