Boeing-Krise spitzt sich zu

​Immer mehr Flugverbote nach Absturz

Foto: epa/Johan Nilsson
Foto: epa/Johan Nilsson

CHICAGO/ADDIS ABEBA (dpa) - Nach zwei tödlichen Flugzeugabstürzen innerhalb weniger Monate wird Boeings 737-Max-Serie vom Verkaufsschlager zum Krisenfall. Deutschland und viele Europäer sperren den Luftraum für die Maschinen. Auch Airlines weltweit ziehen bereits Konsequenzen.

Nach dem Absturz einer Boeing 737 Max 8 in Äthiopien gerät der US-Luftfahrtriese Boeing immer tiefer in die Krise: Deutschland, Großbritannien, Singapur und weitere Länder haben dem noch relativ neuen Flieger am Dienstag ein Flugverbot erteilt. Zahlreiche Airlines legten die Maschinen wegen Zweifeln an der Sicherheit der Baureihe 737 Max bis auf Weiteres still. Damit ist inzwischen etwa die Hälfte der seit 2017 ausgelieferten rund 350 Flugzeuge aus dem Verkehr gezogen. Es drohen zahlreiche Flugausfälle.

Das stürzt Boeing nicht nur in eine tiefe Imagekrise: Die 737-Max-Serie ist der gefragteste Flugzeugtyp des Airbus-Rivalen. Bei andauernden Problemen könnten auch massive Umrüstungskosten und Geschäftseinbußen drohen. Boeing beharrt indes auf der Sicherheit der nach zwei Abstürzen innerhalb eines halben Jahres stark in die Kritik geratenen Baureihe. «Wir haben volles Vertrauen in die Sicherheit», teilte der Konzern am Dienstag mit.

Boeing verwies erneut darauf, dass die US-Luftfahrtbehörde FAA derzeit keine weiteren Maßnahmen fordere. In den kommenden Wochen will der Konzern jedoch ein wichtiges Software-Update für die Baureihe anbieten. Die Devise laute, «ein bereits sicheres Flugzeug noch sicherer machen», versprach Boeing.

Beim Absturz einer Maschine der Fluggesellschaft Ethiopian Airlines in der Nähe der äthiopischen Hauptstadt Addis Abeba waren am Sonntag 157 Menschen ums Leben gekommen, darunter auch fünf Deutsche.

Unterdessen wird der internationale Flugverkehr aus Furcht vor weiteren Zwischenfällen zunehmend in Mitleidenschaft gezogen. Angesichts zahlreicher Start- oder Überflugverbote der Luftfahrtbehörden kann die Boeing 737 Max 8 kaum mehr in Europa, China, weiten Teilen Südostasiens und Australien fliegen.

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) sagte dem Sender n-tv: «Sicherheit geht absolut vor. Bis alle Zweifel ausgeräumt sind, habe ich veranlasst, dass der deutsche Luftraum für die Boeing 737 Max ab sofort gesperrt wird.» Deutsche Fluggesellschaften nutzen dem Verkehrsministerium zufolge keine Boeing 737 Max 8. Das weitgehende Flugverbot hat nach Einschätzung des Verbandes ADV keine allzu großen Auswirkungen auf den Betrieb an den deutschen Flughäfen. «Bei uns herrscht keine Krisenstimmung wegen dieses Fliegers», sagte ADV-Hauptgeschäftsführer Ralf Beisel. Die europäische Luftfahrtbehörde EASA kündigte eine neue Bewertung der Lage an.

Der weltgrößte Reisekonzern Tui legt infolge des Flugverbots in Großbritannien seine 15 Flugzeuge vom Typ Boeing 737 Max 8 vorübergehend still. Auch die Billigfluggesellschaft Norwegian wird ihre 18 Maschinen vorerst außer Betrieb nehmen, andere Airlines wie Turkish reagierten ebenfalls.

Viele Länder folgen diesmal nicht - wie üblich - der Linie der US-Luftfahrtbehörde FAA. «Diese Untersuchung hat gerade erst begonnen, und uns liegen bislang keine Daten vor, um Schlussfolgerungen zu ziehen oder Maßnahmen zu ergreifen», teilte die FAA am Montag (Ortszeit) mit. Die US-Behörde kündigte jedoch an, sie werde «geeignete Maßnahmen ergreifen, wenn die Daten darauf hindeuten, dass dies erforderlich ist».

Nach dem Absturz einer Boeing 737 Max 8 im Oktober in Indonesien mit 189 Todesopfern Jahr gab es der FAA zufolge bereits zahlreiche technische Prüfungen und Maßnahmen. Im Zentrum der Untersuchungen stand bislang ein umstrittenes System zur Flugkontrolle, das laut Unfallermittlern eine entscheidende Rolle beim Crash in Indonesien gespielt haben könnte. Boeing versprach nun eine Verbesserung der Steuerungssoftware, die in den kommenden Wochen bei sämtlichen 737-Max-Maschinen aufgespielt werde.

Die Piloten der in Äthiopien verunglückten Boeing hatten der Flugsicherung kurz vor dem Absturz von Problemen berichtet, die Maschine unter Kontrolle zu halten, sagte der Chef von Ethiopian Airlines, Tewolde GebreMariam, am Dienstag dem Nachrichtensender CNN.

US-Politiker forderten unterdessen Konsequenzen der Luftfahrtbehörde FAA. Spitzenvertreter beider großer Parteien sprachen sich am Dienstag für ein Startverbot des betroffenen Flugzeugtyps aus. Alle Flieger sollten am Boden bleiben, bis die Ursachen der jüngsten Abstürze und die Flugtauglichkeit geklärt seien, forderte etwa der frühere republikanische Präsidentschaftskandidat Mitt Romney.

US-Präsident Donald Trump sprach sich derweil gegen den Einsatz von zu viel Computertechnologie in der Luftfahrtbranche aus. «Flugzeuge werden viel zu kompliziert zum Fliegen», schrieb Trump am Dienstag auf Twitter, ohne Boeing zu erwähnen. Statt Piloten brauche es heutzutage Computerspezialisten. Doch diese Komplexität berge Gefahren, so Trump. «Ich weiß nicht, wie es Euch geht, aber ich will keinen Albert Einstein als meinen Piloten. Ich will großartige Flugprofis, die einfach und schnell die Kontrolle über ein Flugzeug übernehmen dürfen», schrieb er.

Die Boeing 737 ist das meistverkaufte Verkehrsflugzeug der Welt. Die 737-Max-Reihe ist die neueste Variante des Verkaufsschlagers. Der US-Hersteller hat bereits mehr als 350 Maschinen ausgeliefert und sitzt auf prall gefüllten Auftragsbüchern mit Tausenden Bestellungen. An der Börse ließ der große Ausverkauf der Boeing-Aktie zwar nach, doch die Nervosität der Anleger blieb hoch. Im frühen US-Handel fiel der Kurs um rund fünf Prozent. Die Papiere des europäischen Erzrivalen Airbus profitierten hingegen leicht, hier näherte sich der Kurs mit einem Plus von gut einem Prozent dem Rekordhoch vom 1. März.

Es ist nicht das erste Mal, dass Boeing-Maschinen wegen Sicherheitsrisiken in großem Stil nicht starten. Im Januar 2013 hatte die US-Luftfahrtbehörde FAA nach einer Reihe von Pannen ein Flugverbot für Boeings damaligen Vorzeigeflieger «Dreamliner» verhängt. Vorausgegangen war eine Notlandung des Langstreckenjets in Japan, nachdem eine Batterie durchgeschmort war. Diesmal dürften die Folgen jedoch deutlich schwerwiegender sein, Boeing hatte damals lediglich 50 «Dreamliner» ausgeliefert, die 737-Max-Jets sind wesentlich stärker verbreitet.

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Jürgen Franke 14.03.19 10:50
Die Ansicht von Trump, die aus diesem
Redaktionsbericht hervorgeht, ist nachvollziehbar. Inzwischen hat auch die USA den Luftraum für diesen Flieger gesperrt. Bekannt ist auch, dass zwei Piloten vor einige Zeit bereits über Schwierigkeiten berichtet hatten.