Humboldt Forum öffnet seine Tore

​Berlins neue Mitte  

Eine Außenaufnahme zeigt das Humboldt Forum auf der Museumsinsel in Berlin. Foto: epa/Hayoung Jeon
Eine Außenaufnahme zeigt das Humboldt Forum auf der Museumsinsel in Berlin. Foto: epa/Hayoung Jeon

BERLIN: Es gilt als das ambitionierteste deutsche Kulturvorhaben der Gegenwart: Das Humboldt Forum im wiederaufgebauten Stadtschloss in Berlin. Lange wurde über dieses gestritten, dann kam Corona, doch nun öffnet es sich allmählich für Besucher.

Bisher war Berlins neues Wahrzeichen nur digital zugänglich. Als das Humboldt Forum, ein Zentrum für Kultur, Kunst und Wissenschaft im Herzen Berlins, im vorigen Dezember endlich aufmachen sollte, konnte die Eröffnungszeremonie wegen der Corona-Pandemie nur online übertragen werden. Derweil strahlten die vom italienischen Architekten Franco Stella rekonstruierten prächtigen Barockfassaden des einstigen Berliner Stadtschlosses still in die Winternächte.

Der lange Corona-Winter ist vorbei, und mit den sinkenden Fallzahlen gehen jetzt allmählich die Schlosstore auf. Seit voriger Woche dürfen Besucher durch den Schlüterhof und die Nord-Süd-Passage des Bauwerks spazieren, und auch der Museumsshop und ein Café sind schon in Betrieb. Am 20. Juli sollen nach der Überwindung letzter technischer Probleme erste Teile des Innenbereichs des Forums mit seinen Museen und Ausstellungen öffnen. An dem Ort, wo einst der deutsche Kaiser residierte, weht dann der Geist der Forscherbrüder Wilhelm und Alexander von Humboldt (1767-1835/1769-1859).

Das Humboldt Forum im wiederaufgebauten Stadtschloss gilt als das ambitionierteste deutsche Kulturprojekt des 21. Jahrhunderts. Auf 40.000 Quadratmetern haben hier das Ethnologische Museum Berlin und das Museum für Asiatische Kunst, die bisher im Westen der Stadt saßen, eine neue Heimat gefunden. Hinzu kommen die Berlin-Ausstellung des Stadtmuseums, das Humboldt-Labor der Humboldt-Universität, eine Bibliothek sowie Räume für Veranstaltung, Sonder- und Wechselausstellungen. Gekostet hat der Bau fast 700 Millionen Euro, von denen 105 Millionen aus privaten Spenden stammen.

Bau und Nutzungskonzept waren über Jahre umstritten. Das über Jahrhunderte gewachsene Stadtschloss war bis zur Abschaffung der Monarchie in Deutschland 1918 Sitz der preußischen Könige, die nach der Reichsgründung 1871 auch deutsche Kaiser waren. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs brannte das Bauwerk nach einem Luftangriff aus. Nach der der Teilung der Stadt fand es sich im Ostsektor Berlins wieder, die regierenden Kommunisten ließen 1950 die noch gut erhaltene Ruine als Symbol des Feudalismus sprengen.

Rund 25 Jahre später baute die DDR auf einem Teil der Fläche den Palast der Republik. Er war Sitz der Volkskammer, des DDR-Parlaments, und zugleich gesellschaftlicher Treffpunkt. Kurz vor der Wiedervereinigung Deutschlands im Herbst 1990 wurde er wegen Asbestverseuchung geschlossen.

Danach begann eine jahrelange Debatte um die Nutzung des Areals. Preußenfreunde wie der Förderverein Berliner Schloss um den Hamburger Kaufmann Wilhelm von Boddien kämpften schon seit 1992 für den Wiederaufbau des Schlosses. Damit, so ein Argument, würde die architektonische Harmonie der alten Stadtmitte wiederhergestellt. Viele Ostdeutsche hätten aber gerne den Palast der Republik behalten und ihn asbestsaniert einer neuen Nutzung zugeführt. 2002 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit den Wiederaufbau des Schlosses, der Abriss des Palastes der Republik wurde 2008 abgeschlossen.

Im gleichen Jahr gewann Franco Stella den Architektenwettbewerb. Der Mann aus Vicenza war insofern keine schlechte Wahl, als sich schon die Barockarchitekten Andreas Schlüter (1660-1714) und Friedrich Eosander (1669-1728) von Italien hatten inspirieren lassen. Schlüters Fassaden orientieren sich am Palazzo Madama in Rom, Eosanders Westportal am Konstantinbogen auf dem Forum Romanum. Während Stella die Schlüterfassaden an drei Seiten rekonstruierte, prangt an der Ostseite eine moderne Fassade im Stil des italienischen Razionalismo. Die Passage, die das Forum in der Mitte durchquert, orientiert sich an den Uffizien in Florenz. Von der «Italianità» des Humboldt Forums schwärmt der Kunsthistoriker Horst Bredekamp, der von 2015 bis 2018 der Gründungsintendanz angehörte.

Nachdem die Frage des Wiederaufbaus längst entschieden war, gab es Zank und Streit um ein Kreuz auf der Kuppel. Dieses war in den ersten Entwürfen nicht enthalten. Sowohl die Fassaden als auch die Kuppel wurden mit den vom Förderverein gesammelten Privatspenden finanziert. Laut Medienberichten war es eine deutsche Industriellenwitwe, die das Kreuz auf der Kuppel mit einer dicken Donation durchsetzte.

Kritiker fanden, dass ein Kreuz nicht auf einen Profanbau gehört und dass das Bekenntnis zu einer Religion sich schlecht mit dem Universalitätsanspruch der Wissenschaft verträgt. Der Förderverein rechtfertigte das Kreuz mit Verweis auf das historische Vorbild des Baus. Der Ärger der Kreuzkritiker schwoll noch an, als auch eine von dem tiefreligiösen Preußenkönig Friedrich Wilhelm IV. (1840-1861) geschaffene Inschrift auf der Kuppel rekonstruiert wurde, die das Gottesgnadentum der königlichen Herrschaft propagiert.

Lange wurde auch um das inhaltliche Konzept des Forums als Ort der Begegnung mit der Welt im Geiste der Brüder Humboldt gerungen. Das fertige Humboldt Forum versteht sich als ein «Universalmuseum im 21. Jahrhundert». Es gelte, «die globale Geschichte der Menschheit aus verschiedenen Perspektiven zu erzählen und neue Verflechtungen der Weltgeschichte zu zeigen», heißt es auf einer der Websites.

Gezeigt werden unter anderem Exponate aus Asien, Afrika, Amerika und Ozeanien aus den Berliner Sammlungen. Und damit steckt das Forum mitten drin in der Kolonialismus-Debatte um die Rückgabe von Kunst an ihre Ursprungsländer. So fordert Nigeria die Restitution der Benin-Bronzen, kostbarer Bronze-Objekte aus dem alten Königreich Benin in Westafrika. Auch bei dem prächtigen Südseeboot aus dem deutschen Kolonialgebiet im heutigen Papua-Neuguinea handele es sich um Raubgut, schrieb jetzt der Historiker Götz Aly. «Was als Projekt begann, den kulturellen Reichtum der Welt zu zeigen, hat sich längst in eine Auseinandersetzung über den Kolonialismus verwandelt», schrieb das Nachrichtenmagazin «Der Spiegel».

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