Kampf um Malis Zukunft in Schulen

Foto: epa/Tanya Bindra
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MOPTI (dpa) - Wenn Islamisten in Mali Schulen angreifen, töten sie Lehrer und verbrennen Schulbücher. Hunderttausende Kinder gehen nicht mehr zur Schule.

Die Bundeswehr bemüht sich um eine Stabilisierung Malis. Doch beim Kampf um die Schulen wird geknausert. Es droht eine verlorene Generation - und eine Zunahme der Fluchtbewegung nach Europa.

Djeneba Djiguiba spricht nur zögerlich vom Angriff radikaler Islamisten auf ihre Schule im Zentrum Malis. «Sie sind mit Waffen gekommen. Sie haben die Schule geschlossen und haben die Leute bedroht», erinnert sich die Zwölfjährige. «Dann haben sie auch Leute getötet.» Ihr Vater Ibrahim Djiguiba (42) war Lehrer an jener Schule im Norden der Region Mopti. «Sie haben auch einen Kollegen in seinem Klassenzimmer vor den Schülern getötet.» Spätestens dann sei klar gewesen, dass die Familie rasch fliehen müsse, sagt Djiguiba. Er lud seine Frau, die vier Kinder und ein paar Habseligkeiten in ein Boot und floh auf dem Fluss Niger in Richtung der Provinzhauptstadt Mopti.

Während sich rund 1.000 Soldaten der Bundeswehr und etwa 12.000 weitere UN-Blauhelme um eine Stabilisierung Malis bemühen, wird der eigentliche Kampf um die Zukunft des armen westafrikanischen Landes in den Klassenzimmern geführt. Mit der Terrorgruppe Al-Kaida verbundene Islamisten greifen im Norden und vor allem im Zentrum Malis immer mehr Schulen an. Sie lehnen die staatliche Bildung ab und setzen stattdessen auf Koranschulen, in denen vor allem indoktriniert wird. Rund 750 Schulen wurden dort laut UN-Kinderhilfswerk schon in Folge der Angriffe geschlossen. Fast die Hälfte der malischen Kinder im Grundschulalter - rund 1,2 Millionen - gehen nicht mehr zur Schule. Es droht eine verlorene Generation.

Durch den mangelnden Zugang zu Bildung bestehe langfristig die Gefahr, dass die Spannungen verschiedener Volksgruppen und der Konflikt andauern, erklärte Fran Equiza, der bis vor Kurzem Unicef-Landesdirektor in Mali war. Ohne Schulbildung fehlt Hunderttausenden Mädchen und Jungen Wissen und Handwerkszeug, um erfolgreich ins Leben zu starten. Die Kinder werden später ein geringeres Einkommen haben - und sind damit anfälliger für das Werben von Extremisten. Zudem wird es wahrscheinlicher, dass die Kinder später eine Flucht nach Europa erwägen. Heute in Bildung in Mali zu investieren, ist daher die Bekämpfung der Fluchtursachen von Morgen.

Die Zeit drängt: Die Hälfte der Bevölkerung in Mali ist heute noch unter 18. Zudem soll sich die Zahl der Einwohner UN-Prognosen zufolge bis 2050 auf mehr als 40 Millionen Menschen verdoppeln. Doch die Regierung ist jetzt schon überfordert. Der Staat gehört einem UN-Index zufolge zu den 15 ärmsten Ländern der Welt.

Im Norden und im Zentrum des Landes - einem Gebiet von etwa der doppelten Fläche Deutschlands - hat Malis Militär spätestens seit dem Vormarsch von Islamisten 2012 nichts mehr zu melden. Die Weiten der Sahelzone sind die Rückzugsgebiete islamistische Terrorgruppen.

Der Konflikt hat inzwischen auch die zentrale Stadt Mopti erreicht. Gut 100.000 Einwohner leben hier zumeist in flachen Lehmhäusern, die meisten Straßen sind ungeteert. Die Lebensader des Ortes ist der Fluss Bani, der hier mit dem Niger zusammenfließt. Dutzende kleine Boote liegen am Ufer, sie bringen Menschen, Fische oder Waren aus dem Umland. Doch die friedliche Atmosphäre trügt: Die von UN-Truppen und Regierung kontrollierte Stadt liegt am Ostufer, doch westlich des Flusses haben allein Dschihadisten das Sagen.

Viele Binnenflüchtlinge haben in Mopti Schutz gesucht, die Schulen dort sind zum Bersten gefüllt. In einem von Unicef gebauten Behelfsklassenzimmer in der Schule Moulaye Dembele etwa drängeln sich 98 Drittklässler. Bis zu vier Kinder teilen sich eine Schulbank, gelernt wird bei gut 30 Grad Celsius im Schatten.

«Wir haben hier keine Klassen mehr mit weniger als 80 Schülern», sagt Direktor Broulaye Doumbia. Die Zahl der Schüler insgesamt habe sich seit Beginn der Krise 2012 auf knapp 2.000 verdoppelt. Vor allem in den Behelfsklassenzimmern ohne richtige Mauern oder Fenster sei es schwierig zu unterrichten. «Es war nur als Übergangslösung gedacht. Aber jetzt ist die Krise ein permanenter Zustand geworden.»

Wenn die Islamisten in ein Dorf kommen, schüchtern sie die Lehrer ein, damit sie fliehen, wie der Leiter des Schulbezirks Mopti, Amadou Degueni, erklärt. «Als nächstes verbrennen sie alle Schulbücher, oft auch die Schulbänke», sagt er. Die Fundamentalisten lehnen nicht-religiöse Bildung ab, zudem greifen sie Dorfschulen an, weil diese oft die letzte verbliebene Vertretung des Staates sind. Sobald von den Schulen nichts mehr übrig sei, überließen sie die Dörfer wieder sich selbst. «Der Feind ist sehr mobil. Sie haben Motorräder und Kalaschnikows, das reicht», so Degueni.

Die Islamisten tolerieren und fördern in dem von ihnen kontrollierten Gebiet nur Koranschulen. Dort bekommen Kinder in der Regel eine rudimentäre Grundbildung sowie reichlich Belehrung zum Islam. In Mali gibt es nun Bemühungen, die Koranschulen unter das Dach der staatlichen Bildung zu bekommen. Das würde dem Staat einen gewissen Einfluss erlauben, letztlich aber auch den radikalen Islamisten in die Hände spielen. Degueni und Unicef werben für eine Integration der Koranschulen ins staatliche System. «Wer denkt, der Preis dafür ist zu hoch, der vergisst eins: Die Kosten der Unwissenheit der Kinder sind noch höher», so Degueni. «Wir brauchen wieder Frieden.»

Malis Bildungssystem ist natürlich nicht erst seit dem Vormarsch der Islamisten in der Krise: Die Lehrerausbildung steht seit langem in der Kritik, oft fehlt es an Schulmaterialien, zudem verlassen viele Mädchen die Schulen, weil sie sehr jung verheiratet werden. Kinder, die keine Grundschulbildung bekommen, sind natürlich auch in anderen Staaten Afrikas ein Problem - vor allem in Konfliktländern wie Südsudan, Kongo und Nigeria. Doch die Lage in Mali hat sich seit 2012 dramatisch zugespitzt, vor allem im Zentrum. «Die instabile Sicherheitslage hat das Problem der bereits extrem schlechten Schulen verschlimmert», erklärt Unicef-Bildungsexperte Joa Keis.

Aminata Yanogue gehört zu den Vertriebenen, die in Moptis Stadteil Sévaré Schutz und eine Schule gefunden haben. Ihre Familie floh 2013 aus dem nordöstlichen Gao, nachdem Islamisten dort die Macht an sich gerissen hatten. «Wer in die Schule ging, wurde von den Dschihadisten verprügelt», erinnert sich die 15-Jährige. Mädchen wurden auch bestraft, wenn sie auf der Straße spielten, wie Aminata berichtet.

Ein Jahr lang konnte sie nicht in die Schule gehen, bis die Familie nach Mopti floh. Hier lebt die Familie in einem kleinen Lehmhaus am Rand der Stadt. In Aminatas Klasse sind jetzt 86 Schüler, aber sie ist strebsam und voller Hoffnung. «Ich will einmal Ärztin werden», sagt sie. «Hier habe ich in der Schule auch keine Angst mehr.» Doch selbst in Sévaré ist Sicherheit nur relativ: Ende Juni verübten Terroristen einen tödlichen Anschlag auf einen Militärstützpunkt.

Mit der Beteiligung an der UN-Friedensmission - der aktuell gefährlichsten weltweit - hat Deutschland in Mali Verantwortung übernommen. Für die Bundeswehr ist Mali knapp hinter Afghanistan der zweitgrößte Auslandseinsatz. Er kostet pro Jahr derzeit etwa 270 Millionen Euro. Der Bildungssektor hingegen scheint sträflich vernachlässigt: In Afghanistan investierte Deutschland von 2013-2018 rund 350 Millionen Euro in Bildungsprojekte, in Mali nur 17 Millionen Euro, wie Zahlen des Berliner Entwicklungsministeriums zeigen. Unicef hat Geber für 2018 um rund 20 Millionen Euro gebeten - doch bis Mai ging erst gut eine Million Euro ein.

«Das Militärische scheint gegenüber Entwicklungsinitiativen klar Priorität zu haben», sagt Expertin Corinne Dufka, die stellvertretende Westafrika-Direktorin bei Human Rights Watch. Die internationale Gemeinschaft versäume es, sich mit den eigentlichen Ursachen des Konfliktes zu befassen, nämlich Korruption, Armut, einem schwachen Rechtsstaat sowie dem desolaten Gesundheits- und Bildungssystem. Dufka sagt: «Das sollte die oberste Priorität sein, doch das steht ganz unten auf der internationalen Agenda.»

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