Belarus macht die Grenze zu Litauen und Polen dicht

Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko nimmt in Minsk an einem Treffen mit Spitzenbeamten der Sicherheitsbehörden des Landes teil. Foto: epa/Nikolai Petrov
Weißrusslands Präsident Alexander Lukaschenko nimmt in Minsk an einem Treffen mit Spitzenbeamten der Sicherheitsbehörden des Landes teil. Foto: epa/Nikolai Petrov

MINSK: Mitten im Machtkampf in Belarus (Weißrussland) hat Staatschef Alexander Lukaschenko die Westgrenze zu den EU-Ländern Litauen und Polen geschlossen. Das sagte er am Donnerstagabend der Staatsagentur Belta zufolge in Minsk. Zudem sei der Grenzschutz in Richtung Ukraine verstärkt worden. «Wir sind gezwungen, Truppen von den Straßen abzuziehen», meinte der 66-Jährige.

An der südlichen Staatsgrenze hängen derzeit Hunderte ultraorthodoxe jüdische Pilger fest, die wegen eines in Kiew verhängten Einreisestopps nicht in die Ukraine einreisen dürfen. Sie wollten am jüdischen Neujahrsfest zum Grab des Rabbi Nachman pilgern.

Zu den Menschen in den drei Nachbarländern sagte der belarussische Präsident bei einem Frauenforum: «Stoppt Eure verstandslosen Politiker, lasst sie keinen Krieg entfesseln.» Er wolle nicht, dass sich sein Land im Krieg befinde. «Ich möchte auch nicht, dass Belarus und eben jenes Polen, Litauen sich in einen Schauplatz von Kriegshandlungen verwandeln, auf dem nicht unsere Probleme gelöst werden», sagte er.

In Litauen und der Ukraine werden derzeit Militärmanöver mit Nato-Truppen abgehalten. Parallel dazu trainiert die belarussische Armee mit russischen Streitkräften im Westen von Belarus an der EU-Grenze. Dieses Manöver wird Lukaschenko zufolge nun verlängert. Angesichts der aktuellen Situation werde es eine zweite Phase geben. Ursprünglich sollte die Übung Freitag nächster Woche beendet sein.

Die Grenzschließung dürfte auch die Opposition in Belarus treffen. Namhafte Oppositionelle wie Swetlana Tichanowskaja halten sich in den westlichen Nachbarländern auf. Bei geschlossener Grenze dürfte eine Rückkehr nicht ohne Weiteres möglich.

Seit der Präsidentenwahl in Belarus am 9. August kommt es jeden Tag zu Protesten. Lukaschenko ließ sich 80,1 Prozent der Stimmen zusprechen und will nun eine sechste Amtszeit antreten. Die Sicherheitskräfte gehen hart gegen Demonstranten vor. Lukaschenko meinte vor den Frauen in Minsk: «Wissen Sie, ich bin kein Angreifer, ich bin ein sehr friedlicher Mensch. Ich bin im Dorf aufgewachsen, wo jeder den anderen verteidigte.»


Machtkampf in Belarus: EU-Parlament will Sanktionen gegen Lukaschenko

BRÜSSEL/MINSK: Die Töne aus Brüssel gegen Staatschef Lukaschenko in Belarus werden schärfer. Nun fordert das EU-Parlament Sanktionen auch gegen den Langzeitpräsidenten. Auch Russland gerät ins Visier.

Im wochenlangen Machtkampf in Belarus (Weißrussland) spricht sich das Europaparlament für direkte Sanktionen gegen den Staatschef Alexander Lukaschenko aus. Dazu verabschiedeten die Parlamentarier am Donnerstag in Brüssel einen Entschließungsantrag. Die Strafmaßnahmen sollen demnach gegen Verantwortliche der Wahlfälschung und der Unterdrückung friedlicher Proteste richten. Die EU bereitet derzeit Sanktionen vor. Unklar war aber, ob auch Lukaschenko auf dieser Liste stehen wird. Die EU-Parlamentarier erkannten zugleich indirekt die Oppositionelle Swetlana Tichanowskaja als vorübergehende Repräsentantin von Belarus an.

Die 38-Jährige war bei der Wahl am 9. August gegen Lukaschenko angetreten. Die Opposition hält sie für die wahre Siegerin. Doch der Präsident ließ sich 80,1 Prozent der Stimmen zusprechen und will im Herbst seine mittlerweile sechste Amtszeit antreten. Tichanowskaja war aus Belarus geflohen und hält sich nun im EU-Land Litauen auf.

Sie hatte den Koordinierungsrat der Zivilgesellschaft für einen friedlichen Machtwechsel initiiert. Fast alle führenden Mitglieder sind entweder in Haft oder im Ausland, weil Lukaschenko gegen das Gremium massiv vorgeht. Die EU-Parlamentarier beschlossen nun, den Koordinierungsrat als vorübergehende Vertretung des Volkes von Belarus anzusehen.

Der EU-Außenbeauftragte Josep Borrell hatte erst am Dienstag gesagt, Lukaschenko werde nicht als legitimer Präsident der früheren Sowjetrepublik anerkannt. Auch das EU-Parlament äußerte sich entsprechend in der Entschließung. Die EU-Staaten hatte bereits das Wahlergebnis nicht anerkannt. Dazu sagte Lukaschenko am Abend der Staatsagentur Belta zufolge, die Wahl sei gemäß dem Recht in Belarus abgehalten worden. «Wir brauchen keine Anerkennung.»

Borrels Sprecher Peter Stano sagte am Donnerstag der dpa, dass Tichanowskaja am Montag für ein Treffen mit den EU-Außenministern nach Brüssel kommen werde.

Knapp sechs Wochen nach der Präsidentenwahl geht Lukaschenkos Apparat immer brutaler gegen Andersdenkende vor. Maskierte Uniformierte, die keine Erkennungszeichen tragen, nehmen täglich Bürger fest. Dutzende Anwälte veröffentlichten einen Videoclip, in dem sie die totale Willkür und das «kriminelle» Handeln der Behörden kritisierten.

Wegen der Gewalt an Demonstranten erstellt die Opposition nun eine «schwarze Liste» mit den Gehilfen des 66-Jährigen. Die Namen jener, die an Folter, illegalen Festnahmen und am Missbrauch von Gefangenen beteiligt seien, sollten auf eine Sanktionsliste, teilte Tichanowskaja in ihrem Exil in der EU mit.

Lukaschenko, der von seinen Kritikern auch als «letzter Diktator Europas» bezeichnet wird, sucht in der schwersten Krise seines Landes Rückendeckung im Nachbarland Russland. Kremlchef Wladimir Putin hatte ihm Truppen für den Ernstfall und einen Milliardenkredit versprochen.

Um die angeschlagene Wirtschaft zu stabilisieren, brachte Polen einen europäischen Marshall-Plan für Belarus ins Gespräch. Er sehe die Einrichtung eines Stabilisierungsfonds vor, der mindestens eine Milliarde Euro umfassen sollte, sagte Polens Regierungschef Mateusz Morawiecki bei einem Besuch in Litauen.

Russland warnt den Westen seit langem vor einer Einmischung in den Konflikt - bezieht gleichzeitig aber Stellung für Lukaschenko und lehnt Gespräche mit der Opposition ab. Das Außenministerium in Moskau stellte am Donnerstag nach einem Telefonat von Vize-Außenminister Andrej Rudenko mit dem US-Botschafter in Russland, John Sullivan, klar, es handele sich in Belarus um eine interne Angelegenheit.

Russlands Außenminister Sergej Lawrow sagte am Abend in einem Fernsehinterview, vor allem Litauen solle dem belarussischen Volk nicht seinen Willen diktieren. «Die Situation ist angespannt.» Er sei aber zuversichtlich, dass sich die Lage bald wieder normalisiere.

Die EU beklagte unterdessen, dass es etwa in Belarus eine sehr aktive Desinformationspolitik gebe. Vor allem der russische Staatssender RT (früher Russia Today) spiele eine tragende Rolle, hieß es aus den EU-Kreisen weiter. Besorgniserregend sei zudem das massive Vorgehen gegen Journalisten. Allein im August seien 150 Journalisten in Belarus festgenommen worden. Mehreren Reportern, auch von ausländischen Medien, sei die Akkreditierung entzogen worden.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.
Pflichtfelder

Es sind keine Kommentare zum Artikel vorhanden, bitte schreiben Sie doch den ersten Kommentar.