Biden kündigt Truppenabzug aus Afghanistan bis 11. September an

US-Präsident Biden will die neuen Termine für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan bekannt geben. Foto: epa/Ghulamullah Habibi
US-Präsident Biden will die neuen Termine für den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan bekannt geben. Foto: epa/Ghulamullah Habibi

WASHINGTON: US-Präsident Biden will den Militäreinsatz in Afghanistan nach fast 20 Jahren beenden. Er kündigt einen Abzug der Truppen zu einem hoch symbolischen Datum an. Deutschland und die anderen Alliierten müssen wohl oder übel mitziehen. Was wird aus dem kriegsgeschundenen Land?

Fast 20 Jahre nach Beginn des internationalen Militäreinsatzes hat US-Präsident Joe Biden den Abzug der US-Truppen aus Afghanistan bis zum 11. September angekündigt. Der Abzug solle am 1. Mai beginnen und bis zum 11. September abgeschlossen werden, sagte Biden am Mittwoch im Weißen Haus. Mit der Entscheidung dürfte auch der gesamte Einsatz der Nato zu Ende gehen - und damit die vieldiskutierte Bundeswehr-Mission am Hindukusch. Für das geschundene Land selbst und die 38 Millionen Menschen dort brechen einmal mehr ungewisse Zeiten an.

Die Nato leitet nach der Rückzugsentscheidung der USA das Ende ihres Einsatzes in Afghanistan ein. Die Alliierten hätten entschieden, mit dem Abzug aus dem Land zu beginnen, erfuhr die Deutsche Presse-Agentur am Mittwochabend nach einer Videokonferenz der Außen- und Verteidigungsminister der 30 Bündnisstaaten von Diplomaten.

Biden sagte: «Es ist Zeit, Amerikas längsten Krieg zu beenden. Es ist Zeit für die amerikanischen Truppen, nach Hause zu kommen.» Man könne die Militärpräsenz nicht immer wieder in der Erwartung verlängern oder vergrößern, die «idealen Bedingungen» für einen Abzug zu schaffen. Ziel des Afghanistan-Einsatzes sei gewesen sicherzustellen, dass das Land nicht wieder ein Ort sein könne, von dem aus Terroristen die USA angreifen könnten. «Das haben wir gemacht», sagte er. «Wir haben das Ziel erreicht.»

Der US-Präsident betonte zugleich: «Obwohl wir in Afghanistan nicht weiter militärisch involviert sein werden, wird unsere diplomatische und humanitäre Arbeit weitergehen.» Die USA würden Afghanistans Regierung, die Sicherheitskräfte und auch die Friedensverhandlungen mit den Taliban weiter unterstützen.

Bereits am Dienstag war bekannt geworden, dass die USA als größter Truppensteller ihre Soldaten ohne weitere Bedingungen zum 11. September abziehen wollen - dem 20. Jahrestag der Terroranschläge von 2001. Die Anschläge, für die das Terrornetz Al-Kaida verantwortlich gemacht wurde, hatten damals den Einmarsch der US-geführten Truppen in Afghanistan ausgelöst. Der internationale Militäreinsatz führte binnen weniger Wochen zum Sturz des Taliban-Regimes, das sich geweigert hatte, Al-Kaida-Chef Osama bin Laden auszuliefern.

«Wir sind nach Afghanistan gegangen wegen eines schrecklichen Angriffs, der vor 20 Jahren geschah», sagte Biden. «Das kann nicht erklären, warum wir 2021 dort bleiben sollten.» Die USA müssten sich auf aktuelle Herausforderungen konzentrieren, statt mit den Taliban Krieg zu führen.

Unter Bidens Vorgänger Donald Trump hatte die US-Regierung mit den Taliban einen Abzug aller internationalen Truppen bis zum 1. Mai vereinbart. Biden bricht diese Zusage nun. Nach offiziellen Angaben befinden sich derzeit noch rund 2500 reguläre US-Soldaten in Afghanistan. Zum Höhepunkt vor zehn Jahren waren es etwa 100.000.

Der Abzug war auch zentrales Thema einer Schalte der Außen- und Verteidigungsminister der Nato-Staaten. US-Außenminister Antony Blinken und US-Verteidigungsminister Lloyd Austin kamen dazu persönlich nach Brüssel. Ein US-Regierungsvertreter sagte, der Abzug werde mit Nato-Staaten und anderen Partnern koordiniert. «Wir sind gemeinsam hineingegangen, haben uns gemeinsam abgestimmt, und jetzt werden wir uns darauf vorbereiten, gemeinsam wegzugehen.»

Aktuell sind inklusive der US-Truppen noch etwa 10.000 Soldaten aus Nato-Ländern und Partnernationen in Afghanistan, um die dortige Regierung durch die Ausbildung und Beratung von Sicherheitskräften zu unterstützen. Darunter sind etwa 1000 deutsche Soldaten.

Trotz der anhaltenden Gewalt in Afghanistan will die US-Regierung den Abzug nicht an Bedingungen knüpfen. «Der Präsident hat entschieden, dass ein auf Bedingungen basierender Ansatz, der der Ansatz der vergangenen zwei Jahrzehnte war, ein Rezept für einen ewigen Verbleib in Afghanistan ist», sagte ein Regierungsvertreter.

Der afghanische Präsident Aschraf Ghani äußerte sich nach einem Telefonat mit Biden zurückhaltend zum US-Rückzug. Die Islamische Republik Afghanistan respektiere die US-Entscheidung, twitterte er. Man werde mit den US-Partnern zusammenarbeiten, um einen reibungslosen Übergang zu gewährleisten. Zudem werde man weiter mit den USA und der Nato an den laufenden Friedensbemühungen arbeiten. Ghani versicherte gleichzeitig, dass die Sicherheitskräfte des Landes in der Lage seien, das Land und die Bevölkerung zu verteidigen.

In Afghanistan löste die Entscheidung dennoch Enttäuschung und Resignation aus. Ein Verhandler der Regierung bei den Friedensgesprächen mit den Taliban in Doha, der namentlich nicht genannt werden wollte, nannte den Beschluss das «Verantwortungsloseste und Egoistischste», was Amerika seinen afghanischen Partnern zufügen könne.

Die militant-islamistischen Taliban bestehen hingegen auf dem ursprünglich vereinbarten Termin für einen Rückzug bis zum 1. Mai. Die Aufständischen hatten zuletzt neue Gewalt gegen Nato-Truppen angedroht, sollte die Frist nicht eingehalten werden. Als Reaktion auf die neuen Pläne der USA schlossen die Taliban eine Teilnahme an einer für Ende April geplanten Friedenskonferenz in Istanbul aus.

Mit Spannung wird nun erwartet, welche Konsequenzen die Entscheidung für die laufenden Friedensverhandlungen der afghanischen Regierung mit den Taliban hat. Als Risiko gilt, dass die Taliban kurz nach einem Truppenabzug mit Waffengewalt die Macht übernehmen könnten. Für die junge Demokratie in Afghanistan und Fortschritte bei Frauenrechten oder Medienfreiheit wäre dies wohl der Todesstoß.

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