Baerbock zu China-Besuch in Tianjin

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) besichtigt die Flender GmbH und wird von Arbeitern mit deutschen und chinesischen Papierfähnchen begrüßt. Das Unternehmen fertigt seit 1899 Getriebe für eine bre... Foto: Soeren Stache/dpa
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) besichtigt die Flender GmbH und wird von Arbeitern mit deutschen und chinesischen Papierfähnchen begrüßt. Das Unternehmen fertigt seit 1899 Getriebe für eine bre... Foto: Soeren Stache/dpa

Baerbock betont nach Macron-Äußerung zu Taiwan Einigkeit der EU

TIANJIN: Schwierige Mission: Außenministerin Baerbock will in der Hafenstadt Tianjin und der Hauptstadt Peking das deutsch-chinesische Verhältnis neu austarieren. Die politischen Gespräche sind ein Balanceakt.

Außenministerin Annalena Baerbock hat am Rande ihres China-Besuches versucht, angesichts umstrittener Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Konflikt um Taiwan den Eindruck europäischer Unstimmigkeit zu zerstreuen. Macron habe am Vortag «noch einmal unterstrichen, dass die französische Chinapolitik eins zu eins die europäische Chinapolitik widerspiegelt», sagte die Grünen-Politikerin am Donnerstag in der Hafenstadt Tianjin. Bei allen Differenzen in der EU sei es eine Stärke, «dass wir bei den zentralen Fragen von unseren Interessen und Werten nicht nur nah beieinander sind, sondern gemeinsame strategische Ansätze verfolgen».

Macron hatte in Interview-Äußerungen nach seinem China-Besuch in der vergangenen Woche Europa zu einem eigenständigeren Kurs in der Taiwan-Frage aufgerufen und betont, Europa solle gleichermaßen Distanz zu China und zu den USA halten.

Baerbock unterstrich, es sei «ein sehr wichtiges Zeichen» gewesen, dass EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen und der französische Präsident gemeinsam in China gewesen seien. Wenn man einen Binnenmarkt teile, könne man «gar keine unterschiedlichen Positionen zu dem größten Handelspartner der EU» - China - «und insbesondere zu Deutschland fahren». Zugleich warnte Baerbock angesichts der möglichen weltweiten Folgen für die Lieferketten vor einer militärischen Eskalation in der Straße von Taiwan.

Die EU habe schon vor einiger Zeit deutlich gemacht, dass China Partner, Wettbewerber und systemischer Rivale sei, sagte Baerbock. Man könne das China von heute nicht mehr mit den Maßstäben von gestern messen. Es sei aber auch klar, dass man «an dieser aufstrebenden Weltmacht, an einem Volk mit Milliarden von Menschen, an einem unserer größten Handelspartner» nicht nur nicht vorbeikomme. Vielmehr sei ein enger Austausch nötig, gerade auch im Sinne der Menschen, der Beschäftigten und der Wirtschaft.

«Klar ist aber auch, dass wir in einigen Bereichen Abhängigkeiten von China haben, die nicht gesund sind», stellte Baerbock fest. Dies bedeute «nicht Entkopplung. Aber es bedeutet, seine Risiken zu minimieren und sich bewusst zu machen, dass man durch wirtschaftliche Abhängigkeiten auch Gefahren hervorbringen kann.» Deswegen werde die wirtschaftliche Sicherheit eine zentrale Frage in der Chinastrategie sein, die die Bundesregierung derzeit in enger Zusammenarbeit mit den europäischen Partnern schreibe. China ist mit rund 1,4 Milliarden Einwohnern knapp vor Indien das bevölkerungsreichste Land der Welt.

Auch angesichts der Rückendeckung Pekings für Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte die Reise für Baerbock eine der diplomatisch schwierigsten Missionen ihrer bisherigen Amtszeit sein. Es liege «in unserem maximalen Interesse, dass der russische Angriffskrieg endlich gerecht beendet wird», sagte die Ministerin. Dies könne Putin. «Und ein Land hat am meisten Einfluss auf Russland und das ist China».

Besuch beim Getriebe-Produzenten für Windturbinen

Beim Windkraft-Getriebe-Produzenten Flender machte sich Baerbock in Tianjin ein Bild von den in China boomenden erneuerbaren Energien. Flender stellt Getriebe für Windturbinen her, beschäftigt weltweit mehr als 8000 Mitarbeiter und hat Standorte in Europa, den USA, Indien und China. In Tianjin werden Getriebe in Antriebskomponenten montiert. Der kaufmännische Geschäftsführer von Flender in China, Martin Kaufung, schwärmte von einer «gigantischen Auftragslage». Und man sei schnell: Vom Angebot bis zur Aufstellung eines neuen Windkraftrades dauere es in China ein halbes Jahr. Davon können Windkraftanhänger in Deutschland nur träumen.

Zwar liegt China auf Platz eins der Treibhausgas-Emittenten und trägt über 32 Prozent der globalen Emissionen bei. Doch der Anteil von erneuerbaren Energien hat in den vergangenen Jahren stark zugenommen.

Baerbock bei Deutsch-Schülerinnen und -Schülern

In einer Pasch-Partnerschule, die zu einem Netzwerk von weltweit mehr als 2000 Schulen gehört, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat, holte sich Baerbock einen Eindruck über die Wünsche junger Chinesen. Gut die Hälfte der Frauen und Männer aus 11. und 12. Klassen hat nach eigenen Angaben schon die Zusage, bei einer deutschen Uni studieren zu können. Auf die Frage, an was man bei Deutschland denke, nannte eine Schülerin den Fußball. Ein Schulkamerad erwähnte Kunst und Kultur, Brahms und Wagner.

Heikle Gespräche am Freitag

Am Freitag folgen für Baerbock die schwierigen politischen Gespräche in Peking. Mit dem neuen chinesischen Außenminister Qin Gang will sie den deutsch-chinesischen Strategischen Dialog fortsetzen. Später ist ein Gespräch mit dem chinesischen Vizepräsidenten Han Zheng geplant.

Aktivisten appellierten an Baerbock, sich für die sofortige Freilassung der am Montag zu hohen Haftstrafen verurteilten Bürgerrechtler Xu Zhiyong (50) und Ding Jiaxi (55) einzusetzen. Die beiden prominenten Juristen waren wegen «Untergrabung der Staatsgewalt» zu 14 und 12 Jahre Gefängnis verurteilt worden. Yaqiu Wang von der in New York ansässigen Menschenrechtsgruppe Human Rights Watch forderte, Baerbock solle «unzweideutig die Besorgnis über die Verfolgung in Xinjiang, Tibet und Hongkong zum Ausdruck bringen».

Die Pekinger Führung sieht Baerbock mit ihrer eher kritischen Haltung gegenüber China ein wenig als Störfaktor in den Beziehungen - auch nach dem Besuch von Kanzler Olaf Scholz (SPD) im November. Nun hofft die Führung in Peking darauf, dass deutsche China-Politik wie schon unter Angela Merkel eher im Kanzleramt gemacht wird.


Baerbock zu China-Besuch in Tianjin eingetroffen

TIANJIN: Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ist am Donnerstag in der Hafenstadt Tianjin zu ihrem mit Spannung erwarteten Antrittsbesuch in China eingetroffen. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking wollte die Grünen-Politikerin unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Die zentralen politischen Gespräche sind am Freitag in Peking geplant.

Angesichts der Rückendeckung Chinas für den Krieg des russischen Präsidenten Wladimir Putin in der Ukraine und der Lage um Taiwan dürfte der Besuch eine der diplomatisch schwierigsten Missionen in Baerbocks bisheriger Amtszeit werden.

Mit dem 2008 vom Auswärtigen Amt gegründeten Pasch-Projekt «Schulen: Partner der Zukunft» werden nach Angaben der Initiative weltweit mehr als 2000 Schulen vernetzt, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat. Die Pasch-Partner beraten Schulleitungen, Ministerien und Schulen bei der Entwicklung des Deutschunterrichts. Entsandte Expertinnen und Experten betreuen die Schulen vor Ort und unterstützen beim Ausbau des Deutschunterrichts.

Chancen ausloten, Abhängigkeit abbauen

Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale - in China will Baerbock Werte betonen und Möglichkeiten der Zusammenarbeit sondieren. Es dürfte ein Balanceakt werden. Ein neuer Raketentest Nordkoreas und Chinas Manöver vor Taiwan verdeutlichen die Spannungen in der Region.

Außenministerin Annalena Baerbock hat zu ihrem Antrittsbesuch in China das Ziel betont, Chancen für eine künftige Zusammenarbeit auszuloten und Gefahren einseitiger Abhängigkeit abzubauen. «Für unser Land hängt viel davon ab, ob es uns gelingt, unser zukünftiges Verhältnis mit China richtig auszutarieren», sagte die Grünen-Politikerin vor dem Abflug zu ihrem ersten Besuch in China. Ganz oben auf ihrer Agenda stehe aber auch das Interesse, «den Krieg vor unserer europäischen Haustür in der Ukraine schnellstmöglich, dauerhaft und gerecht zu beenden».

Überschattet wird der Besuch durch einen neuen Raketentest Nordkoreas am Donnerstagmorgen, Chinas Militärmanöver zur Einschüchterung des demokratischen Taiwans und die hohen Haftstrafen von 12 und 14 Jahren für zwei der bekanntesten chinesischen Bürgerrechtler Xu Zhiyong und Ding Jiaxi. Nach Angaben des südkoreanischen Generalstabs flog die nordkoreanische Rakete mit einer Reichweite von möglicherweise tausenden Kilometern in Richtung offenes Meer. Die Erprobung ballistischer Raketen, die mit Atomsprengköpfen bestückt werden können, ist Nordkorea durch UN-Beschlüsse untersagt.

Auch angesichts der Rückendeckung Pekings für Russlands Präsident Wladimir Putin dürfte die Reise für Baerbock eine der diplomatisch schwierigsten Missionen ihrer bisherigen Amtszeit werden. China trage als ständiges Mitglied im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen eine besondere Verantwortung für den Weltfrieden, betonte Baerbock. Welche Rolle China mit seinem Einfluss auf Russland übernehme, «wird für ganz Europa und unsere Beziehung zu China Folgen haben», sagte sie.

«Partner, Wettbewerber, systemischer Rivale - das ist der Kompass der europäischen China-Politik. In welche Richtung die Nadel künftig ausschlagen wird, liegt auch daran, welchen Weg China wählt», sagte Baerbock. Sie wolle Chancen für mehr Zusammenarbeit bei der Förderung der Zivilgesellschaft, beim Klimaschutz und in Zukunftsbranchen wie erneuerbare Energien ausloten. Es sei klar: «An einer wirtschaftlichen Entkopplung haben wir kein Interesse - dies wäre in einer globalisierten Welt ohnehin schwer möglich.» Man müsse aber die Risiken einseitiger Abhängigkeiten systematischer in den Blick nehmen und abbauen, «im Sinne eines De-Risking».

Dies gelte gerade auch «mit Blick auf das Horrorszenario einer militärischen Eskalation in der Taiwanstraße, durch die täglich 50 Prozent des Welthandels fließen», sagte Baerbock. Sie werde deshalb auch die gemeinsame europäische Überzeugung unterstreichen, dass eine einseitige Veränderung des Status quo in der Meerenge der Taiwanstraße und erst recht eine militärische Eskalation inakzeptabel wären. Selbstverständlich wolle sie in China auch über den Schutz der universellen Menschenrechte sprechen, sagte die Ministerin. Dieser müsse Bestandteil fairer Wettbewerbsbedingungen sein.

Baerbock wollte ihren Besuch am Donnerstag in der Hafenstadt Tianjin beginnen. In der Stadt südöstlich der Hauptstadt Peking will sie unter anderem den Unterricht an einer Pasch-Partnerschule besuchen und ein deutsches Unternehmen besichtigen, das Windturbinen produziert. Mit dem 2008 vom Auswärtigen Amt gegründeten Pasch-Projekt «Schulen: Partner der Zukunft» werden nach Angaben der Initiative weltweit mehr als 2000 Schulen vernetzt, an denen Deutsch einen besonders hohen Stellenwert hat. Die zentralen politischen Gespräche sind am Freitag in Peking geplant.

Nach den umstrittenen Äußerungen von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron zum Konflikt um Taiwan appellierte der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen an Baerbock, in China ein Bekenntnis Deutschlands für einen uneingeschränkten europäischen Kurs abzulegen. «Die deutsche Außenministerin muss die Bundesregierung ohne Wenn und Aber in diese europäische Linie einreihen. Wenn daran Zweifel zurückbleiben, würde sie den Schaden, den Macron angerichtet hat, weiter vergrößern», sagte Röttgen der «Rheinischen Post» und dem Bonner «General-Anzeiger» (Donnerstag).

Macron hatte in Interview-Äußerungen nach seinem China-Besuch in der vergangenen Woche Europa zu einem eigenständigeren Kurs in der Taiwan-Frage aufgerufen und betont, Europa solle gleichermaßen Distanz zu China und zu den USA halten.

Der Repräsentant Taiwans in Deutschland, Shieh Jhy-Wey, sagte dem «Tagesspiegel» (Donnerstag): «Gerade vor den jüngsten Äußerungen von Herrn Macron hoffe ich, dass Frau Baerbock, die als Verfechterin freiheitlicher Werte bekannt ist, in Peking Klartext spricht und unterstreicht, dass Deutschland jeden Versuch Chinas ablehnt, die Taiwan-Frage mit Gewalt zu lösen.» Am Beispiel der Ukraine sehe man, dass nur transatlantische Einigkeit Erfolg habe. «Wenn dieser Schulterschluss auch bei Taiwan gelingt, weiß China, dass es keine Chance hat, uns militärisch zu unterdrücken.»

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt forderte von Baerbock eine klare Strategie gegenüber Peking. «Ich hätte erwartet, dass Frau Baerbock ihre lang angekündigte China-Strategie vorlegt, bevor sie nach Peking reist», sagte der Vorsitzende der CSU-Abgeordneten im Bundestag der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. «Unsere Unternehmen müssen endlich wissen, welche China-Politik die Ampel verfolgt, wie sie unsere Souveränität stärken und strategische Abhängigkeiten reduzieren will.» Diese Antworten bleibe Baerbock weiter schuldig.

Die Vizechefin der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag, Gyde Jensen (FDP), rief Baerbock zu klaren Worten auf. «Annalena Baerbock hat gezeigt, dass sie nicht auf leisen Sohlen daherkommt, um nur ja niemanden zu verschrecken», sagte Jensen dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Donnerstag). «So sollte sie auch in China klar Stellung beziehen, die Einhaltung von Menschenrechten einfordern, aber auch die von völkerrechtlichen Verträgen.»

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