Brexit vor einem ungewissen Finale

Die britische Premierministerin Theresa May. Foto: epa/Christian Bruna
Die britische Premierministerin Theresa May. Foto: epa/Christian Bruna

SALZBURG (dpa) - Der informelle EU-Gipfel in Salzburg plagt sich erneut mit den stockenden Verhandlungen über den britischen EU-Austritt. Die Zeit rast, und man kommt nicht voran.

Vom «Endspiel» ist nun immer häufiger die Rede, von der «letzten Etappe» und der nahenden «Stunde der Wahrheit»: In wenigen Wochen soll der für März 2019 angekündigte EU-Austritt Großbritanniens vertraglich geregelt sein, um Chaos und Unsicherheit für Bürger und Unternehmen abzuwenden. Doch der entscheidende Durchbruch in den Brexit-Verhandlungen lässt auf sich warten. Noch regieren die hohe Kunst taktischer Finesse oder bisweilen auch das Donnern rhetorischer Geschütze.

Am Mittwochabend warb die britische Premierministerin Theresa May beim informellen EU-Gipfel in Salzburg noch einmal für ihre Position und erneuerte den Appell, die Europäischen Union müsse sich nun bitteschön bewegen. Die EU sieht das genau andersherum und fordert ihrerseits Flexibilität in London. An diesem Donnerstag wollen die 27 bleibenden EU-Staaten ohne May ihre Linie für die Schlussphase der Verhandlungen abstimmen und auch beraten, ob man den Unterhändlern etwas mehr Zeit gibt.

Was ist überhaupt der Stand der Dinge?

Nach dem Brexit-Votum vom Juni 2016 reichte die britische Regierung am 29. März 2017 offiziell die Scheidung von der EU ein. Die Mitgliedschaft endet genau zwei Jahre später: am 29. März 2019. Aus der Trennung nach mehr als 40 Jahren ergeben sich viele Fragen, die in einem Austrittsvertrag geregelt werden sollen. Eckpunkte vereinbarten beide Seiten schon im Dezember 2017, unter anderem zu den Rechten der rund drei Millionen EU-Bürger in Großbritannien und zu britischen Abschlusszahlungen von rund 40 Milliarden Euro. Später gelang auch die Einigung auf eine Übergangsfrist bis Ende 2020. Damit würde sich am Brexit-Tag erstmal fast nichts ändern.

Und wo liegt dann das Problem?

Für eine entscheidende Frage gibt es bisher nur eine Scheinlösung: Wie lässt sich eine «feste Grenze» zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland vermeiden? Nach bitteren Jahrzehnten mit Terror und Gewalt sind beide Inselteile seit dem Karfreitagsabkommen 1998 zusammengewachsen und sollen keinesfalls erneut geteilt werden. Andererseits entsteht mit dem Brexit nunmal eine neue EU-Außengrenze, die gegen ungeregelte Einfuhren oder Zuwanderung geschützt werden soll. EU und Großbritannien bekennen sich zwar zum Ziel: keine feste Grenze mit Kontrollen. Doch bei den Lösungswegen reden sie aneinander vorbei.

Was heißt das?

Großbritannien will durch enge Handelsbeziehungen und eine besondere Zollpartnerschaft mit der EU nach dem Brexit Grenzkontrollen vermeiden - nicht nur, aber eben auch in Irland. Die EU lehnt die von London vorgeschlagenen Modelle jedoch ab. Deshalb wird eine Garantie verlangt, dass es keine Grenzkontrollen geben wird - den sogenannten Backstop für den Fall, dass keine andere Lösung gelingt.

Dann will die EU Nordirland faktisch weiter wie einen Teil der Zollunion behandeln. Großbritannien will das nicht, weil sonst Kontrollen zwischen Nordirland und dem Rest des Königreichs eingeführt werden müssten. Eine faktische Grenze in der Irischen See werde man niemals akzeptieren, sagt May. Die EU droht ihrerseits: Ohne praktikablen Backstop werde es kein Austrittsabkommen geben - und damit auch keine Übergangsfrist, sondern einen harten Bruch Ende März 2019.

Welche Lösungswege sind denkbar?

EU-Unterhändler Michel Barnier sagte diese Woche, man sei zur Nachbesserung des Backstop-Vorschlags bereit und arbeite schon daran. Seine Andeutungen laufen darauf hinaus, dass die Kontrollen zwischen Nordirland und dem übrigen Königreich auf das Allernötigste beschränkt und teils ins Hinterland verlegt werden. Von einer Grenze in der Irischen See könne somit keine Rede sein, versichern auch EU-Diplomaten. Die Botschaft lautet: Alles halb so schlimm, die britische Regierung muss sich nur einen Ruck geben.

Kann sich Großbritannien darauf einlassen?

Wie die Notfallklausel gangbar gemacht werden könnte ist offen. Nach der Runde in Salzburg sagte ein EU-Diplomat, May wolle selbst «Ergänzungen des Nordirland-Protokolls» vorschlagen. Was damit gemeint ist blieb unklar. Viel lieber will May über ihr Modell für die künftigen Wirtschafts- und Zollbeziehungen reden und die Irland-Frage so lösen: «Um eine harte Grenze zu vermeiden, muss ein reibungsloser Verkehr von Gütern gewährleistet sein.»

Die EU wiederum hält nichts von diesen Vorschlägen, weil sie aus ihrer Sicht auf eine Art Binnenmarkt light nur für Güter hinauslaufen. Die EU nennt das Rosinenpicken. Die Londoner Pläne müssten «überarbeitet und weiter verhandelt werden», forderte EU-Ratspräsident Donald Tusk am Mittwoch.

Ist vom Salzburg-Gipfel ein Ausweg aus der Sackgasse zu erwarten?

Eher nicht. May kämpft nicht nur mit Widerstand der EU gegen ihre Brexit-Pläne, sondern vor allem mit einem Aufstand in ihrer konservativen Regierungspartei. Nun muss sie erst einmal einen Parteitag Anfang Oktober überstehen. Dann, so hofft zumindest die EU-Seite, ergeben sich vielleicht neue politische Spielräume. Wohl deshalb schlug Tusk in Salzburg einen Brexit-Sondergipfel Mitte November vor, statt wie bisher auf eine Lösung bis Mitte Oktober zu pochen. Das wirkliche «Endspiel» wäre dann um vier Wochen vertagt.

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