Barnier signalisiert Entgegenkommen

Angst vor No Deal

Foto: epa/Chris Ratcliffe
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LONDON/BRÜSSEL/BERLIN (dpa) - In weniger als einem Monat wollte Großbritannien sich eigentlich von der EU trennen. Doch die Scheidung ist komplizierter als gedacht. Brüssel scheint nun einen kleinen Schritt auf London zuzugehen.

Die EU will London im Brexit-Streit über den sogenannten Backstop für Irland weiter entgegenkommen. «Wir wissen, dass es in Großbritannien ein Misstrauen gibt, der Backstop könne eine Falle werden, in der die Briten auf immer an die EU gebunden sind», sagte EU-Chefunterhändler Michel Barnier der «Welt» (Samstag). «Wir sind bereit, weitere Garantien, Versicherungen und Klarstellungen zu geben, dass der Backstop nur temporär sein soll.»

Der Backstop ist die von der Europäischen Union geforderte Garantie für eine offene Grenze zwischen dem EU-Staat Irland und dem britischen Nordirland. Bis eine andere Lösung gefunden ist, soll ganz Großbritannien in einer Zollunion mit der EU bleiben. Kritiker fürchten aber eine dauerhaft enge Bindung an die Staatengemeinschaft.

Die EU wird aber kein Zeitlimit oder ein einseitiges Ausstiegsrecht der Briten zulassen. Barnier: «Was es geben kann, ist die Zusage einer Begrenzung des Backstops durch ein Abkommen über die künftige Beziehung. Und dies in Form eines interpretierenden Dokuments.»

Das britische Parlament soll am 12. März erneut über den Austrittsvertrag abstimmen, den es Mitte Januar abgelehnt hatte. Premierministerin Theresa May sagte kürzlich, sie stehe kurz davor, Zugeständnisse aus Brüssel zu erhalten. Danach hatte das Unterhaus May darauf festgelegt, bei Ablehnung des Vertrags und eines No Deal auch über die Option einer Brexit-Verschiebung abstimmen zu dürfen.

Barnier bekräftigte, dass die Mitgliedstaaten der EU offen seien für eine Verlängerung der Brexit-Frist, wenn auch mit Bedingungen. Die Staaten wollten wissen, wozu die Verschiebung gut sein solle. Der EU-Chefunterhändler bestätigte, dass eine Verlängerung der Brexit-Frist vom Europäischen Rat beschlossen werden müsse, und zwar einstimmig. «Also müsste das, falls nach dem 14. März ein solcher Antrag kommt, beim nächsten EU-Rat am 21. März entschieden werden.»

Unterdessen wächst im Brexit-Streit der Druck auf den britischen Verkehrsminister Chris Grayling, von seinem Amt zurückzutreten. Kritiker etwa der oppositionellen Labour-Partei werfen ihm vor, Milliarden an Steuergeldern zu verschwenden. So vergab sein Ministerium einen Auftrag für einen Fährdienst im Falle eines No Deal über den Ärmelkanal an eine Firma, die gar keine Schiffe hat. Hohe Zahlungen gehen im Rahmen einer außergerichtlichen Einigung an die Betreiber des Eurotunnel, die sich benachteiligt fühlen. In sozialen Netzwerken gibt es zig Scherze über den Minister (#failinggrayling).

Ein ungeregelter Brexit würde die Wirtschaft und viele andere Lebensbereiche treffen. Auch Europas größter Billigflieger Ryanair trifft schon Vorsorge: Ersatzteile aus dem englischen Zentrallager werden auf andere EU-Standorte verteilt, sagte der Chef der Wartungssparte Ryanair Engineering, Karsten Mühlenfeld, der Deutschen Presse-Agentur. Das Ein- und Ausführen von Ersatzteilen könnte bei einem No Deal erschwert werden - etwa durch Zollbeschränkungen.

Mühlenfeld betonte: «Wir haben Sorge, dass es länger dauert, die Ersatzteile vom Zentrallager in Stansted an den Flughafen zu bekommen, wo wir sie kurzfristig benötigen.» Seit Anfang des Jahres werden laut Mühlenfeld Technikteile der irischen Airline auf andere Standorte der EU verlagert. Kleinere Lager gibt es auch in Deutschland, etwa in Berlin-Schönefeld und Frankfurt am Main. Ryanair ist nicht der erste Konzern, der mit dem Brexit Folgen für die komplexen Prozesse in der Luftfahrt fürchtet. Der Luftfahrt- und Rüstungskonzern Airbus drohte mit der Schließung von Fabriken.

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