„Bescherung‘ im Koh Tao Fall: Freiheit oder Tod?

Mordopfer Hanna Witheridge und David Miller: Am 15. September des Vorjahres wurden ihre Leichen am Rama V-Felsen des Sairee Strandes gefunden – seither bewegt ihr Schicksal und die juristische Aufarbeitung die Welt.
Mordopfer Hanna Witheridge und David Miller: Am 15. September des Vorjahres wurden ihre Leichen am Rama V-Felsen des Sairee Strandes gefunden – seither bewegt ihr Schicksal und die juristische Aufarbeitung die Welt.

KOH SAMUI: In drei Tagen, am Morgen des Weihnachtstages, wird das Provinzgericht Koh Samui das Urteil im spektakulärsten Doppelmordfall der jüngeren thailändischen Rechtsgeschichte verkünden: Haben die Fremdarbeiter Zaw Lin und Wai Phyo (22) aus dem Rakhine Staat in Myanmar am frühen Morgen des 15. September 2014 am Sairee Strand von Koh Tao die britischen Rucksacktouristen Hannah Witheridge (23) und David Miller (24) geschändet und erschlagen? Oder sind sie unschuldig von der Polizei als Sündenböcke vorgeführt worden?

In 21 Verhandlungstagen sind 34 Zeugen gehört worden, zwischen dem 8. Juli und 11. Oktober sichteten drei Richter tausende von Seiten mit Ermittlungsprotokollen und Gegengutachten der Verteidigung. Fast 200 Stunden verfolgten die Angeklagten, Zuschauer und Vertreter nationaler und internationaler Medien mit Hilfe thai- und burmesisch-sprachiger Übersetzer das Tauziehen zwischen der Generalstaatsanwaltschaft Surat Thani und dem prominenten Verteidigerteam um den Menschenrechtsanwalt Nakhon Chomphuchat.

Als sich das Gericht vor zwei Monaten zurückzog und nach Prüfung aller Unterlagen den Urteilstermin auf den 24. Dezember 2015 festsetzte, war nichts unklarer als der Ausgang dieses Verfahrens. Realisten, Optimisten und Pessimisten blieben ratlos zurück mit ihren gemischten Gefühlen und enormen Erwartungen an die Entscheidungskompetenz der Richter.

Die Optionen für den frühen Morgen des nahenden Heiligen Abend klingen einfacher als sie sind: Freispruch für Zaw Lin und Wai Phyo mangels ausreichender Beweise für ihre Tatschuld, Freispruch zweiter Klasse wegen Zweifeln an der Glaubwürdigkeit der Ermittlungsergebnisse oder die Verurteilung wegen Doppelmordes erster Klasse in Tateinheit schwerer gemeinschaftlicher Vergewaltigung des weiblichen Mordopfers Hannah Witheridge. Letzteres könnte die in Thailand geltende Todesstrafe nach sich ziehen. Oder lebenslange Haft ohne Aussicht auf Freilassung.

Die Staatsanwaltschaft: Anklagevertretung und ihre Polizeiermittler sowie die Gutachter des Polizeilich Forensischen Institutes in Bangkok glauben, einen wasserfesten Fall vorgetragen zu haben. Sie sagen, beide Angeklagte hätten nach ihrer Festnahme am 2. Oktober 2014 unabhängig voneinander freiwillig und ohne Gewaltanwendung gestanden. Als schwerwiegendsten Beweis legte der Chefankläger eine schriftliche DNA-Analyse der Polizeiforensiker aus Bangkok vor, die eindeutig nachweise, dass Spermarückstände im Körper des Mordopfers Hannah Witheridge mit der DNA beider Angeklagter übereinstimmen.

Die Verteidigung: Sieben Anwälte aus Bangkok arbeiteten wegen der publikumswirksamen Brisanz dieses Doppelmordes pro bono – das heißt unentgeltlich. Sie zerpflückten die Beweisführung in den Ermittlungsakten, sie setzten hohe Polizeioffiziere in Kreuzverhören unter Druck und brachten diese in akute Erklärungsnot, sie wiesen auch nach, dass ihre Mandanten Zaw Lin und Wai Phyo durch massive Drohungen und wahrscheinlich mit körperlicher Gewalt zu ihren Geständnissen ‚überredet‘ worden waren.

Als der Verteidigung mit ihrem Chefstrategen Nakhon Chomphuchat im September das Kunststück gelang, Thailands anerkannteste Gerichtsmedizinerin Dr. Pornthip Rojanasunand, Leiterin des ‚Central Institut of Forsensic Science‘ in Bangkok, als unabhängige Gutachterin hinzuzuziehen, gerieten die Ermittlungsmethoden der Polizei und der Staatsanwaltschaft unter massiven Beschuss. Thailands führende Forensikerin und Pathologin stellte ihren Kollegen der polizeilichen Fakultät ein vernichtendes Arbeitszeugnis im Koh Tao Mordfall aus. Zudem stellte sie bei ihrer Untersuchung der Mordwaffe, einer Gartenharke, keine Übereinstimmung gefundener DNA mit denen beider Angeklagter fest. Dr. Pornthip zweifelte sogar an, ob jemals eine Vergewaltigung von Mordopfer Hannah Witherdige stattgefunden habe – so wie dies in den Ermittlungsprotokollen als Hauptbelastungsmerkmal angeführt wird.

Kann Hannah Witheridge am frühen Morgen des 15. September 2014 so unter dem Einfluss berauschender Mittel gestanden haben bzw. gesetzt worden sein, dass sie wehrlos ihren männlichen Angreifern ausgesetzt war? Wo läge dann das Tatmotiv der Angeklagten Zaw Lin und Wai Phyo, wenn nicht der spontane Vergewaltigungsvorsatz ihre Aktion begründete. Wurde die junge Britin schon zuvor so willenlos gemacht, dass dies die mangelnden Verletzungen im Vaginalbereich und an ihrem Körper erklärt? – Die Verteidigung mischte geschickt tatrelevante Zweifel in den Ablauf dieses Gerichtsverfahrens, die bei der Urteilsermittlung für ihre Mandanten sprechen sollen. In dubio pro reo - im Zweifel für die Angeklagten.

Vom männlichen Mordopfer David Miller, dessen Rolle in der Tatnacht unaufgeklärt blieb, war im Verfahren nur nachgeordnet die Rede. Seine Leiche schwamm unterhalb des Rama V Felsens am Sairee Strand im Meer. Es gab Merkwürdigkeiten hinsichtlich des Fundortes und insbesondere zum Eintritt seines Todes durch tödliche Verletzungen am Hinterkopf mittels eines stumpfen Gegenstandes. War David Miller wirklich an diesem fatalen Morgen am Sairee Strand beim sexuellen Tete-a-Tete mit seiner zufälligen Urlaubsbekanntschaft überrumpelt und ermordet worden? Oder erst, als er Hannah Witheridge zu Hilfe eilen wollte, nachdem diese angegriffen worden war und um Hilfe schrie? Keine der Versionen konnte nachgewiesen werden. Davids DNA ist nicht bei Hannah gefunden worden. Das spräche deutlich gegen eine intime Beziehung am Strand und den Zufallsmord zweier schaulustiger burmesischer Gastarbeiter.

Am allerschwersten wiegen könnte der politische Donnerhall mit dem Totalgesichtsverlust der Ermittler im Fall eines Freispruches. Wie unabhängig kann der Vorsitzende Richter der Strafkammer Koh Samui mit seinen beiden Beisitzern urteilen? Was passiert mit dem Ansehen des gesamten polizeilichen Berufsstandes in Thailand, sollten die Richter den Argumenten der Verteidigung folgen? Was bedeutet es für die Sicherheit von Urlaubern, wenn zwei Unschuldige 15 Monate lang skrupellos durch den Justizwolf gedreht wurden und die wirklichen Täter frei herumlaufen?

In weniger als 72 Stunden wird die Welt eine Antwort erhalten. Es kann nicht ‚DIE‘ endgültige Entscheidung sein. Bei Freispruch oder Schuldspruch sind von beiden Parteien Rechtsmittel angekündigt worden. Das Verfahren um den Doppelmord auf Koh Tao könnte noch lange weitergehen - vom Berufungsgericht bis zum Obersten Thailändischen Gerichtshof. Zwei Jahre, so schätzen Rechtsexperten, dürfte sich eine Nachbearbeitung dieses verworrenen Falles hinziehen.

Die einzige Chance zur objektiven Aufklärung war vertan, bevor sie ergriffen werden konnte. Am Morgen des 15. September 2014 sind nach dem Auffinden der Leichen wichtige Spuren am Sandstrand Koh Taos von Schaulustigen zertrampelt worden. Danach kamen – das wiesen unabhängige Gutachter im Prozessverlauf nach – Polizeiermittler, deren Spurensicherung und einseitigen Ermittlungsmethoden bis heute mehr Fragen aufwerfen als Antworten zu geben.

Der Heilige Abend 2015 wird Thailand und der Weltöffentlichkeit ein Urteil bescheren, das eine immense Tragweite besitzt und noch einmal das grelle Licht auf die Finsternis einer touristischen Tragödie lenkt. Mehr ist kaum zu erwarten. Recht nach Unrecht im Doppelmordfall von Koh Tao?- Diese Minimalgenugtuung für die Angehörigen der Opfer Hannah Witheridge und David Miller steht auf einem Wunschzettel, den keine Macht der Welt unter irgendeinen Weihnachtsbaum legen könnte.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jack N.Kurt Leupi 22.12.16 18:13
Causa Koh Tao / Peter Jürg Ern
Fast jeder hat diese professionellen Berichte von Herrn Gruber seit Monaten mit Interesse verfolgt und gelesen und die Angelegenheiten als Justizfall wahrgenommen, was es ja auch ist. Bei Ihren Bemerkungen sind aber meistens religiöse "Beilagen" beigemischt, die sich in einem buddhistisch geprägten Land meiner Meinung nach nicht geziemen und die Richter werden ihr Urteil sicher nicht der christlichen Weihnachtszeit "anpassen" und nicht als Weihnachtsgeschenk ,sondern ,hoffentlich als rechtskräftiger, abgeklärter und gut fundierter Justizfall verkünden! Wo kommen wir denn hin,wenn sich die Religion auch noch in die Juris Prudenz einmischt,es reicht mir schon,dass sie sich im europäischen Staatswesen einschleicht und die Demokratie in Gefahr bringt ! Für Sie dennoch: Feliz navidad !
Jack N.Kurt Leupi 22.12.16 18:13
Beschrung/ Herr Peter Jürg Ern
Wenn Sie mir schon eine frohe Botschaft mitteilen wollen, nehme ich Ihren grosszügigen Umgang mit der Wahrheit auch an und vertraue Ihnen mal temporär, dass Sie ein vehementer Kirchenkritiker sind und religiöse Beilagen nur als Zitate oder Sprüche benützen.Somit haben Sie sich ,statt einem Bravo, sogar ein Bravissimo verdient! Sie werden aber auch gemerkt haben, das Vieles von mir eher Satire ist und deshalb geschmacklos ist, aber von Geschmack lebt ja die Satire nicht !Para Usted y esta noche, el Ave Maria de Andrea Bocelli !
Jürgen Franke 07.02.16 00:02
So lange sich
die Kommentare sachlich auf den Artikel beziehen, wird die Redaktion sicherlich keine Einwände haben, es sei denn, man erfindet andere phantastische Interpretationen, die nun wirklich nicht zum Thema passen.
dodojero 22.12.15 22:57
Keine Gewinner............
In der Haut der Richter moechte ich nicht stecken. Die echten Beweise wurden bereits vernichtet, zerstoert oder von einflussreichen Personen beseitigt. Wie immer die Richter entscheiden, es wird keinen Gewinner geben, selbst die beiden Angeklagten haben bereits viel Leid ertragen müssen, falls sie wirklich unschuldig sind. Zwei junge Leute haben ihr Leben verloren und 2 Familien trauern, ja sogar ein Großteil der Welt trauert mit. Ich bezweifle sehr stark, dass eine Verurteilung der beiden Jungs eine Genugtuung für die Familien ist. Zu viele Zweifel und zu viele Fragen bleiben offen.