Buschratten und Schafsdärme - Einfuhrkontrollen im Hamburger Hafen

Foto: epa/Focke Strangmann
Foto: epa/Focke Strangmann

HAMBURG (dpa) - Was auf den Tellern der Europäer landet, kommt nicht selten von weit her. Dennoch müssen Lebensmittel aus aller Welt den EU-Standards entsprechen. Im Hamburger Hafen haben Einfuhrkontrolleure ein Auge darauf.

Sie steht an der EU-Außengrenze - mitten in Hamburg. «Alles, was über den Hamburger Hafen aus Nicht-EU-Ländern ankommt und tierischer Herkunft ist, wird von uns im Veterinär- und Einfuhramt kontrolliert, zu 100 Prozent», sagt Bettina Gerulat. Die 53-jährige Tierärztin ist als Amtsleiterin Chefin von 35 Kontrolleuren, die im Hamburger Hafen aufpassen, was durch das Tor zur Welt auf den EU-Binnenmarkt und schließlich auf die Teller der Verbraucher kommt.

Bei tierischen Produkten ist das in zweierlei Hinsicht heikel. «Bei den Kontrollen im tierischen Bereich geht es nicht nur um die Lebensmittelsicherheit, sondern auch um die Tierseuchenabwehr (...) Wenn eine Seuche erst einmal im Binnenmarkt ist, dann ist es meist zu spät.» Nicht nur Lebensmittel tierischer Herkunft würden deshalb unter die Lupe genommen, sondern auch Häute und überhaupt alles, was tierischen Ursprungs sei.

Nicht ganz so rigide läuft es bei Lebensmitteln nicht tierischer Herkunft. «Da wird das kontrolliert, was besonderen Schutzmaßnahmen unterliegt. Das sind aktuell beispielsweise Pistazien, Feigen oder Haselnüsse aus bestimmten Ländern aufgrund einer Aflatoxin-Problematik», sagt Gerulat und meint giftige Stoffwechselprodukte von Schimmelpilzen. Kontrolliert wird beispielsweise auch Tee aus China wegen möglicher Pestizidbelastung.

«Es handelt sich bei den nicht tierischen Lebensmitteln um solche, die per se problematisch oder schon einmal aufgefallen sind.» So wie die Tiefkühl-Erdbeeren aus China, die hierzulande vor sechs Jahren vor allem in Kindergärten einen Norovirus-Ausbruch verursacht hatten - den mit knapp 11 000 Fällen bis dato größten lebensmittelbedingten Krankheitsausbruch in Deutschland. «Danach wurden diese Erdbeeren bei der Einfuhr in die EU untersuchungspflichtig.» Nach ein paar Jahren Kontrolle ohne weiteren Befund würden sie inzwischen aber nicht mehr generell überprüft.

Lebende Tiere kommen nicht mehr im Hamburger Hafen an - zumindest nicht solche, die für den menschlichen Verzehr bestimmt sind. Deshalb sei das Veterinär- und Einfuhramt eigentlich auch nicht für die Kontrolle lebender Tiere zugelassen, sagt Gerulat. Einzige Ausnahme: «Lebende Angel-Würmer aus Kanada dürfen wir schon noch kontrollieren.» Die kämen noch im Container im Hafen an, um dann an europäischen Haken zu landen. Seit ein paar Jahren werden auch Küchenutensilien aus China und Hongkong auf Schadstoffe überprüft.

Damit Kontrollen bei Verdachtsfällen nicht nur in Hamburg, sondern auch in Rotterdam, Antwerpen, Marseille oder sonst wo in Europa sofort erfolgen können, gibt es ein EU-Schnellmeldesystem. «Wenn beispielsweise bei einer Einfuhrkontrolle in Spanien Schwermetall in Thunfisch aus einem bestimmten Betrieb gefunden wurde, dann wird das über ein EU-System gemeldet», sagt Gerulat. Alle weiteren Sendungen des Betriebes würden dann überall an der EU-Außengrenze auf Schwermetalle kontrolliert und festgehalten, bis geklärt sei, ob es sich um einen Einzelfall handelt oder Schwermetall in mehreren Lieferungen vorkommt. «Solche Meldungen kommen im Schnitt drei bis vier Mal in der Woche vor.»

Der für einen deutschen Discounter bestimmte Dosen-Thunfisch, der gerade in einem vollgepackten Container von einem LKW an eine der Rampen des Kontrollzentrums gefahren wird, erweist sich als unbedenklich. Aber das sei nicht immer so. «Histamin kann bei Thunfisch zum Problem werden, wenn der Fisch nicht mehr ganz frisch in die Dose kommt. Und das führt dann häufig zu allergischen Reaktionen».

Die Kontrolleure haben ein waches Auge - und nicht nur das. Die Prüfungen erfolgen dreistufig: «Die Einfuhrdokumente werden geprüft, dann wird kontrolliert, ob das, was im Container ist, zu den Papieren passt, und schließlich wird die Ware selbst kontrolliert.» Die Kontrollen erfolgen in erster Linie sensorisch, also Aussehen, Geruch, Geschmack. Auch Temperatur und pH-Wert können direkt im Kontrollzentrum gemessen werden. Für umfangreichere Analysen gehen Proben ins Labor. Immer haben die Kontrolleure den Zeitdruck im Nacken, denn die LKW-Fahrer warten darauf, die Sendungen weiter zu transportieren.

Wird bei der Einfuhr etwas beanstandet, ist aber meist schon im Hafen Schluss. «Die erste und am häufigsten gewählte Konsequenz bei Beanstandungen ist: Zurück mit der Ware ins Ursprungsland.» Eher selten werde eine unschädliche Beseitigung verfügt, «weil dafür eine akute Gesundheitsgefährdung nachgewiesen werden muss». Und manchmal gebe es die Möglichkeit der Umwandlung. «Beispielsweise bei Tiefkühlfisch, der hier nicht mit Minus 18 Grad angekommen ist, sondern nur mit Minus 12 Grad. Als Lebensmittel ist dieser nicht mehr akzeptabel, aber es ist möglich, daraus noch Fischmehl für die Tierfutterproduktion zu machen.» Dann darf der Fisch doch noch zur Weiterverarbeitung in den Binnenmarkt.

Bei den Lieferungen gehe es schließlich meist um große Werte. «Bei einem gut gefüllten Container sind wir schnell im sechsstelligen Bereich», sagt Gerulat. Rund 28 000 Sendungen pro Jahr würden im Kontrollzentrum am Reiherdamm und einer weiteren Hafen-Kontrollstelle in Altenwerder überprüft.

Die weiß gekachelten Kontrollstellen gleichen Reinräumen: Weiß gewandete Kontrolleure mit Haarnetzen öffnen Container, nehmen Proben von einer Sesam-Lieferung aus Indien, zerteilen mit einer Bandsäge tiefgefrorenes Rindfleisch aus Brasilien, verkosten Honig aus China, legen Proben an. «Den Sesam aus Indien kontrollieren wir im Moment, weil es bei früheren Lieferungen in die EU eine Salmonellen-Belastung gab.» Der chinesische Honig ist fast farblos und schmeckt eigentlich nur süß. «Da stellt sich manchmal die Frage, ob es überhaupt Honig ist», meint Gerulat. «Aber bisher war es immer Honig.»

Manchmal brächten Proben auch spezielle Probleme mit sich, etwa bei den Sesam-Säcken, die für den Transport im Container meist gegen Schädlinge begast seien. «Diese oft geruchlosen Substanzen können auch für Menschen gefährlich, im schlimmsten Fall bei einer sehr hohen Belastung sogar tödlich sein. Deshalb müssen die Container zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bei uns und bei den Importeuren erst gründlich belüftet werden.»

An einer anderen Rampe wird ein Container mit Schafsdärmen aus China untersucht. In Salzlake eingelegt, sind sie für den Transport in blauen Plastikfässern verpackt. «Fast alle Därme, die sich dann als «zarter Saitling» auch um deutsche Würste hüllen, kommen aus China.» Wobei die meisten Tiere China nie lebend gesehen hätten. «Dort hat man sich nur auf die Aufarbeitung spezialisiert, auch wegen der vergleichsweise geringen Arbeitskosten», weiß Karin Bauer. Die 61-Jährige ist Leiterin der Grenzkontrollstelle Hafen.

Die hauchdünnen Schafsdärme sind gereinigt und bereits auf Plastikstreifen gezogen, damit sie in der Wurstfabrik gleich in die Maschinen eingelegt werden können. Riechen tun sie wider Erwarten nicht. Die chinesische Ware sei begehrt, sagt Bauer. «Ein Container mit hochwertigen Därmen kann schon bis zu einer Million Euro wert sein.»

Die 61-Jährige ist wie Gerulat Tierärztin. «Unter unseren Kontrolleuren haben wir aber nicht nur Veterinäre, sondern auch ausgebildete Schlachter, die sogar Schafs- von Ziegendärmen unterscheiden können», erzählt sie. Und das sei gar nicht so einfach. Es gebe im Team auch Köche und Bäcker. «Voraussetzung für die Arbeit als Kontrolleur ist eine abgeschlossene Ausbildung im Lebensmittelbereich - vorzugsweise in einem Bereich, bei dem die Lebensmittelhygiene eine große Rolle spielt.»

Die beiden Frauen kontrollieren seit 12 beziehungsweise 15 Jahren tierische Produkte und Lebensmittel im Hafen. «Man wird in gewissem Sinn schon ein bisschen verdorben durch die Arbeit hier», sagt Gerulat. Sie bevorzuge jetzt südamerikanisches Rindfleisch; es schmecke ihr einfach am besten. «Das liegt sicher auch am Wissen über die Haltung der Tiere und die Reifezeit des Fleisches, die durch den Transportweg ja auch noch begünstigt wird.» Auch deshalb mache sie den Job so gern: «Er berührt meine Lebenswelt. Ich esse ja auch jeden Tag.»

Ihre außergewöhnlichste Kontrolle in all den Jahren? «Das waren wahrscheinlich die geräucherten Buschratten aus Afrika, die nicht wirklich wie Lebensmittel aussahen und auch nicht so rochen», sagt Gerulat - noch immer ein wenig angewidert. «Die haben wir auch entsprechend direkt zurückgewiesen.»

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