Bundestags-Reform statt «unmenschlicher» Nachtsitzungen

Zahlreiche Plätze sind während einer Nachtsitzung des Bundestages nicht besetzt. Foto: Paul Zinken/Dpa
Zahlreiche Plätze sind während einer Nachtsitzung des Bundestages nicht besetzt. Foto: Paul Zinken/Dpa

BERLIN (dpa) - Das Klischee vom faulen Abgeordneten ist weit verbreitet. Dabei dauert so manche Plenarsitzung im Bundestag weit länger als 15 Stunden. Doch Extrem-Sitzungen bis tief in die Nacht sollen von dieser Woche an der Vergangenheit angehören.

Nachts um 2.09 Uhr wurde Anfang November eine Bundestags-Sitzung abgebrochen - nicht etwa wegen Erschöpfung der Abgeordneten, sondern weil auf Antrag der AfD beim viertletzten Tagesordnungspunkt die Beschlussunfähigkeit des Parlaments festgestellt worden war. Streng genommen ist der Bundestag nämlich nur dann beschlussfähig, wenn die Hälfte der 709 Abgeordneten anwesend ist. Doch da die Plenarsitzung zu diesem Zeitpunkt bereits 17 Stunden alt war, verloren sich - wie üblich um diese Uhrzeit - nur noch einige Dutzend Parlamentarier unter der Reichstagskuppel.

Wenige Stunden zuvor hatte Anke Domscheit-Berg von der Linken bereits die Arbeitsbedingungen im Bundestag als «unmenschlich» gebrandmarkt. Binnen weniger Stunden waren im Plenum nämlich zwei Abgeordnete zusammengebrochen. Diese Vorfälle haben nun zu einer Reform der Sitzungswoche geführt, die künftig Plenardebatten bis in die frühen Morgenstunden verhindern soll. Spätestens um 0.00 Uhr soll künftig Feierabend sein - nicht nur für die Abgeordneten, sondern auch für die Mitarbeiter des Bundestags wie Saaldiener und Stenografen.

In dieser Woche wollen die Parlamentarier erstmals nach den neuen Regeln verfahren. Vom Donnerstag, an dem die Sitzungen zuletzt regelmäßig bis weit nach Mitternacht gingen, werden fünf Tagesordnungspunkte auf den Mittwoch vorgezogen. Dafür wird die Fragestunde am Mittwoch von 90 auf 60 Minuten verkürzt, und viele kleinere Debatten sollen statt 38 Minuten in Zukunft nur noch 30 Minuten dauern. In den Abendstunden tauschen meist ohnehin nur noch die jeweiligen Fachpolitiker ihre Argumente aus, die sie bereits aus den Ausschüssen kennen. Die eigentliche Parlamentsarbeit wird nämlich nicht im Plenum, sondern in den gut zwei Dutzend Fachausschüssen erledigt.

Formal muss die reformierte Tagesordnung noch am Mittwoch zum Sitzungsbeginn von den Parlamentariern beschlossen werden, weil das notwendige Einvernehmen im Ältestenrat Ende November am Widerstand der AfD gescheitert war. Doch die Mehrheit im Plenum dürfte sicher sein, denn alle anderen Fraktionen befürworten die Neuordnung der Sitzungswochen.

Die kürzeren Debatten führen aber auch zu kürzeren Redezeiten, was bei der AfD auf Kritik stößt. Sie möchte stattdessen die Zahl der Sitzungswochen erhöhen. Das lehnen jedoch die anderen Parteien ab, weil sie dadurch die Präsenz der Abgeordneten in ihren Wahlkreisen gefährdet sehen. Aber es gibt auch andere Reformvorschläge: Die FDP möchte etwa Zeit sparen, indem die derzeitigen Abstimmungen mit Wahlurnen und Stimmkarten durch ein elektronisches Verfahren ersetzt werden. Die Linke wirbt dafür, schon den Montag in der Sitzungswoche zum Präsenztag zu erklären.

Reformen sind jedenfalls notwendig, denn der Einzug der AfD hat die Abläufe im Bundestag verändert: Vollgepackte Tagesordnungen, bei denen das errechnete Ende der Plenarsitzung in den frühen Morgenstunden liegt, waren auch in der Vergangenheit der Normalfall. In den bisherigen Legislaturperioden wurde das Problem aber dadurch gelöst, dass die Abgeordneten ihre vorbereiteten Reden am Abend oft nicht mehr hielten, sondern schriftlich zu Protokoll gaben.

Doch die AfD weigert sich grundsätzlich, ihre Reden zu Protokoll zu geben. Und die anderen Fraktionen wollen der AfD nicht das Feld überlassen und schicken deshalb ebenfalls mindestens einen Abgeordneten ans Rednerpult. Das zieht die Sitzungen in die Länge. Ob dieses Problem durch die jetzt vereinbarte Reform gelöst wird, müssen die kommenden Monate zeigen.

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