Baerbock bei Lawrow: Frostige Bewährungsprobe in Moskau

Foto: Pixabay
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MOSKAU: Sergej Lawrow gilt als genauso krisenerprobt wie mürrisch - und als eine der Schlüsselfiguren in vielen Krisen der Welt. Für die neue Außenministerin Annalena Baerbock war klar: Ein Spaziergang wird ihrer Reise nach Russland nicht.

Annalena Baerbock betont sorgfältig fast jedes Wort. Zentrale Passagen liest sie vom Manuskript ab. Ruhig, klar und deutlich. Schnell ist der neuen deutschen Außenministerin anzumerken, wie wichtig ihr der Auftritt an der Seite von Sergej Lawrow ist. Sie weiß: Der Antrittsbesuch beim krisenerprobten russischen Haudegen ist ihre erste große Bewährungsprobe, nachdem sie vor knapp sechs Wochen den Amtseid geleistet hat. Nicht nur die deutsche Politik schaut zu. Auch international dürfte genau beobachtet werden, wie sich die 41-jährige Grüne bei ihrem Auftritt im Gästehaus des russischen Außenministers schlägt.

Am Ende des gut 40 Minuten langen gemeinsamen öffentlichen Auftritts von Baerbock und Lawrow ist klar: Inhaltlich hat sich nach diesen Beratungen nicht viel bewegt in den seit Jahren frostigen Beziehungen zwischen Berlin und Moskau. Große Neuigkeiten: Fehlanzeige. Aber die waren eigentlich auch nicht erwartet worden. Schon das Treffen und das Klima beim gemeinsamen Auftritt sind die Botschaft.

Für Baerbock waren alle bisherigen Antrittsbesuche im Vergleich zu den Beratungen mit Lawrow Termine bei Freunden - wie am Montag bei der ukrainischen Regierung in Kiew. Und jetzt Lawrow. Der 71-Jährige ist seit knapp 18 Jahren russischer Chefdiplomat, der am längsten amtierende Außenminister in Europa. Er kennt die Tricks und Kniffe, die kleinen und großen Hinterhältigkeiten auf dem internationalen Parkett. Und er verzichtet diesmal auf Spitzen.

Am Dienstag ist schon bei den Eingangsstatements zum gut zweistündigen Gespräch von Lawrow und Baerbock ein ziemlich mürrisch blickender Russe zu beobachten. Den Augenkontakt mit der 30 Jahre jüngeren Frau gegenüber vermeidet er, wo es nur geht. Als Baerbocks Worte übersetzt werden, blättert Lawrow schon mal tief in seinen Sessel versunken in seinen Unterlagen. Zugewandt sieht anders aus.

Baerbock sitzt Lawrow gegenüber, schaut ihn immer wieder an, die rechte Hand locker über die linke gelegt. Ernst sagt sie: «Es gibt keine Alternative zu stabilen Beziehungen zwischen Moskau und Berlin.» Daran wolle sie weiterhin arbeiten, betont Baerbock. Sie schiebt sicherheitshalber noch den Satz hinterher, dass sie damit auch «im Namen der gesamten deutschen Bundesregierung» spreche. Dass Lawrow ja nicht meint, er könne die Grünen von Noch-Parteichefin Baerbock und die SPD von Kanzler Olaf Scholz auseinanderdividieren.

Auch in Moskau dürfte sich herumgesprochen haben, dass es in der neuen Berliner Ampel-Koalition deutliche Unterschiede in der Haltung gegenüber Russland gibt: So gelten die Grünen als wesentlich kritischer als die SPD von Kanzler Olaf Scholz oder die FDP. Russische Kommentatoren betonen oft, der Kanzler bestimme die Außenpolitik - nicht die Ministerin.

Später in der gemeinsamen Pressekonferenz spricht Baerbock Lawrow als «lieben Kollegen» an, bedankt sich «für die Gastfreundschaft, heute hier in Moskau sein zu können». Die Höflichkeitsfloskeln sind dann aber auch schon beendet.

Von einer «dicken Gesprächsmappe» spricht Baerbock. Die Mappe sei so dick, «weil es eine ganze Reihe von Themen zu besprechen gibt, in denen wir große, teils fundamentale Meinungsverschiedenheiten haben». Aber auch, weil es trotz vieler Konflikte Themen gebe, bei denen die Bundesregierung Chancen für mehr Zusammenarbeit sehe. Sie nennt besonders den Klimaschutz, bei dem sie im flächenmäßig größten Land der Erde viel Potenzial sehe - bei der Aufforstung von Wäldern etwa; aber auch den Handel und die Hochschulbildung.

Ausdrücklich erwähnt sie auch Russlands Rolle als Lieferant von Gas, das weiter wichtig bleibe. Als es später in der Fragerunde dann auf die umstrittene russisch-deutsche Gaspipeline Nord Stream 2 kommt - Baerbock gilt seit langem als Gegnerin des Projekts, anders als SPD und FDP - antwortet die Ministerin ruhig und gelassen. Sie verweist auf den Ampel-Koalitionsvertrag, in dem auf das europäische Energierecht verwiesen wird. Ohne zu vergessen, Lawrow daran zu erinnern, dass Energie nicht als Waffe eingesetzt werden dürfe.

Baerbock kommt in Moskau rasch zu den kritischen Dingen: Zur Friedensordnung in Europa, bedroht durch 100.000 russische Soldaten an der ukrainischen Grenze. Sie erwähnt die Menschenrechte, auf die sie stärker als die frühere schwarz-rote Regierung einen Schwerpunkt legen will. Als Beispiele nennt sie die Auflösung der Organisation Memorial, den Fall des vergifteten und inhaftierten Kremlgegners Alexej Nawalny. Schlagfertig lässt sie die Vertreter der russischen Staatsmedien abblitzen, die eine deutsche Genehmigung fordern für Moskaus Propagandasender RT DE. In Deutschland gebe es keinen staatlichen Rundfunk, betont sie - auch nicht für Amerikaner.

Am Ende ihres Statements appelliert sie dann emotional an den Mann, der neben ihr oft mit fast versteinertem Gesicht steht. Am Grab des unbekannten Soldaten in Moskau zu stehen, «erfüllt mich mit Scham und Ehrfurcht. Nichts kann das Ausmaß des Leids und der Zerstörung, die wir Deutschen über die Völker der Sowjetunion gebracht haben, aufwiegen», sagt die Außenministerin. Für die politisch Verantwortlichen gebe es «keine wichtigere Pflicht, als unsere Bevölkerung zu schützen, vor allen Dingen vor Krieg und Gewalt». Sie betont, dass Deutschland und Russland eine besondere Verantwortung für den Frieden und die Sicherheit in Europa hätten.

Als die Pressekonferenz kurz darauf beendet ist, zieht sich Baerbock rasch die Corona-Maske über Mund und Nase. Sie nickt kurz und geht mit strammem Schritt an Lawrow vorbei. Nach einer neuen Freundschaft sieht der Abgang von der gemeinsamen Bühne nun wirklich nicht aus.

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