Allein oder gemeinsam?

Allein oder gemeinsam?

Welcher Behauptung wür­den Sie beipflichten: Der Einzelne ist stärker, oder gemeinsam sind wir stark? Ich habe mir immer ein starkes Europa gewünscht, das im Konzert der großen Mächte seine eigene Melodie intonieren kann. Wobei ich mit den EU-Kritikern absolut einer Meinung bin, dass Europa sich nicht in jeden Mäuseköttel der Mitgliedsländer einmischen sollte. Sie hat andere, wichtigere Aufgaben.

Die EU muss endlich die Wirtschaft, Finanzen und Verteidigung koordinieren. Selbstverständlich erwarte ich auch, dass sie die Solidarität mit den Kriegsflüchtlingen endlich durchsetzt. Da liegt vieles im Argen, was aber keinesfalls den Brexit rechtfertigt. Ich fürchte, die Briten werden ganz schön alt aussehen, wenn sie am Ende der Verhandlungen konstatieren müssen, dass sie die Verlierer dieses Separatismus sind. Schon jetzt hat das Pfund 15 Prozent seines Wertes verloren und tausende Unternehmen und Banken haben sich von GB abgewandt.

Allerdings sind die Briten nicht allein. An allen Ecken und Enden bröckelt es: Die Liga Nord in Italien strebt größere Kompetenzen für Venetien und die Lombardei an. Flandern, das 55 Prozent zur Wirtschaftskraft Belgiens beiträgt, will autark werden. In Schweden kämpft die Lega Nord für Autonomie, und –ganz aktuell – ist auch Katalonien in den Fokus getreten mit seinen Abspaltungsbestrebungen von Spanien. Ich denke, in den Köpfen dieser Separatisten spuken konservative Wünsche nach der kleinen Idylle herum, wo jeder für sich allein entscheidet, wie seine Welt sich drehen soll. Ich behaupte: Aus der Geschichte nichts gelernt. Deutschland wurde erst groß, als es all seine kleinen Fürstentümer vereinigte. Leider hat es die sich daraus ergebene Chance nicht für den weiteren Aufbau genutzt sondern schreckliche Kriege vom Zaun gebrochen, die das Land ins Elend führten.

Bei den derzeitigen Separatismus-Bestrebungen geht es vorwiegend um Geld. Die Länder, die sich abspalten wollen, sind davon überzeugt, dass sie zu viel zahlen, und dass es ihnen viel besser gehen wird, wenn sie selbständig über ihren Haushalt verfügen könnten. Das mag für den Augenblick sogar richtig sein. Aber wie wollen sie auf Dauer gegenüber den Weltmächten bestehen? Gar nicht. Sie werden zerdrückt und degradieren sich selbst zu den Mäusekötteln, die sie schon immer für sich beansprucht haben. Was wären die USA, wenn es heute noch zig Einzelstaaten gäbe, von denen jeder seine eigenen Ziele verfolgte? Trumps Parole „Amerika First“ ist natürlich das Gegenteil dessen, was ich unter fairer Gemeinsamkeit verstehe.

Nicht Egoismus und Eigensinn sind die Perspektiven für die künftige Welt sondern Solidarität und gemeinsames Verantwortungsgefühl. Ist das so schwer zu begreifen? Oder wollen die Separatisten es nicht begreifen? Wollen sie ihr Klein-Klein zur Norm erheben, Ihre Gartenlaube und das Gemüsebeet? Ich bin überzeugt davon, dass sie vor der Realität fliehen, dass sie über die Auswirkungen nie wirklich nachgedacht haben. Auch die Politik ist daran nicht ganz unschuldig. Sie hat es versäumt, auf die Ängste dieser Menschen einzugehen, die sich verlassen fühlen. Die ärmeren Bevölkerungsschichten sehen neidvoll auf Flüchtlinge und Asylanten, die angeblich besser gestellt werden als sie. Und auch die Reicheren haben Angst. Da sie viel haben, haben sie auch viel zu verlieren. Jetzt heißt es plötzlich: Wir müssen alles tun, um sie zurückzuholen in die Volksparteien, in die Welt der Demokraten. Diese Erkenntnis kommt spät. Aber sie ist notwendig überall da, wo die Menschen Zukunftsängste haben und sich nach der „guten alten Zeit“ sehnen. Sie haben noch nicht erkannt, welche positiven Aspekte die „gute neue Zeit“ ihnen bietet oder bieten könnte, wenn sie sich darauf einlassen würden. Es sind ja nicht nur die Alten, die sich in ihr kleines Eigenheim verkriechen. Es sind etwa 50 Prozent der Menschen unter 40 Jahren, die sich von reaktionären Parteien beeinflussen lassen. Ein Trauerspiel! Oder ein Versäumnis der Bildungspolitik? Wie auch immer: Die derzeitige Zukunft sieht nach Vergangenheit aus. Als deutscher Bundespräsident meinte Herr Herzog damals, es müsse ein Ruck durch das Land gehen. Heute ist Herr Steinmeier gefordert. Die neue, die künftige Regierungskoalition sowieso, aber bitte nicht oberlehrerhaft sondern einfach klare Haltung zeigen. Früher sangen die Deutschen „Deutschland, Deutschland über alles…,“ , das klingt für mich etwa wie „Amerika First!“ Heute beginnt die deutsche Hymne „Einigkeit und Recht und Freiheit“. Aber danach sieht es zurzeit gar nicht aus. Überall Abspaltungstendenzen. Warum? Viele Menschen fragen sich, warum mischt die EU sich in Dinge ein, für die sie nicht geschaffen wurde: Glühbirnen, Windeln, Staubsauger oder Bananen. Kein Wunder, dass solche Haltung die Leute auf die Palme bringt. Ich kann das gut nachvollziehen.

Ich hege eine Illusion für ein neues Europa: Das alte wird mit sofortiger Wirkung aufgelöst. Am nächsten Tag wird der Europäische Bund gegründet. Jedes Land, das diesem Bund beitreten will, verfügt über eine Stimme, egal ob es groß oder klein ist. Es wird demokratische abgestimmt, die Mehrheit entscheidet, und jedes Land hat das Ergebnis zu akzeptieren. Das wär’s doch – oder?

Ich fürchte nur, dass ich das nicht mehr erleben werde.

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Leserkommentare

Vom 10. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 20.11.17 21:41
Herr Raktin, dass Sie nicht erkennen, das mein
Kommentar an die Adresse von Herrn Stevens gerichtet war, überrascht mich nicht.
Jürgen Franke 20.11.17 16:36
Herr Stevens, den Unterschied zwischen einem
richtigen zu einem falschen Frieden kenne ich nicht. Selbstverständlich gehört Russland zu Europa. Aus den Papieren der amerikanischen Administration geht jedoch deutlich hervor, dass es zwischen Deutschland und Russland niemals eine freundschaftliche Beziehung geben darf, da die Intellektuellen Möglichkeiten und das wirtschaftliche Knowhow der Europäer die Russen nutzen könnten, um an ihre riesigen Bodenschätze zu kommen, so dass die Europäer mit Rußland zusammen, die USA zu einem Entwicklungsland degradieren würden. Wer das verstanden hat, versteht die Amis in allen ihren Handlungen besser.
aurel aurelis 20.11.17 16:36
Bereicherung
Der Schmuggel von Alkohol in Kabul ist nur ein winziges Beispiel wie sich die Bürokraten auf allen Ebenen der EU bereichern. M. Schulz schanzte seinen Mitarbeitern im EU-Parlament Kohle und Stellen zu.
Jürgen Franke 20.11.17 13:57
Ich konnte nicht erkennen, was der
Schmuggel von Alkohol in Kabul mit der Story von Krüger zu tun haben soll.
Dracomir Pires 20.11.17 13:54
Falsch, Euer Ehren
Als Schweizer muss ich sozusagen fast jeder Zeile widersprechen. Die Schweiz ist stark, WEIL sie nicht dem undemokratischen Moloch EU angehört! Um unsere direkte Demokratie beneidet uns die ganze Welt, und diese werden wir niemals aufgeben. Zudem hat England die Schnauze voll von "Wir schaffen das" und dieser fürchterlichen Migrationspolitik, welche ganz Westeuropa islamisiert. Und dass sich praktisch alle Länder dieser Nötigung widersetzen und RECHTS wählen, kann ruhig als Notwehr betrachtet werden. Die uberdehnte EU soll ruhig auseinanderfallen oder gesund schrumpfen, je eher, desto besser.
aurel aurelis 20.11.17 09:08
Passt
Passt wie die Faust aufs Auge zur Traumgeschichte von Ce-eff Krüger: Bericht im Spiegel-online, Überschrift: Afghanistan - Mitarbeiter sollen Alkohol aus der EU-Vertretung in Kabul geschmuggelt haben. In einem längeren Bericht wird mitgeteilt, dass das entsprechende Budget in krassem Gegensatz zur in der Vertretung verbrauchbaren Alkoholmenge stand.
Jürgen Franke 19.11.17 23:58
Herr Stevens, es liegt in der Natur der Sache,
dass jeder die Realität auf seine eigene Art und Weise zur Kenntnis nimmt. Der Brexit ist schon jetzt für die Briten eine ausgesprochene Katastrophe. Die Wirtschaftsdaten beweisen es. Einen Austritt Deutschlands aus der EU wäre das Ende der EU, was keiner wünschen sollte, denn immerhin hatten wir über 70 Jahre Frieden in Europa. Nur ein geeintes Europa kann die Schwierigkeiten der Zukunft meistern.
Oliver Harms 19.11.17 20:50
kriegsflüchtlinge?
aua aua!mehr als 90% der über das mittelmeer eindringenden typen sind alles nur keine kriegsflüchtlinge!das haben inzwischen bis auf die linke,die grünen khmer und natürlich merkel und ihre paladiene alle begriffen.
die EU ist inzwischen nichts aber auch wirklich nichts mehr als eine vereinigung zur umsatzsteigerung von banken und indusrie besitzenden familien auf kosten der arbeitenden bevölkerung.wer sich dem willen nicht beugen will wird mit sanktionen erpresst.(siehe ungarn,polen und slowaken).milliarden für griechenland?ein witz!!das geld war und ist einzig für die banken!die gleichen banken die übrigens an die CDU,CSU,SPD,grüne khmer und FDP spenden.es gibt unglaublich aber war nur 2!!parteien im deutschen bundestag die keine lobby sponsoren haben!!!die linke und AfD!!!was hat die EU oder der EURO dem normalen bürger gebracht?nichts positives!!!
herr aurelis:"Legio padria nostra"wir haben zum glück bis keine frauen in der truppe und das zu recht!!mit ausnahme einige ärztinnen.im übrigen würde es eine interessante sache werden wenn ich unmittelbar und direkt einen bundeswehrsoldaten mittels schlägen und tritten bestrafe oder ihm einen besenstiel auf dem kopf zerschlage wie es bei uns üblich war und ist.
gedanken
aurel aurelis 19.11.17 19:40
Argument gegen weiter so mit der EU
Ein drastisches Argument gegen das weiter so mit der EU von z.B. Ce-eff Krüger, oder gewichtiger von A. Merkel, M. Schulz, Juncker, usw. ist der im "Der Farrang" nachfolgende Artikel "Hoffnung auf weitere EU-Behörde"! Europa kann nur durch das moralische Anwenden seiner Ideale leben, nicht durch Geschachere.
aurel aurelis 19.11.17 19:39
Das Konstrukt, ie Statik stimmt nicht!
Zunächst gebe ich Louis P. Schwendener absolut recht! Ce-eff Krüger schreibt: "Deutschland wurde erst groß, als es all seine kleinen Fürstentümer vereinigte." Heute haben wir statt z.B. 7 noch besser 5 nützlichen Bundesländern 16. Darin geht es nur den Konzernen und den zu vielen Funktionären gut. Der Bundestag vermehrte sich von 631 auf 709! Die Amis haben die 3-fache Bevölkerung und nur ca. 300 Abgeordnete! Heute kam in den Nachrichten: Die Bundeswehr hat ein Sexualproblem. Besoffene Soldaten "vergingen" sich an besoffenen Soldatinnen. Die Bundeswehr hat wie die ganze Gesellschaft inzwischen zu wenig Disziplin und Moral. Aber, der Fisch stinkt am Kopf! Ich habe in der wohl immer noch fähigsten Kampftruppe Europas gedient. Aber, Täter abartiger und krapulöser Verbrechen landeten in der Strafkompagnie, nicht in einem hotelartigen Gefängnis. Viele der Funktionäre in der EU und in D kommen nicht einmal ins Gefängnis! Wenn jemand ein "weiter so" in D und damit in der EU empfiehlt ist krank oder dumm. Ein geeintes Europa ist wahrlich wichtig. Es sollte aber niemand nach Brüssel abgeschoben werden weil er im Land nicht taugt und sich dann freuen, dass er dort 2 oder 3 mal mehr verdient, ein Edelfunktionär wird. Wie gesagt, der Fisch stinkt am Kopf!
Jürgen Franke 19.11.17 18:30
Es bedarf keiner Frage, dass die EU einer
dringenden Reform bedarf. Die Briten stehen jetzt vor den Trümmern ihrer Entscheidung. Der Brexit war eigentlich lediglich die Antwort auf Merkels Einwanderungspolitik. Die Separatisten stehen weltweit bereit, um die Zentrifugalkraft zu nutzen, damit die EU auseinanderfällt. Es muß den Regierungen zeitnah gelingen, den bildungsfernen Bürgern klar zu machen, wie wichtig ein vereintes, und nicht ein zerstrittenen Europa für die Welt ist. Die Geschichtshistorie, auf die Krüger hingewiesen hat, ist offensichtlich bei der Jugend im Geschichtsunterricht untergegangen.
Mike Dong 19.11.17 18:29
Ich bin ja einiges gewöhnt, aber der letzte Absatz ist so etwas das weltfremdeste was ich jemals gehört habe. Zum Glück ist es ja nur eine Illusion.