Zustand Rushdies unklar - Täter 24-Jähriger

​Attacke auf Autorenikone  

In diesem Videostandbild wird der Autor Salman Rushdie auf einer Trage zu einem Hubschrauber gebracht, der ihn in ein Krankenhaus transportiert. Foto: Uncredited
In diesem Videostandbild wird der Autor Salman Rushdie auf einer Trage zu einem Hubschrauber gebracht, der ihn in ein Krankenhaus transportiert. Foto: Uncredited

CHAUTAUQUA: Ein 24-Jähriger stürmt die Bühne und sticht den weltberühmten Autoren Salman Rushdie nieder. Während der Schriftsteller im Krankenhaus mit seinen Verletzungen kämpft, läuft die Suche nach dem Motiv: Spielt ein altes Todesurteil gegen Rushdie eine Rolle?

Schriftstellerikone Salman Rushdie ist Polizeiangaben zufolge von einem 24-jährigen Amerikaner angegriffen und schwer verletzt worden. Das Motiv des festgenommenen Mannes aus New Jersey, der wohl alleine handelte, sei weiterhin unklar, sagte ein Polizeisprecher am Freitag. Der Vorfall ereignete sich bei einer Lesung im Ort Chautauqua im Westen des Bundesstaates New York. Der Polizei zufolge wurde er mindestens einmal in den Hals und den Bauch gestochen. Weltweit war das Entsetzen groß.

Rushdie werde in einem örtlichen Krankenhaus weiterhin operiert, hieß es. Der 75-Jährige wurde seinem Manager zufolge an ein Beatmungsgerät angeschlossen. Er könne nicht sprechen und werde wahrscheinlich ein Auge verlieren, schrieb Andrew Wylie nach Angaben der «New York Times». Nervenstränge in seinem Arm seien durchtrennt und seine Leber beschädigt worden. «Die Nachrichten sind nicht gut.»

Rushdie war vor über 30 Jahren per Fatwa zum Tode verurteilt worden: Wegen seines Werks «Die satanischen Verse» («Satanic Verses») aus dem Jahr 1988 hatte der damalige iranische Revolutionsführer Ajatollah Chomeini das religiöse Rechtsdokument veröffentlicht, das zur Tötung des Autors aufforderte. Einige Muslime fühlten sich durch das Werk in ihrem religiösen Empfinden verletzt.

Nach Darstellung der Polizei stürmte der junge Mann die Bühne der von Hunderten Menschen besuchten Veranstaltung gegen 11 Uhr örtlicher Zeit (17 Uhr MESZ) und stach auf Rushdie ein. «Mehrere Mitarbeiter der Veranstaltung und Zuschauer stürzten auf den Verdächtigen und brachten ihn zu Boden», sagte ein Sprecher. Ein Polizist habe den 24-Jährigen daraufhin festgenommen. Unterdessen wurde Rushdie von einem Arzt aus dem Publikum behandelt, bis Rettungskräfte eintrafen und der Autor schließlich per Helikopter in eine Klinik gebracht wurde.

Die «New York Times» zitierte eine Zeugin: «Es gab nur einen Angreifer. Er war schwarz gekleidet. Er hatte ein loses schwarzes Kleidungsstück an. Er rannte blitzschnell auf ihn zu.» Ein Reporter der US-Nachrichtenagentur Associated Press berichtete, der Angreifer habe 10 bis 15 Mal auf Rushdie eingeschlagen oder gestochen. Der ebenfalls angegriffene Interviewer erlitt nach Polizeiangaben eine Kopfverletzung. Die Nachrichtenagentur AP zitierte einen Arzt aus dem Publikum mit den Worten, Rushdies Wunden seien «ernst, aber heilbar».

Zu den Hintergründen des Angriffs gab es zunächst keine Details. Ob dieser im Zusammenhang mit der jahrzehntealten Fatwa steht, blieb zunächst offen. Die Tat fand bei einer Vorlesung Rushdies in der sogenannten Chautauqua Institution, einem Erziehungs- und Kulturzentrum statt. Die Veranstaltung habe im Rahmen einer Serie unter dem Titel «Mehr als Schutz» («More than Shelter») stattgefunden, bei der über die Vereinigten Staaten als Zufluchtsort für Schriftsteller im Exil und über die Verfolgung von Künstlern diskutiert werden sollte.

Das islamische Rechtsgutachten des Ajatollahs rief damals nicht nur zur Tötung Rushdies auf, sondern auch all derer, die an der Verbreitung des Buches beteiligt waren. Ein japanischer Übersetzer wurde später tatsächlich getötet. Rushdie musste untertauchen, erhielt Polizeischutz.

Nach Angaben seines Verlags aus dem vergangenen Jahr hätte die Fatwa für Rushdie inzwischen aber längst keine Bedeutung mehr. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr. Die Jahre des Versteckens gingen jedoch nicht spurlos an ihm vorüber. Er verarbeitete diese Zeit in der nach seinem Aliasnamen benannten Autobiografie «Joseph Anton» aus dem Jahr 2012.

Vor wenigen Tagen noch hatte Rushdie dem Magazin «Stern» gesagt, dass er sich in den USA sicher fühle. «Das ist lange her», sagte Rushdie im Interview mit Korrespondent Raphael Geiger Ende Juli auf die Frage, ob er noch immer um sein Leben bange. «Für einige Jahre war es ernst», sagte Rushdie weiter. «Aber seit ich in Amerika lebe, hatte ich keine Probleme mehr.» Der Autor habe dabei aber auch vor dem politischen Klima und möglicher Gewalt in den USA gewarnt: Das Schlimme sei, «dass Morddrohungen alltäglich geworden sind».

Die Tat löste weltweit Entsetzen aus. Der US-Senator und Mehrheitsführer der Demokraten im Senat, Chuck Schumer, schrieb auf Twitter, die Tat sei ein «Angriff auf die Rede- und Gedankenfreiheit. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron schrieb, Rushdie sei von «Hass und Barbarei» getroffen worden. Der scheidende britische Premierminister Boris Johnson zeigte sich «entsetzt». Harry-Potter-Autorin Joanne K. Rowling und Bestseller-Autor Stephen King drückten ebenfalls ihre Bestürzung aus und schrieben, sie hofften, es gehe Rushdie gut.

Kulturstaatsministerin Claudia Roth (Grüne) bezeichnete die Attacke als Angriff auf die Freiheit der Literatur und die Freiheit des Denkens. Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) zeigte sich erschüttert und wünschte Rushdie gute Besserung. Der Grünen-Co-Vorsitzende Omid Nouripour schrieb von der schlimmsten «Frucht eines Hasses, der seit Jahrzehnten vom iranischen Regime geschürt und finanziert wird.» Schriftsteller Günter Wallraff, der Rushdie 1993 in seinem Haus in Köln-Ehrenfeld versteckt hatte, sagte, die Nachricht sei «natürlich ein Schlag für mich» gewesen.

Der US-amerikanische Autorenverband PEN America zeigte sich schockiert über den Angriff auf seinen ehemaligen Präsidenten. Rushdie werde seit Jahrzehnten wegen seiner Worte angegriffen, aber er habe sich nie beirren lassen und nie gezögert, schrieb die Vorsitzende Suzanne Nossel in einem Statement.

Geboren wurde Rushie im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in der Metropole Mumbai (damals Bombay). Er studierte später Geschichte am King's College in Cambridge. Seinen Durchbruch als Autor hatte er mit dem Buch «Mitternachtskinder» («Midnight's Children»), das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde. Er erzählt darin die Geschichte von der Loslösung Indiens vom Britischen Empire anhand der Lebensgeschichte von Protagonisten, die genau zur Stunde der Unabhängigkeit geboren werden und mit übernatürlichen Fähigkeiten ausgestattet sind.

Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Sein Stil wird als Magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet. Diese sieht er zunehmend in Gefahr, was auch im Zentrum seiner jüngsten Veröffentlichung von Essays steht, die in Deutschland unter dem Titel «Sprachen der Wahrheit» herauskamen. Der seit vielen Jahren in New York lebende Schriftsteller stemmt sich darin gegen Trumpisten und Corona-Leugner. «Die Wahrheit ist ein Kampf, das ist keine Frage. Und vielleicht noch nie so sehr wie jetzt», sagte er in einem Interview des US-Senders PBS im vergangenen Jahr.

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Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

David Ender 15.08.22 13:03
Der "Islamophobie-Irrtum"
Jeder Kritiker des Islam und seiner militantesten Kaempfer bekommt in dt. Foren stets die Islamophobie-Keule aufs Haupt - eine Mischung aus Unkenntnis und Zweck-Selbstbetrug. Erstens haben Kritiker des Islam offenkundig weniger Angst (Phobie!) als all die fleissigen Relativierer, Aussitzer und Schoenreder des Islam da draussen. Und zweitens erlaubt die These es "gebe gar keinen „homogenen Islam“ praktischerweise das Wegducken vor dem Islam, was Leute wie Herr Rushdie zum Glueck eben nicht tun. Und damit alles riskieren. ... Fakten gefaellig? (Quelle: Oxford Islamic Studies Online, Oxford University Press) In 25 von 30 moslemischen Staaten der Welt gelten fuer die "Abkehr vom Islam" die Todesstrafe (12) oder Haftstrafen, Enteignung und Entzug der Kinder. In bloss 5 von 30 moslemischen Staaten darf man ueberhaupt straflos aus der Religion austreten. In 28 dieser 30 Staaten herrschen Diktatoren, absolut und mit der Unterstuetzung des Klerus. Somit sind 85% aller 1.8 Mrd Moslems weltweit sind von Staats wegen entmündigt. Was der Agnostiker wiederum als statistisch auffallend und damit eindeutig kausal zusammenhängend einordnen wird. ... Frage an Herrn Mielig und all die anderen Schoenreder derart mittelalterlicher Zustaende mitten im 21. Jahrhundert: Ist das nun "Islamisums" oder schon "Islam"? Und wie akademisch ist hier eigentlich diese Fragestellung bei einer derart katastrophalen Lage einer Weltkultur?
Derk Mielig 15.08.22 03:20
@NKL - unwesentlicher NT
I.d.F. wird "vorhaben" nat. klein geschrieben.
Derk Mielig 15.08.22 02:50
@NKL
6, setzen
Sollten Sie Vorhaben, auf diesem unterirdischen Niveau weiterhin zu argumentieren, ist es vmtl besser, Sie tun das mit Michael und Ender statt mit mir. Alternativ mit den beiden Mädels.
Norbert K. Leupi 15.08.22 02:27
Islam - Islamismus / Herr D. Mielig
So gross wie Sie das bewerten ist der Unterschied zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus mit extremistischen Strömungen überhaupt nicht ! Das einzige ,was einige als störend empfinden , ist die unklare Trennung , die die Akzeptanz erschwert !
Derk Mielig 14.08.22 23:50
@NKL
Ihnen hätte ich wenigstens zugetraut, den Unterschied zwischen Islam und Islamismus zu kennen. So kann man sich irren.
Derk Mielig 14.08.22 23:27
@Michael
Das kann ich gut verstehen, dass Du das dumm findest, schließlich hindert Dich Deine Islamophobie daran, Sachverhalte objektiv zu betrachten.
Ich z.B. habe noch nie den radikalen politischen Islam als friedliche Religionsgemeinschaft verkauft. Das sagt ja schon der Name "radikal ...", dass das nicht friedlich sein kann. Wohl niemand, außer einem, würde so dumm sein, und diese zwei Wörter in einem Zusammenhang nennen. Vmtl. noch nicht einmal radikale Islamisten.

David Ender 14.08.22 23:26
Aufklaerung bitte ...
Herr Mielig kennt sicherlich eine weitere Weltreligion deren hoechste Wuerdentraeger Todesurteile gegen ihre Kritiker ausspricht? In zwei Drittel der moslemischen Kulturen gelten fuer den "Abfall vom Islam" nach wie vor schwerste Strafen bis hin zur Todesstrafe. Herr Mielig kennt sicherlich viele Beispiele dafuer in anderen Kulturen? Oder doch nicht? Klaeren Sie uns Rationalisten mal dazu auf ...
Norbert K. Leupi 14.08.22 23:25
Die sichtbaren Grenzen ... Herr Derk Mielig
des Islams sind in den letzten Jahrzehnten im öffentlichen Leben zu spektakulär in den Vordergrund gerückt ! Der heutige Islamismus strebt danach , die relig. Unterschiede durch Lebens- ,Verhaltens- und Verfahrensweisen sichtbarer zu machen - insbesondere durch die Verschleierung der Frauen (auch in Schulen ,Schwimmbad etc.) , der Bau von immer mehr Moscheen in ganz Europa , Geschlechtertrennung , Tabu-Vorschriften bei Nahrungs - und Genussmitteln ( Halal ) etc. Durch all `diese Praktiken grenzen sich die muslimischen Akteure immer mehr von uns ab und verneinen somit einen Integrationswillen ! " Allahu Akbar ? "
Derk Mielig 14.08.22 14:46
"Eine einzige Religionsgemeinschaft ...
.... bedroht Kritiker, Satiriker, Karikaturisten mit dem Tode."
Gibt es eine Steigerungsform von "am dümmsten"?

Würde eine Gemeinschaft, die aus ca. 2 Mrd. Menschen besteht, Ihre Kritiker bedrohen, sähe diese Welt so aus, wie es in manchen abendländischen Köpfen aussieht, schwarz und leer.
David Ender 14.08.22 13:40
Ein 24-jaehrige Taeter" ... aha!
Immer noch drucksen sich deutsche Presseagenturen vor der Realitaet herum wie die Katze vorm Vollbad. Was soll dieses Versteckspiel?: 24-jaehrig, "Amerikaner" aus New Jersey, nix Genaues weiss man nicht. Lassen wir uns die Dinge mal offen beim Namen nennen: Eine einzige Religionsgemeinschaft bedroht Kritiker, Satiriker, Karikaturisten mit dem Tode. Diese Todesdrohung seitens vieler fuehrender Funktionaere der moslemischen Glaubensrichtung wurde vor knapp 30 Jahren ganz offiziell ausgesprochen - seitdem lebt Herr Rushdie, die Uebersetzer seines Buches und viele andere Gleichdenkende quasi auf der Flucht. Einige wurden bereits erstochen, bei Herrn Rushdie ist dieser Mordversuch nun zum Glueck gescheitert. Der Attentaeter ist ein libanesischer Ami moslemischen Glaubens mit offenkundigen Sympathien fuer radikale iranisch-schiitische War Lords. Die Posen nach dem Attentat kennt man von anderen radikalen Spinnern der IS oder Al Kaeda: Arrogant, stolz auf die Tat, gekuenstelt "ueber den Dingen stehend". Ganz praktisch betrachtet jedoch eher ein armer gescheiterter Wurm, der es bloss durch das Einstechen auf gefeierte, weit erfolgreichere Mitbuerger auf unsere Titelseiten schafft. Soweit zu den Fakten. Mir geht dieses feige Herumeiern der Presseagenturen um des Pudels Kern einfach langsam auf die Nerven. Sorry.
Derk Mielig 14.08.22 00:40
@NKL
Mein copy&past-Italienisch ist zwar nicht so gut wie das vom Martin…ne, aber dass ist ein herrlicher Trinkspruch. Gerade wenn man in der Dämmerung schon weiß, dass es übel enden wird.
Norbert K. Leupi 13.08.22 23:40
Lichtgestalt ? Herr Derk Mielig
Das ist doch mein Vorteil als Lichtgestalt , ich rücke die Dinge ins richtige Licht und sie werden leuchten !
Derk Mielig 13.08.22 21:10
@Michaei
Sind Sie irgendwie der US-Immigrations-Commander? In einem Land, in dem alle Einwohner aus Nachfahren von Einwanderern, Verschleppten und Resten der indigenen Bevölkerung stammen, machen Sie an Vornamen den Grad der Amerikanisierung fest? Dümmer geht's ja kaum. Und die üblichen Lichtgestalten geben Ihnen natürlich recht.
Herzlichen Glückwunsch, oder sollte ich besser Prost sagen?!
Norbert K. Leupi 13.08.22 16:30
Wieder ein Gotteskrieger ...
aus der Muslimbruderschaft ,die mit ihren unheimlichen Brüdern und bigotten Schwestern weltweit Unheil anrichten !
David Ender 13.08.22 13:26
Mordanschlag gescheitert, aber ...
... man fragt sich hier schon warum die Buehne fuer solch eine terrorismusgefaehrdete Veranstaltung nicht ensprechend mit Personenschuetzern abgesichert ist. Der moslemische Attentaeter Hadi Matar, 24, wohnhaft in New Jersey, konnte viel zu einfach an sein Opfer heran. Hoffen wir auf baldige Genesung des Autors und einen zukuenftig besseren Schutz vor Psychopathen mit religioesem Antrieb zum Morden.