Brief an einen Freund

Brief an einen Freund
Brief an einen Freund

Lieber Freund, wie Du mir schreibst, hast Du im Land des Lächelns die Frau Deines Lebens gefunden und beabsichtigst, in Deutschland alles aufzugeben und Dich für den Rest Deiner Tage im Isaan von Deinem Schatz verwöhnen zu lassen.

Ein löblicher Vorsatz, den so mancher Farang (auch ich) in die Tat umgesetzt hat. Bevor Du Dich aber nun daran machst, Deine Träume zu verwirklichen, möchte ich Dir doch ein paar Fakten beibringen, die Du wissen solltest, und die - wie die meisten von uns erfahren haben - Träume manchmal zu Alpträumen werden lassen.

Sitten & Bräuche

Es reicht für Deinen dauerhaften Seelenfrieden nicht aus, dass Du Dir so ein Wesen mit Mandelaugen und zarter dunkler Haut eingefangen hast, sondern Du mußt auch gewillt und in der Lage sein, was damit auf Dich zukommt ohne Herzinfarkt zu überstehen. Mach Dir dazu zunächst einmal klar, unter welchen Verhältnissen das Mädchen aufgewachsen und erzogen worden ist. Die Hütte, in der sie auf dem Dorf aufgewachsen ist, hatte nur einen Lehmboden, auf den Papier und kleinere Abfälle einfach fallengelassen und dann einmal täglich vor die Tür gekehrt wurden. Mangels Möbeln erübrigte sich jedes Staubwischen, und für die Garderobe der ganzen Familie reichte ein einziger Schrank, oder auch nur ein paar in die Bretterwand geschlagene Nägel aus. Die Fensteröffnungen brauchten keine Glasscheiben zum Schutz vor der Witterung, und damit erübrigte sich auch jede Fensterreinigung.

Du mußt Dir deshalb darüber klar sein, daß Du außer den Dir ins Auge (und dann ins Bett) gefallenen Vorzügen Deiner Auserwählten eine ganze Reihe kleiner Widrigkeiten mitbekommen hast, die das tägliche Zusammenleben für einen Farang oft zu einer Art andauerndem mentalen Hindernislauf machen. Damit sind hier nicht die finanziellen Probleme gemeint, die unter anderem durch das Bedürfnis der Dame verursacht werden, ihre Familie zu unterstützen, sondern die vielen kleinen Dinge, die Dich Tag für Tag auf die Palme treiben können.

Fangen wir mit dem Betreten der gemeinsamen Häuslichkeit an. Als ordentliche Thai wird sie, bevor sie über die Schwelle tritt, ihre Fußbekleidung vor der Tür lassen und dabei ihre Latschen graziös durch die Gegend schleudern. Ein vom ordnungsliebenden Farang aufgestelltes Schuhregal wird sie dabei keines Blickes würdigen. Der Farang, der versucht, sie entsprechend zu belehren, wird in keinem Thai-Wörterbuch das Wort Schuhregal finden. Der Umstand, daß die immer um die Hütten herumstreichenden Hunde sich eine der Latschen als Spielzeug wegschleppen, oder - sollte es sich um ein paar teure Treter im Farang-Stil handeln - diese genüßlich zerkauen, wird dabei billigend in Kauf genommen. Schließlich wird der Farang seinen Schatz nicht barfuß herumlaufen lassen, sondern in so einem Notfall gerne ein paar neue Schuhe spendieren.

Wenn der Mann der Meinung ist, daß der Staub in der Wohnung inzwischen eine Höhe erreicht hat, daß sich nicht nur Gedichte darin schreiben, sondern mit etwas Geschick auch holzschnittähnliche Plastiken herausarbeiten lassen, wird sie nicht etwa den für teures Geld angeschafften Staubsauger, sondern einen mit Federn besetzten Wedel nehmen und damit den Staub so aufwedeln, daß er sich eine neue Ruhestatt suchen muß. Da Thais in der Regel mindestens einen Kopf kleiner sind als Farangs, erfolgt das Staubwedeln allerdings nur bis zu deren Augenhöhe, so daß der aufgewirbelte Staub problemlos auf dem Schrank einen neuen Ruheplatz finden kann, an dem er mit Sicherheit nie gestört werden wird. Er wird sich allerdings das Verweilen dort oben mit einer ganzen Reihe von Gegenständen teilen müssen, die irgendwann mal im Wege lagen und deshalb einfach auf den nächsten Schrank befördert wurden. Wer im Hause etwas sucht und nicht auffinden kann, tut gut daran, auf dem Schrank nachzusehen, wo er in 90% der Fälle fündig werden wird.

Hausputz geschieht nach bewährtem Thai-Rezept "Was man nicht sieht, ist nicht da”. Das gilt nicht nur für Probleme, sondern auch für den Dreck im Haus. Keine Thai denkt daran, beim Ausfegen oder Putzen mal das Sofa oder einen Sessel beiseite zu rücken, sondern es wird sorgfältig darum herum gefegt und geputzt. Wird der Boden naß aufgewischt, so reicht in der Regel einmal annässen des Wischers für 100 Quadratmeter Bodenfläche aus.

Als ordentliche Thai wird sie jeden Tag frische Wäsche anziehen und den Farang, der der Meinung ist, sein gestern aus dem Schrank genommenes Hemd wäre noch so sauber, daß er es noch einen weiteren Tag tragen könnte, als Schmutzfink ansehen. Wenn sie die Schranktür aber öffnet, um frische Wäsche herauszunehmen, muß sie sich sehr vorsehen, daß ihr nicht der ganze Inhalt entgegenpurzelt, weil alle Wäschestücke, die nicht auf einem Bügel hängen, solange kunterbunt hineingestopft werden, bis das Schrankvolumen zu 150% überzogen ist.

Du wirst anfangs erstaunt sein, immer wieder neue Gesichter als älterer oder jüngerer Bruder bzw. Schwester vorgestellt zu bekommen. Beim zehnten Brüdern oder Schwestern bekommst Du dann eine gewisse Hochachtung für die Leistungsfähigkeit des Schwiegervaters, um aber schließlich bei der hundertsten Schwester der Sache auf den Grund zu gehen. Du wirst dann feststellen, daß nicht nur alles, was miteinander irgendwie verwandt ist, sondern auch Freunde und Freundinnen als Bruder und Schwester bezeichnet werden und sich folglich in Deinem Haus auch so wohl fühlen, wie es für enge Familienangehörige selbstverständlich ist.

Als den Spruch "Die Axt im Haus erspart den Zimmermann" beherzigender Mann, wirst Du Dir einen mehr oder weniger großen Schatz an Werkzeugen zulegen. Wenn Du aber nicht als erstes eine entsprechend grosse Kiste mit Vorhängeschloß anschaffst, wirst Du an den angeschafften Werkzeugen nicht lange Freude haben. Jeder in der Familie und auch der Nachbar wird zu Dir kommen, um sich Deinen Hammer auszuleihen, wenn er einen Nagel einzuschlagen, oder Deine Bohrmaschine, wenn er ein Loch zu bohren hat. Das wäre noch ganz in Ordnung, wenn er nach getaner Arbeit auch daran denken würde, das geliehene Werkzeug zurückzubringen. Da denkt er aber genauso wenig dran, wie ein Thai daran denkt, geliehenes Geld zurückzugeben. Nach Gebrauch wird das Werkzeug einfach fallengelassen und bleibt an Ort und Stelle solange liegen, bis der Farang zufällig darüber stolpert und es zurück an seinen Platz bringt. Und was sich nicht in der mit Vorhängeschloß gesicherten Kiste befindet, wird ohne zu fragen, oder zumindest ohne Bescheid zu sagen einfach genommen und nach Gebrauch irgendwo liegengelassen.

"Chai yen - chai yen"

Da überrascht Dich Deine Frau mit der freudigen Nachricht, daß sie sich während Deiner Abwesenheit eine äußerst günstige Lebensversicherung hat aufschwatzen lassen. Du hast nun zwei Möglichkeiten: Entweder darüber zu schimpfen, daß sie Dein Geld zum Fenster rausgeschmissen hat, da im wahrscheinlichen Falle, daß die Frau, die ja nur halb so alt ist wie Du, nach Dir verstirbt, die liebe Verwandtschaft das Geld einsackt. Oder aber Du lobst sie, weil Du Dir im Falle ihres frühzeitigen Abscheidens mit dem Geld eine neue, jüngere Frau kaufen kannst. Im letzteren Falle mußt Du aber darauf gefaßt sein, daß sie mit dem Küchenmesser hinter Dir herrennt.

Auch wenn es Dir tatsächlich gelingt, Deiner Frau klar zu machen, daß der Kühlschrank nicht nur von außen, sondern ab und zu auch von innen sauber gemacht werden muß, so wird es Dir doch kaum gelingen sie davon zu überzeugen, daß er von Zeit zu Zeit abgetaut und enteist werden muß. Wie jedes Kind weiß, hält das Eis ja den Inhalt kühl, und das umso besser, wenn das Kühlfach völlig zugefroren ist. Bleibt Dir also nur übrig, auch in Zukunft auf den Gebrauch des Kühlfachs zu verzichten, oder darauf zu hoffen, daß sich beim nächsten 24stündigen Stromausfall das Problem von selbst löst.

Sofern Du ihr das beigebracht hast, wird sie Dir beim Aufwachen "Guten Morgen" und vor dem Einschlafen "Gute Nacht" wünschen. Das sind dann aber auch so ziemlich die einzigen wahren Worte, die Du den ganzen Tag von ihr zu hören kriegst. Auf jede Frage von Dir wird sie das antworten, was ihr gerade in den Sinn kommt oder was sie meint, das Du hören willst. Dabei spielt es für sie keine Rolle, ob das Gesagte wahr ist oder nicht. Wichtiger ist, dass ihr oder auch Dir das Gesagte keinen Kummer bereitet.

All dies gilt natürlich nicht für Deinen Schatz, Deine Frau ist "ANDERS". Auch wenn Dir tagtäglich so einige kleine Widrigkeiten auf den Geist gehen, hast Du natürlich die beste aller Ehefrauen erwischt. Sie kuschelt sich nachts an Dich, strahlt Dich morgens beim Aufstehen mit ihren Mandelaugen an, kocht Dir Dein Lieblingsessen, sorgt dafür, daß Du nicht wie ein Vagabund herumläufst und kann schrecklich zärtlich zu Dir sein, besonders bevor sie in die Stadt zum Einkaufen fährt oder sich Deine ATM-Karte ausleiht.

Für diejenigen unter uns Farangs aber, die so wie ich mit einem normalen Exemplar der Gattung "Isaana" gesegnet sind, bleibt dann nur der gute Rat, sich den in Thailand am häufigsten gebrauchten Spruch zu Herzen zu nehmen "chai yen, chai yen"!

Günther Ruffert

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Autor der Bücher:

Geschichten aus Thailand: Erschienen im Heller Verlag Taufkirchen (D)

Farang in Thailand: Erschienen im Heller Verlag Taufkirchen (D)

Ein Fenster zum Isaan: Erschienen in FARANG-Edition, Chonburi (TH)

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Geschichten von Günther Ruffert

Geschichten von Günther Ruffert

Ich lebe nun seit über 20 Jahren in Thailand, und davon fast 15 Jahre in einem typischen kleinen Isaan-Dorf, nahe der kambodschanischen Grenze. Meine Erfahrungen in diesem Land habe ich in einigen Büchern und auch in vielen Beiträgen weitergegeben, die u.a. auch im FARANG erschienen sind. Natürlich hängt der Standpunkt, den man bei der Beschreibung von Land und Leuten einnimmt, von den persönlichen Verhältnissen ab, also besonders davon, wo und wie man lebt und welche Mentalität man selber hat. Ich erhebe deshalb keineswegs den Anspruch, eine objektive Beschreibung der Sitten und Gebräuche in diesem Land zu Papier zu bringen, und nicht jeder wird die Dinge so sehen wie ich. Für den Farang ist es schwierig, das Denken und Handeln der Thai zu verstehen, genau so wie es für den Thai schwierig ist, das Denken und Handeln der Farang zu verstehen. Vor allem für Farang, die das Land noch nicht gut kennen, können meine Geschichten aber vielleicht einiges zum besseren Verständnis all dessen beitragen, was ihnen in Thailand zunächst unverständlich erscheint und helfen, Stolpersteine zu vermeiden.

Günther Ruffert

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