Boris Palmer als Leitbild für Politiker

 Foto: Orlando Bellini / Fotolia.com
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Vor kurzem konstatierte ein frustrierter Beobachter der politischen Landschaft in Deutschland in einem Leserbrief, dass selbst nach den Wahlen in Bayern und Hessen nicht wirklich Bewegung in die politische Landschaft zu kommen scheint. Der Verfasser des Leserbriefes fragte sich, wer als Vorbild für eine neue und tatkräftigere Generation Politiker dienen könnte. Er machte keinen Vorschlag, dennoch handelt es sich um eine Frage, über die es nachzudenken lohnt.

Zunächst ist zu klären, was ein Politiker oder eine Politikerin mitbringen sollte, um als Leitbild tauglich zu sein. Er oder sie sollten sich wohl in erster Linie von den üblichen Sprechautomaten durch eigenständiges Denken unterscheiden und die Fähigkeit und Kraft besitzen, definierte Ziele auch umzusetzen, um das Land voranzubringen, anstatt lediglich den Status quo zu verwalten. Als Erfolgsmesser dient in erster Linie das jeweils nächste Wahlergebnis, das selbstredend besser sein sollte als das vorhergehende. Man muss schon etwas länger suchen, um geeignete Kandidaten in Deutschland zu finden. Auf kommunaler Ebene sticht Boris Palmer ins Auge. Der Tübinger Oberbürgermeister ist in seiner zweiten Amtszeit und wurde bei der letzten Wahl mit einem Plus von ca. zehn Prozentpunkten und über 60 Prozent der Wählerstimmen wiedergewählt. Der kantige Schwabe nimmt kein Blatt vor den Mund und gilt als Enfant terrible seiner eigenen Partei. 2015 widersprach er der Kanzlerin mit „Wir schaffen das nicht“ und wurde unmittelbar auf Bundesebene bekannt. Recht hatte er. Gott sei Dank hat die politische Vernunft einiger Nachbarn der Bundesrepublik die Flüchtlingsströme soweit zurückgedrängt, dass ein Auseinanderbrechen der Gesellschaft erst einmal verhindert werden konnte und die Aufgaben derzeit politisch beherrschbar sind.

Ein Enfant terrible redet Tacheles

Boris Palmer hat von seiner Fähigkeit Tacheles zu reden abgesehen, auch messbare Erfolge vorzuweisen. Während seiner Amtszeit konnte der Kohlendioxid-Ausstoß in seinem Zuständigkeitsbereich um 32 Prozent gesenkt werden, während im gleichen Zeitraum die Wirtschaft um 25 Prozent wuchs. Der Anteil der erneuerbaren Energien konnte von unter zehn Prozent auf über 25 Prozent gesteigert werden. Dies mag nun nicht der Fokus eines jeden Wählers sein, dennoch verleiht es ihm Glaubwürdigkeit. Diese fehlt bedauerlicherweise so vielen seiner Mitbewerber, die durch Denk- und Sprechverbote ihren jeweiligen Parteien Bärendienste erweisen. Boris Palmer hingegen hat keine Probleme mit Fakten. Er spricht offen an, dass derzeit 15 Prozent der schwersten Straftaten von Flüchtlingen begangen werden, obwohl sie lediglich einen Anteil von zwei Prozent an der Bevölkerung stellen. Er kommuniziert das Unverständnis einfacher Bürger, die jahrelang auf eine bezahlbare Sozialwohnung warten und befremdet sind, von Neubauten nebenan für Flüchtlinge. Allein die Anerkennung der Fakten macht ihn weit über grüne Stammwähler hinaus wählbar. Aber auch tatsächlich lässt er den Worten Taten folgen. In Tübingen werden derzeit 90 Prozent der neuen Wohnungen preisgebunden gebaut, ein Drittel der Wohnungen sind Sozialwohnungen. Dies ist zwar ein deutlicher Eingriff in den Markt, stellt aber den Primat der Politik sicher und erhält den sozialen Frieden. Dies wäre der einfachste und schnellste Weg für die Grünen, die Sozialdemokraten als Volkspartei abzulösen.

Die Alternative dazu ist in den USA zu betrachten. Fakten spielen immer weniger eine Rolle und am Ende des Tages stehen sich zwei Lager unversöhnlich gegenüber, die sich bis aufs Messer gegenseitig bekämpfen. Wollen wir das?

In Deutschland ist die Welt vielerorts und nicht nur in der Politik aus den Fugen geraten. Neulich wurde eine Panorama Sendung aus dem Jahre 2013 wiederholt, die eine Schule in Hamburg Wilhelmsburg beleuchtet, in der sich gestandene Pädagogen fragen, was sie wohl falsch machen, weil ihnen der schwer erziehbare Nachwuchs auf der Nase tanzt. Sie scheinen es tatsächlich nicht zu wissen.

Insgesamt leben wir in spannenden Zeiten. Europa hat alle Voraussetzungen, sich in einer zukünftig multipolaren Welt zu behaupten. Politiker wie Boris Palmer sind gefragt. Auf das Parteibuch kommt es dabei nicht an.

Über den Autor

Christian Rasp ist Rechtsanwalt und seit 1992 in Thailand, Hongkong und China tätig. Er leitet ein spezialisiertes Consulting-Haus, lebt und arbeitet in Hua Hin, Bangkok und Hongkong. Die Kolumne Nachgefragt“ beschäftigt sich vorwiegend mit aktuellen ökonomischen Fragestellungen, die es verdienen, etwas genauer unter die Lupe genommen zu werden.

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