Britischer Wahlkampf im Netz

Shitposts, Fake-News und Cyberattacken

Foto: epa/Jonathan Hordle
Foto: epa/Jonathan Hordle

LONDON (dpa) - Am 12. Dezember sollen die Briten ein neues Parlament wählen. Der Wahlkampf wird zunehmend auf Facebook, Twitter und Co. ausgetragen. Dort wird nicht nur mit sauberen Methoden gekämpft.

Hat der Brexit-Experte der britischen Labour-Partei keinen Plan, wie er die EU zum Nachverhandeln des Austrittsabkommens bewegen will? So schien es zumindest in einem Videoclip, den die Konservative Partei von Premierminister Boris Johnson zu Beginn des Wahlkampfs anfertigte und per Twitter verbreitete. Am 12. Dezember sollen die Briten ein neues Parlament wählen.

Der als eloquent bekannte Labour-Politiker Keir Starmer ist in dem Clip im Frühstücksfernsehen des Senders ITV zu sehen. Warum die EU ihm einen guten Deal geben soll, will Moderator Piers Morgan wissen. Statt zu antworten, blickt Starmer scheinbar ratlos in die Kamera, fährt sich mit der Zunge über die Lippen, schweigt.

Doch der Schein trügt. Das Video ist manipuliert. Aufzeichnungen der Sendung beweisen, dass Starmer sofort eine Antwort parat hatte. Die Szene seines Schweigens entstand wenige Sekunden vorher, während er sich die Frage anhörte. Eine Woche später entschuldigte sich ein Tory-Politiker. Doch das manipulierte Video war bereits mehr als eine Million Mal angesehen worden. Noch immer geht es durchs Netz.

Doch nicht immer ist so leicht festzustellen, wer hinter einer irreführenden Kampagne steht. Zum Beispiel kursiert in verschiedenen sozialen Netzwerken seit einigen Monaten ein Gerücht über die Chefin der britischen Liberaldemokraten Jo Swinson. Behauptet wird, die proeuropäische Politikerin, die den Brexit abwenden will, habe finanzielle Interessen an der EU-Mitgliedschaft ihres Landes. Ihr Mann sei Chef eines Unternehmens, das regelmäßig Fördergelder in Höhe mehrere Millionen Euro erhalte.

Fakt ist, dass der Ehemann der Politikerin für den britischen Ableger der Transparency-Bewegung arbeitet. Das ist ein gemeinnütziger Verein, der sich gegen Korruption einsetzt. Die Dachorganisation Transparency International mit Sitz in Berlin weist in ihrem finanziellen Jahresabschlussbericht für 2018 tatsächlich von der EU-Kommission empfangene Mittel in Millionenhöhe aus. Doch das Geld wurde weder für die Arbeit des britischen Ablegers verwendet, noch deutet irgendetwas darauf hin, dass es in die private Tasche von Mitarbeitern geflossen sein könnte.

Wer steckt hinter solchen Gerüchten? Die BBC machte in diesem Fall einen Twitter-Nutzer ausfindig, der sich auf Nachfrage als in Nord-Wales lebender Italiener vorstellte. Dahinter scheint kein System zu stecken, doch sein irreführender Tweet von Ende September wurde in verschiedenen Varianten von Unterstützern unterschiedlicher Parteien immer wieder aufgegriffen und schließlich massenhaft verbreitet.

Nicht immer erreichen Fake-News ihr Ziel: Ein ehemaliger Kandidat der Brexit-Partei freute sich zum Beispiel über die zusätzliche Aufmerksamkeit, die ihm ein gefälschter Twitter-Account bescherte. «Ich wurde von so vielen Medien kontaktiert», sagte Wayne Bayle dem Online-Magazin «Politico», nachdem auf einem Fake-Account in seinem Namen scharfe Kritik an Parteichef Nigel Farage zu lesen war. Mehrere britische Medien kontaktierten den bis dahin weitgehend unbekannten Politiker.

Twitter hat inzwischen angekündigt, keine Wahlwerbung mehr zu verbreiten. «Wir glauben, dass Reichweite für politische Botschaften verdient werden muss, statt erkauft zu werden», begründete Twitter-Chef Jack Dorsey den weltweiten Stopp von politischer Werbung Ende Oktober. Die neue Regelung soll vom 22. November an greifen. Doch das hilft nichts gegen Falschnachrichten, die sich auch ohne weiteres Zutun wie Lauffeuer verbreiten.

Für die Parlamentswahl in Großbritannien ohnehin viel wichtiger ist Facebook. Der Datenbank Statista zufolge hat die Plattform rund 37 Millionen Mitglieder in Großbritannien. Beim Brexit-Referendum im Jahr 2016 spielte sie mutmaßlich eine entscheidende Rolle.

Brexit-Wahlkampfstratege Dominic Cummings, der inzwischen die Fäden in der Downing Street zieht, erklärte bei einer Konferenz, wie seine Mitarbeiter per Facebook ihre Botschaften an den Mann brachten. Die Plattform erlaubt, Zielgruppen beispielsweise nach Alter und Wohnort für bestimmte Botschaften auszuwählen. «Wir hielten fast unser ganzes Budget zurück. In den letzten zehn Tagen, aber wirklich in den letzten drei bis vier Tagen hauten wir es raus», so Cummings. Rund 1,5 Milliarden digitale Wahlwerbeanzeigen seien so an etwa sieben Millionen Menschen gegangen. Unklar ist, wie genau die Brexit-Kampagne ihre Zielgruppen auswählte und ob dabei unrechtmäßig erlangte Facebook-Daten im Spiel gewesen sein könnten.

Facebook hat inzwischen seine Regeln verschärft. Wahlwerbung muss in einer digitalen Bibliothek, der Ad Library, registriert werden. In dem öffentlich einsehbaren Register wird auch erfasst, wer dafür bezahlt hat und wie viel. Auch der Landesteil und das Alter der Zielgruppe sind ersichtlich. Allein zwischen Juli und September löschte Facebook weltweit 1,7 Milliarden falsche Accounts. Zudem arbeitet das Online-Netzwerk inzwischen mit unabhängigen Fakten-Checkern zusammen, die zweifelhafte Posts markieren. Zur US-Präsidentenwahl 2020 will Facebook auch speziell Versuche unterbinden, Menschen von der Abstimmung fernzuhalten.

Doch bei Weitem nicht immer erreicht Internet-Wahlwerbung das Niveau einer professionell konzipierten Anzeige. Oft sind es sehr einfache, geradezu plump gemachte Botschaften, die nur aus Text oder einfachen Bildercollagen oder Screenshots bestehen, die sich als viral erweisen. «Boomer Memes» wird dieses Format genannt, weil es sich vor allem an die Generation der Baby-Boomer richtet.

Noch einfacher ist das sogenannte Shitposting - hinter dem Begriff verbirgt sich eine Art des digitalen Zwischenrufs. Meist sind es provokative Statements, die in Kommentarspalten oder Chats massenhaft gepostet werden. Ein Beispiel dafür sind identische Posts wie «Brilliant Boris» oder «I support Boris 100%» (Ich unterstütze Boris zu 100 Prozent), die zu Tausenden auf der Facebook-Seite des Premierministers und auf den Seiten von Medien hinterlassen werden. Unklar ist, ob sich dahinter eventuell Bots verbergen - also ob die Posts automatisch generiert werden - und wer diese Aktionen ins Rollen bringt.

Auch zu einem regelrechten Cyber-Angriff kam es im britischen Wahlkampf bereits. Die Labour Party meldete Anfang November eine Attacke auf ihre Systeme. Laut dem Nationalen Zentrum für Cybersicherheit (NCSC) handelte es sich um einen sogenannten DDOS-Angriff. Dabei werden Server mit einer Flut sinnloser Anfragen von gekaperten Rechnern in die Knie gezwungen. Wer dahinter steckte, blieb unklar.

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