Türkei soll Aufnahmen von Ermordung Chaschukdschis haben

ISTANBUL/WASHINGTON (dpa) - Angebliche Ton- und Videoaufnahmen, womöglich eine zerstückelte Leiche - und ein seit eineinhalb Wochen verschwundener Journalist. Bewiesen ist im Fall Chaschukdschi zwar noch nichts. Der Druck auf Saudi-Arabien, den Fall endlich aufzuklären, nimmt aber deutlich zu.

Im Fall des verschwundenen saudischen Journalisten Dschamal Chaschukdschi scheint ein Zeitungsbericht mit brisanten Schilderungen den Verdacht gegen die saudische Führung zu erhärten. Die «Washington Post» berichtete in der Nacht zu Freitag, türkische Regierungsvertreter hätten ihre US-Kollegen darüber informiert, dass sie über Audio- und Videoaufnahmen verfügten. Diese Aufnahmen belegten angeblich, dass saudische Sicherheitskräfte den Journalisten vor eineinhalb Wochen im saudischen Konsulat in Istanbul getötet und seine Leiche zerstückelt hätten.

Eine offizielle Bestätigung für die Existenz der Aufnahmen gab es von türkischen Behörden am Freitag allerdings nicht. Aus dem Präsidentenpalast in Ankara hieß es: «Wir haben keine Informationen zu Video- oder Audioaufnahmen.» Existieren sie wirklich, lassen sie zumindest den Schluss zu, dass die Türkei sie sich auf mindestens fragwürdigem Wege besorgt hat - also über das Abhören von Handys oder über das Ausspionieren des Konsulats.

Chaschukdschi hatte selber für die «Washington Post» geschrieben. Schon vor einigen Tagen hatte ein türkischer Behördenvertreter der «New York Times» gesteckt, dass Chaschukdschi innerhalb von zwei Stunden nach seiner Ankunft im Konsulat von saudischen Agenten getötet worden sei - die die Leiche mit einer eigens dafür mitgebrachten Knochensäge zerstückelt hätten. «Es ist wie «Pulp Fiction»», sagte der Behördenvertreter dem Blatt.

Fasst man alle bisherigen Berichte aber einmal zusammen - die zudem Widersprüche aufweisen -, dann ist bisher nur eines bewiesen: Chaschukdschi (59) betrat das saudi-arabische Konsulat am 2. Oktober, um Papiere für seine geplante Hochzeit mit einer Türkin abzuholen. Seither wird er vermisst - und seither nimmt der Fall an Brisanz zu.

Chaschukdschi war vor mehr als einem Jahr aus Angst vor politischer Verfolgung ins US-Exil gegangen. Heikel ist sein Verschwinden nicht zuletzt auch für US-Präsident Donald Trump, der viel auf seine Allianz mit Saudi-Arabien gibt. Der 33-jährige Kronprinz Mohammed bin Salman, oft kurz «MbS» genannt, pflegt besonders enge Beziehungen zu Trumps Berater und Schwiegersohn Jared Kushner. Der jüngere Bruder von MbS - Prinz Chalid bin Salman bin Abdulasis - ist übrigens der Botschafter des Königreichs in Washington.

Auch aus den USA wächst der Druck auf Saudi-Arabien, den Fall Chaschukdschi aufzuklären. Der saudische Botschafter sei derzeit in Riad, sagte die Sprecherin des US-Außenministeriums, Heather Nauert, am Donnerstag (Ortszeit). «Wir haben ihm gesagt, dass wir bei seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten Informationen erwarten.» Man wolle aber keine vorschnellen Schuldzuweisungen treffen.

Der republikanische Senator Bob Corker, der den Vorsitz über den Auswärtigen Ausschuss führt, sagt zwar ebenfalls, noch sei nichts erwiesen. Alles deute aber darauf hin, dass Chaschukdschi ermordet worden sei. «Und alles zum jetzigen Zeitpunkt deutet auf Saudi-Arabien», sagte Corker dem Sender MSNBC.

Corker sagte, unmittelbar nach dem Verschwinden habe er den saudischen Botschafter angerufen. «Und er teilte mir mit, dass die Videoanlagen im Konsulat nur live übertragen, dass sie nichts aufnehmen, was eine lächerliche, lächerliche Aussage ist.»

Corker und mehrere andere Senatoren auch der Opposition forderten Trump auf zu prüfen, ob in dem Fall eine schwere Menschenrechtsverletzung vorliege und Sanktionen verhängt werden sollten. In 120 Tagen wollen sie einen Bericht des Präsidenten. In Frage gestellt werden könnten dann auch Waffenlieferungen - und niemand kauft mehr Waffen bei den USA als Saudi-Arabien.

Saudi-Arabien ist aber noch mehr als ein wichtiger Abnehmer von US-Rüstungsgütern: Es ist auch der wichtigste Gegenspieler zum Iran, gegen den Trump mit zunehmender Vehemenz vorgeht. Die «Washington Post» schreibt: «Die Trump-Regierung hat ihre gesamte Strategie für die Region - inklusive Bemühungen für Frieden zwischen Israel und den Palästinensern - auf die Pflege enger Beziehungen zum Kronprinz Saudi-Arabiens, Mohammed bin Salman, aufgebaut.»

Auch Trump fordert mit zunehmender Vehemenz Aufklärung in dem Fall. Er wandte sich am Donnerstag aber schon einmal vorsorglich gegen ein Ende von Rüstungslieferungen an Saudi-Arabien. «Wissen Sie, was sie dann tun werden? Sie werden dieses Geld nehmen und es in Russland oder China ausgeben, oder anderswo.» Er fügte hinzu: «Wenn es sich herausstellt, dass es so schlimm ist, wie es sein könnte, gibt es sicherlich andere Wege, um mit der Situation umzugehen.»

Die Ermittlungen zumindest schienen vor dem Wochenende noch einmal an Fahrt aufzunehmen. Am Freitagnachmittag traf in der Türkei eine Delegation aus Saudi-Arabien ein. Sie habe mit den Ermittlungen in dem Fall zu tun, berichtete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu. Am Donnerstagabend hatte Präsidentensprecher Ibrahim Kalin angekündigt, dass die Türkei und Saudi-Arabien im Fall Chaschukdschi auf Bitten Saudi-Arabiens gemeinsam ermitteln würden.

Über das Wochenende soll die Gruppe in Ankara türkische Behördenvertreter treffen. CNN Türk berichtete, auf der Agenda stünden Gespräche darüber, wann und wie türkische Ermittler endlich das saudische Konsulat inspizieren könnten - ein Versprechen, das die saudi-arabische Seite schon vor Tagen gemacht, aber offenbar noch nicht erfüllt hat. Wieso - dazu gab es keine Angaben.

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