Britisches Parlament stimmt für Johnsons Brexit-Deal

Foto: epa/Uk Parliamentary Recording Unit
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LONDON/BRÜSSEL (dpa) - Die Tage knapper Abstimmungsergebnisse sind vorbei. Mit der Zustimmung zum Ratifizierungsgesetz für den Brexit-Deal ist der EU-Austritt Großbritanniens am 31. Januar so gut wie besiegelt.

Machtsignal in London: Das britische Parlament hat am Freitag für das Brexit-Abkommen von Premierminister Boris Johnson gestimmt. Der Entwurf für das entsprechende Ratifizierungsgesetz wurde von der neuen Regierungsmehrheit der Konservativen in zweiter Lesung angenommen. Großbritannien ist damit einem EU-Austritt am 31. Januar einen großen Schritt näher gekommen. Johnsons Vorgängerin Theresa May war mit ihrem Abkommen drei Mal gescheitert.

Auf Kritik reagierte der Premier während der Debatte mit Augenrollen und Kopfschütteln. Nach dem überwältigenden Wahlsieg Johnsons hat die Opposition im Unterhaus keine Möglichkeiten mehr, ihm Steine in den Weg zu legen. Die weiteren Stufen im Gesetzgebungsverfahren sollen im Januar vollzogen werden. Doch das gilt beinahe als Formalie. Auch vom Oberhaus wird kein Widerstand erwartet.

Johnson hatte den Streit um den EU-Austritt zuvor für beendet erklärt. Der Deal bahne den Weg zu einem neuen Abkommen über die künftige Beziehung mit der EU, basierend auf einem ambitionierten Freihandelsabkommen «ohne Bindung an EU-Regeln», so Johnson. Er weckte damit Befürchtungen der Opposition, er könnte das Land auf ein dereguliertes Wirtschaftsmodell nach US-Vorbild zusteuern.

Für Kritik sorgte vor allem die Absage an eine mögliche Verlängerung der Übergangsfrist nach dem Brexit, die in dem Gesetzentwurf festgelegt ist. Beide Seiten haben nun lediglich bis Ende 2020 Zeit, um ein Anschlussabkommen auszuhandeln. Der Brexit-Experte der oppositionellen Labour-Partei, Keir Starmer, bezeichnete das als «skrupellos und lächerlich». Die Zeit sei «unglaublich kurz». Labour-Chef Jeremy Corbyn sprach von einem «schrecklichen Deal».

EU-Ratspräsident Charles Michel bezeichnete die Zustimmung des Unterhauses zum EU-Austrittsvertrag als wichtigen Schritt auf dem Weg zur Ratifizierung. Darüber hinaus betonte er auf Twitter, für die künftigen Beziehungen zwischen der EU und Großbritannien seien gleiche Wettbewerbsbedingungen unerlässlich. Darauf pochte auch Irlands Regierungschef Leo Varadkar. Handel sei für sein Land von existenzieller Bedeutung, doch es müsse fair zugehen. «Wir wollen nicht mit einem Großbritannien Handel treiben, das uns unterbietet», sagte Varadkar am Freitag vor Journalisten in Dublin.

Die britische Regierung hatte an dem Gesetzentwurf mehrere Änderungen vorgenommen. So wurden Bekenntnisse zu EU-Standards bei Arbeitnehmerrechten gestrichen. Auch Mitspracherechte für das Parlament bei den Verhandlungen über die künftigen Beziehungen zur Staatengemeinschaft wurden erheblich gestutzt.

CDU-Europapolitiker David McAllister bedauerte die Entscheidung des Parlaments für den Brexit: «Er ist und bleibt ein historischer Fehler.» Es gelte, nun eine möglichst enge Partnerschaft anzustreben.

Auch in der EU ist die Sorge groß, dass sich Großbritannien nach dem Austritt aus der Staatengemeinschaft mit Sozial-, Umwelt- oder Steuerdumping Wettbewerbsvorteile verschaffen könnte. «Das sehen wir leider sich jetzt schon andeuten», sagte die SPD-Europapolitikerin Katarina Barley im Deutschlandfunk und verwies auf die mögliche Schwächung von Arbeitnehmerrechten. Johnson dürfe kein «Paradies» für Steuerflucht und Arbeitnehmerdumping bekommen.

Barley hält ein Abkommen mit London binnen Jahresfrist für möglich, doch viele in Brüssel sind skeptisch. «Das hat alles etwas von Wolkenkuckucksheim», sagte ein EU-Diplomat. Dass Johnson eine Verlängerung der Übergangsphase schon jetzt gesetzlich ausschließen will, sei wohl nur als Drohung mit einem «No-Deal» Ende 2020 zu verstehen. «Das Drohpotenzial bleibt allerdings begrenzt: Die wirtschaftlichen Konsequenzen eines No-Deals wären für Großbritannien deutlich schwerwiegender als für die EU.»

Brexit-Experte Jürgen Matthes vom Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln erwartet bis Ende 2020 höchstens ein «einfaches» Abkommen für Zollfreiheit im Warenhandel. «Im Dienstleistungshandel ist dagegen nicht viel zu erwarten, so dass ab 2021 dann deutlich höhere Barrieren gelten werden, was vor allem für die Londoner Finanzmarktakteure nachteilig sein wird», erklärte Matthes der Deutschen Presse-Agentur. In jedem Fall werde die EU auf verbindliche Zusagen für ein «level playing field» bestehen. Gemeint sind vergleichbare Standards und Wettbewerbsbedingungen.

Der Bundesverband der Deutschen Industrie warnte, die Gefahr eines harten Bruchs sei noch nicht gebannt, wenn bis Ende der Übergangsphase kein Abkommen stehe. «Die Lage bleibt ernst», erklärte BDI-Hauptgeschäftsführer Joachim Lang.

Der Präsident des Deutschen Industrie- und Handelskammertags (DIHK) Eric Schweitzer begrüßte die Zustimmung des Unterhauses als «Verschnaufpause». Durch die Übergangsphase würden die negativen wirtschaftlichen Folgen vorerst vermieden. Er warnte aber, die Frist sei sehr kurz: «Die Unternehmen auf beiden Seiten des Kanals brauchen jetzt schnell eine wirtschaftliche Basis mit fairen Spielregeln und nachhaltigen Beziehungen.» Sonst drohe Ende 2020 ein ungeregelter Brexit, der die Wertschöpfungs- und Lieferketten vieler Unternehmen empfindlich stören werde.

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Leserkommentare

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Rudolf Lippert 24.12.19 10:05
Deutsche Presse und Politiker
SPD und zwangsfinanzierte Staatssender, ein Dreamteam. Der Hintergrund von Barleys Aussage ist, dass GB sich freimachen kann und sehr attraktiv für Unternehmer werden wird. DE wird für alles die Zeche zahlen, und dumm wie es ist, fühlt es sich als Retter der Welt und Europas dabei. Es baggert an immer neuen und immens teuren Baustellen und das vor allem gleichzeitig (Kohle- Atom- Verbrennungsmotor Ausstieg, Masseneinwanderung in die Sozialsysteme, jetzt horrende Luftsteuern, 1000 Mrd. EU-EUR für CO2-Freiheit Europas usw.). Tiefe Gräben zu Russland und Trump-Amerika, Frankreich wendet sich Russland zu und versucht DE zu dominieren. Die Geldpolitik wird von den Südländern bestimmt. DE rennt mit seinen Konsorten in eine Isolation und Abstieg während GB ein festes Bündnis mit Amerika aufbaut und sich von all dem distanziert. Nicht GB wird verlieren, sondern DE und Konsorten.
TheO Swisshai 23.12.19 22:34
Nicht bekommen, GB hat schon
Johnson braucht kein Paradies für Steuerflucht zu bekommen, weil GB jetzt schon genügend Steueroasen hat, City of London, Cayman Islands, Jersey, Guernsey, Anguilla, Bermudas, Britische Jungferninseln etc.
TheO Swisshai 22.12.19 10:23
Großartig
Großbritannien wird sicher kein Entwicklungsland, aber vielleicht ein aufgespaltenes Kleinbritannien. Gratulation Johnson.