Südafrika mobilisiert Militär im Kampf gegen Anarchie

Chaos am Kap 

Unruhen in Südafrika nach der Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Zuma. Foto: epa/Str
Unruhen in Südafrika nach der Verurteilung des ehemaligen Präsidenten Zuma. Foto: epa/Str

DURBAN: Gewalttätige Ausschreitungen stürzen Südafrika nach der Inhaftierung von Ex-Präsident Zuma ins Chaos. In einem Klima der Gesetzlosigkeit wird geplündert und gebrandschatzt. Es gibt Tote und Verletzte. Nun soll es das Militär richten - was wiederum neue Proteste provoziert.

Brennende Blockaden, Schüsse, Chaos und machtlose Polizisten: In Südafrikas Wirtschaftszentrum rund um Johannesburg sowie in der östlichen KwaZulu-Natal-Provinz tobt seit Tagen die Gewalt. Es gibt Tote und Verletzte, brennende Einkaufszentren und blockierte Autobahnen und Fernstraßen. Sie bringen wichtige Logistikketten, aber auch Busse und Bahnen in Afrikas stärkster Wirtschaftsnation zum Stillstand. Die Gewaltbereitschaft schockiert. Am Montagabend erwähnte Präsident Cyril Ramaphosa in seiner Rede an die Nation insgesamt zehn Tote und vier verletzte Polizisten. «Anarchie», titelte die Zeitung «The Citizen» auf ihrer Titelseite.

Während Ramaphosas Rede an die Nation zeigte das TV im Laufband Live-Bilder aus einem Einkaufszentrum in Durban, in dem Menschen ungehindert mit Körben und anderen Behältern zum Plündern schlenderten. «Das sind nicht wir», sagte ein ernst dreinblickender Präsident. Was als örtliche Proteste gegen die Inhaftierung von Ex-Präsident Jacob Zuma begann, hat sich längst verselbstständigt und eine neue Dynamik entfaltet. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Frustration vieler Südafrikaner über die durch Covid-Beschränkungen noch verstärkte Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie krasse Ungleichheit brach sich plötzlich eine Art kollektiver Rausch Bahn.

«Das wirkt wie ein Schlussverkauf kurz nach Weihnachten», sagte ein Reporter, der mit Polizisten ganze Menschenscharen beim Plündern beobachtete. Augenzeugen berichteten vor laufender Kamera über Menschen, die mit Mittelklassewagen vorfuhren und Kühlschränke, Betten, Kleider, Schuhe oder selbst Möbel wegschafften. Die Ordnungshüter mussten angesichts der krassen Überzahl machtlos zusehen oder vor Steinewerfern in Deckung gehen. Plünderer spielten Katz und Maus und kamen zurück, sobald die Polizisten weg waren.

Weggetragen wurde alles, was sich irgendwie mitnehmen ließ: Handys, TV-Geräte, Tüten voller Lebensmittel, aber auch Türen oder Kassen. Selbst das Bild eines jungen Plünderers mit einem Dildo in der Hand machte die Runde in den sozialen Medien. Dort organisierten sich - etwa in Durban - Nachbarschaftshilfen, um ein Überschwappen der Anarchie in die Wohngebiete zu verhindern. In der dortigen Provinz KwaZulu-Natal leben laut dem deutschen Konsulat knapp 5000 Deutsche - und etwa die dreifache Anzahl an sogenannten «Springbock-Deutschen» - deutschstämmigen Südafrikanern. «Unsere Community ist auf Standby - die brennen jetzt sogar Zuckerfarmen runter», sagte Chris Schädle, der in dem Küstenort Salt Rock sein Restaurant «Siggi's» betreibt.

In der Hafenstadt Durban, die eine Städtepartnerschaft mit Bremen pflegt, wird auch die Feier zum 50-jährigen Bestehen der deutschen Schule von der Gewalt überschattet. Die Stadt verfügt über einen der wichtigsten Häfen des Kontinents - die Autobahn N3 von Durban ins Industriezentrum rund um Johannesburg ist daher eine der wichtigsten Verkehrsachsen des Landes. Nun ist sie angesichts der vielen abgefackelten Lastwagen auf unbestimmte Zeit geschlossen. Präsident Ramaphosa warnte davor, dass dadurch die Nahrungssicherheit wie auch die Impfkampagnen gegen Covid-19 nachhaltig gefährdet sind.

Obwohl Nelson Mandelas Traum einer friedvollen Regenbogennation in der Vergangenheit schon immer wieder getrübt wurde durch fremdenfeindliche Gewaltexzesse gegen Afrikaner aus anderen Teilen des Kontinents, droht nun ein Alptraum.

«Ramaphosa erklärt uns, dass er keine Kontrolle mehr hat», sagte der Sprecher der oppositionellen Wirtschaftlichen Freiheitskämpfer (EFF), Vuyani Pemba, in einem TV-Interview. Der Präsident kämpft an mehreren Fronten: Einerseits muss er galoppierende Infektionszahlen bei der mittlerweile dritten Corona-Infektionswelle stoppen, und andererseits muss er seinen Afrikanischen Nationalkongress (ANC) reformieren, der unter der Amtszeit seines Vorgängers Jacob Zuma zunehmend im Sumpf einer Klientel- und Günstlingsclique festsaß. Zumas Inhaftierung galt daher als wichtiger Meilenstein für die junge Demokratie.

Zudem muss der Staatschef dringend Arbeitsplätze schaffen. Denn eine der härtesten Ausgangssperren der Welt hat die Wirtschaftskrise aus der Vor-Pandemie-Zeit am Kap noch verschärft. Ganze Industrien - etwa im Tourismusbereich - ächzten unter Restriktionen. Viele Betriebe gaben auf. Die, die durchhielten, werden nun mit neuen Sorgen konfrontiert: Ladeneinrichtungen zerstört, Waren geplündert, kein Geld mehr in der Kasse. Zahlreiche Jobs drohen wegzufallen. Das Militär soll nun mit der Polizei die Sicherheit durchsetzen - was wiederum dem populistischen EFF-Politiker Julius Malema missfällt. Er kündigte für den Fall der Mobilisierung Proteste seiner Anhänger an.

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