Nicht nur der Zahn der Zeit nagt an uns, die Zeit nagt auch am Zahn. Mit jedem einzelnen Verlust kommt man sich Stück für Stück sichtbar abhanden. Um das Unabwendbare wenigstens zu verzögern, begab ich mich in einer hiesigen Dentalklinik in Behandlung.
Balsam auf die Lippen
Normalerweise sind dort sehr freundliche Zahnärztinnen am Werk, die einem sogar die Lippen mit Balsam bepinseln, damit die Haut schön elastisch ist, bevor sie mit der Prozedur beginnen. Auffallend ist bloß, dass da eine undurchschaubare Arbeitsteilung herrscht. Eine der Damen arbeitet nur unter der Woche zwei, drei Tage, die Andere nur am Wochenende ein paar Stunden und die Dritte war nur am Sonntag da, von 9 bis 16 Uhr. Ich konnte sie am Ende kaum mehr auseinanderhalten, weiß gekleidet und mit identischem Haarnetz standen sie freundlich lächelnd in der Praxis und baten mich mit einer einladenden Handbewegung auf dem Foltersessel Platz zu nehmen.
Sie wären wohl gleichbleibend freundlich gewesen, wenn dort der elektrische Stuhl auf mich gewartet hätte. Beim letzten Besuch machte mich die Sonntagsärztin darauf aufmerksam, dass für weitere Konsultationen ein Herr X zuständig wäre, eine Koryphäe auf dem Gebiet der Wurzelbehandlung. Deshalb verabschiedete sie sich – mit einem Lächeln.
Der stumme Dr. Wu-Tsahn-Weh
Dann war es soweit. Ich wurde von der Assistentin wie üblich in die Praxis geleitet. Dort saß ein Herr mit pechschwarzem Haar am PC und sagte... nichts. Er starrte höchst konzentriert auf den Bildschirm und als ich kurz über seine Schulter blickte, wusste ich auch warum: Dort war ein außergewöhnlich wohlgeformter Unterkiefer zu sehen, perfekt und von bestechender Anmut, eine wahre Offenbarung für den Kenner. Ich beschloss, dem Herrn seine Unachtsamkeit nachzusehen, immerhin handelte es sich um mein anatomisches Hab und Gut, Andacht war hier angemessen.
Nach einer Weile drehte sich Herr X auf dem Sessel um, legte sich eine weiße Gesichtsmaske an und rollte an meine Seite. Statt Balsam auf meine Lippen gab es nun eine Anweisung in gebrochenem Englisch, mit chinesischem Singsang: „Open youl mouth....please.“ Ich sagte erst mal: „Sawadee krap.“ Er schien mich nicht zu verstehen und warf mir bloß einen fragenden Blick über die Maske zu. Vielleicht hätte ich ihn auf Schweizerdeutsch mit „Grüezi“ oder besser: „Glüezi“ begrüßen sollen, allerdings auf die Gefahr hin, dass er auf die Behandlung einen Schweizerrabatt gewährt hätte, was das Gegenteil eines Discounts ist.
Nun ja, Zahnärzte sind von Natur aus nicht so gesprächig, was nachvollziehbar ist. Vermutlich haben sie es satt, in aufgerissene Münder und schreckgeweitete Augen zu sehen und dabei Selbstgespräche zu führen. Immerhin hat der Beruf den Vorteil, dass er überall auf der Welt ausgeübt werden kann, die Sprachgrenzen fallen dahin und „Open your mouth...“ ist internationaler Zahnarztsprech.
Ich tat wie geheißen und ließ den Herrn aus dem Reich der Mitte in meinen Schlund, wo er geschäftig herumwerkelte, während die Assistentin mit einem Schlauch das Brackwasser absaugte. Um mich abzulenken, starrte ich auf eine Fliege, die an der Diele ihre Kreise zog. Aus ihrer Perspektive musste mein aufgerissener Mund der Inbegriff eines schwarzen Lochs sein. Ich wünschte mir aber inständig, dass sie ihre Neugier zügeln würde und nicht versucht war, das Innere davon auszuforschen.
Dann wurde es plötzlich still. Hatte sich der Mann in meinen Ganglien verirrt? War er womöglich schon dem Verdauungsprozess anheim gefallen? Nada, es waren nur die Begleiterscheinungen der örtlichen Narkose, die mich halluzinieren ließen. Auch die Fliege hatte sich verflüchtigt. Um sicher zu sein, dass sie nicht in meiner Mundhöhle kreiste, tastete ich sie mit der Zunge ab. Ich bin zwar nicht Vegetarier, aber dem neusten Gastro-Hype, Insects à la carte, kann ich wenig abgewinnen.
Dann hörte ich wie aus der Ferne eine weibliche Stimme. Ich öffnete die Augen und sah die Assistentin mit einem Glas Wasser in der Hand. Ich durfte spülen und gehen.
Röntgenbild auf dem Schwarzmarkt?
Den chinesischen Herrn habe ich nicht mehr gesehen. Vermutlich verkaufte er mein Röntgenbild auf dem Schwarzmarkt in Hangzhou. Bestimmt wird es jetzt an allen namhaften Zahnarztkongressen in China auf Großleinwand vorgeführt. Mein Unterkiefer ist berühmt und kein Schwein weiß, dass es meiner ist. Die Welt ist ungerecht. Hätte ich ihn bloß vorher patentieren lassen.
PS: Die Behandlung war erfolgreich. Der Doktor aus China hat ausgezeichnete Arbeit geleistet. Es kann natürlich sein, dass er in Wirklichkeit gar kein Doktor ist, sondern Klempner in Shenzhen, der sich in Hua Hin ein Zubrot verdient. Who cares? Ich kann Doktor Wu-Tsahn-Weh nur weiterempfehlen.
Über den Autor
Khun Resjek lebt mit seiner thailändischen Frau und Tochter in Hua Hin. Seine Kolumne „Thailand Mon Amour“ illustriert auf humorvolle Weise den Alltag im „Land des Lächelns“ aus der Sicht eines Farang und weist mit Augenzwinkern auf das Spannungsfeld der kulturellen Unterschiede und Ansichten hin, die sich im Familienalltag ergeben. Ein Clash der Kulturen der heiteren Art, witzig und prägnant auf den Punkt gebracht.