ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 16

(Fortsetzung von FA22/2022)

Mr John konnte die Neugier nicht unterdrücken. Er hat sich am Laden für Wasserrohre und Klempnerwerkzeug gleich an der Ecke einen Hocker rausgeholt, sich unauffällig im Eingang niedergelassen. Von hier kann er knapp bis zum zweiten Tisch links sehen, ohne dass es auffällt. Der Ladenbesitzer Khun Phong hat nichts dagegen, im Gegenteil, er fühlt sich geehrt. Sein Sohn geht bei John in die Schule und hat schon gelernt I like Barack Obama zu sagen.

So bekommt John mit, was seine Schützlinge machen. Auch diesen Deutschen, der Max heißt, begreift er als seinen Schützling. Es war gar nicht so leicht gewesen, etwas Passendes im Internet zu finden. Max war ein Glücksfall. Er ist leibhaftiger Doktor der Zahnmedizin. Allerdings einer mit besonderer Lebensführung. Von einem Zahnarzt in Deutschland erwartet man, dass er eine Villa besitzt, in welcher der Swimmingpool größer ist als seinerzeit der von Erich Honnecker. Nicht so bei Max. Der junge Mann zieht es vor, nebenbei an der FU ein Studium der Kunstgeschichte zu absolvieren, das er zeitlich streckt. In den Semesterferien arbeitet er nicht, sondern reist. Meist reist er zu einem buddhistischen Kloster in Burma oder in einen Kral in Äthiopien, wo er kostenlos die Zähne der Dorfbewohner repariert. In den sieben Monaten, in denen keine Ferien sind, arbeitet er vier Stunden täglich in verschiedenen Praxen als Urlaubsvertretung oder Angestellter mit Zeitvertrag. Den Rest des Tages geht er in Seminare. Die Arbeit bringt immer noch so viel ein, dass ein mittlerer Beamter vor Neid mit den Füßen stampfen würde. Von den ersten vier Monatsgehältern hat er ein Hausboot angezahlt, auf dem er in Berlin lebt.

Es war für Mr John nicht ganz einfach, das alles rauszukriegen. Schließlich durfte er nicht aus der Rolle der jungen Schönheit namens Phoo fallen. Seine Phoo entwickelte aber Neugier, und sie erzählte im Gegenzug auch von sich Dinge, das man sonst lieber für sich behält. Zum Beispiel erzählte sie von ihrem ersten Thaifreund, ohne den zu schonen. Außerdem berichtete sie kurz über Alfred Grün und den Reinfall in Khon Kaen. Bist du auch so einer?, fragte sie.

Max konnte es sich, was Frauen betraf, eigentlich aussuchen, ähnlich wie Eules Freund Peter aus Bangkok. An Phoo hatte er schon einen Narren gefressen, bevor er sie traf, dafür hatte John gesorgt.

Nun sitzen die beiden sich also zum ersten Mal gegenüber. John sieht, wie das Gespräch in Gang kommt. Er sieht auch, wie die beiden da drüben sich entspannen. Max lehnt sich zurück, sie hört auf, mit dem Fuß zu wippen. Sie essen etwas. Es wird später. John holt sich eine Büchse Bier im 7/11 nebenan. Phoo hat er eingeschärft, bei der geringsten Unsicherheit, beim geringsten Verdacht, dass er doch nicht der Richtige sein könnte, nicht mit ihm fortzugehen. Sie sollte dann sagen, sie müsse jetzt heim, die kranke Mutter pflegen.

Der Junge wird bald merken, dass Phoo anders ist, als sie sich in DIA gegeben hat, denkt John. Da hilft auch kein Schnellkurs in Chuzpe. Das wird ihn stutzig machen, vielleicht enttäuscht. Andererseits studiert er Kunstgeschichte, was sonst doch nur junge Frauen aus gutem Hause tun, die einen Doktor suchen. Wenn dieser Max das studiert, kann man annehmen, dass Kunst ihn wirklich interessiert. Hat er einen ausgeprägten Sinn für Schönheit? Etwas Ästhetischeres als das, was da vor ihm sitzt, wird er nicht so leicht finden. Wird Phoo es schaffen, ihn nach kurzer Zeit nicht zu langweilen? Wird er sich Phoo nur als Schmuckstück halten, von dem man nicht mehr verlangt, als um den Hals zu hängen und zu glitzern?

So sinniert John, als er die beiden aufstehen sieht. Phoo verschwindet kurz im Gebäude. Sie gehen zum Roller. Er gibt ihr einen Helm. Sie deponiert ihre Tasche in der Box. Es scheint eine längere Fahrt zu werden, sonst hätte sie die Tasche nur umgehängt. Oh Gott, oh Gott. My dear Buddha! Als sie davonbrausen, wendet Phoo den Kopf in seine Richtung, hebt den Arm in die Luft und winkt. Sie hat die ganze Zeit gewusst, dass ich sie beobachte, denkt John. So dumm ist die gar nicht!

Erst am nächsten Tag, Sonntagnachmittag, kommt eine SMS. »Diesmal wirklich alles o.k. Er ist so süß. Mach Dir keine Sorgen, John. Wir sind in Nong Khai, und es ist wunderbar!«

* * *

In Phung Daet entwickeln sich die Dinge inzwischen ebenfalls erfreulich bis dramatisch. Kaum sitzt Mr John am Montagmorgen in seiner Klasse, umringt von Schülern, da erscheint Khun Nes an der Tür und gestikuliert aufgeregt. Auf dem Gang teilt er dann in heftigem Flüsterton mit: Sie kommt! Sie will herkommen. Und mit ihr die halbe Mannschaft! Es dauert einen Moment, bis Johns nicht ganz junge Gehirnzellen herausgearbeitet haben, dass es sich nur um diese Spitzensportlerin im Volleyball handeln kann, der neulich alle geschrieben haben. Wie war doch gleich der Name? Saaphaa, richtig.

Das ist ja toll, sagt John.

Über den Gang kommt die hübsche Eule hinzugeeilt. Bis jetzt wissen es nur Eule und ich, und jetzt Sie, flüstert Nes. Eule blinzelt durch ihre kreisrunden Brillengläser bittend von unten herauf. Wer könnte so einem süßen Blick widerstehen? Natürlich werde ich euch helfen, natürlich, natürlich, sagt John und gähnt.

Peter aus Bangkok habe ich auch schon eingeweiht. Er wird mir ihr dort reden. Und Sie müssen jetzt zu Anuthida gehen.

Ich? Wieso soll ich damit zur Direktorin? Ist doch mehr eine innerthailändische Sache.

Wenn Sie das machen, hat es bei Anuthi mehr Gewicht. Wenn wir damit kommen, ist das für die nur eine neue Störung des Unterrichtsablaufs. Wenn Sie kommen, dann ist es … was anderes. Wir wissen doch: Aunuthi liebt Sie, fügt sie gedämpft hinzu. In der Klasse spielen die Schüler ruhig miteinander. Manche blättern in einem Heft, andere unterhalten sich leise.

Die Direktorin muss nicht lang überredet werden. Sie begreift sofort die Bedeutung der Angelegenheit. Das wird Wellen schlagen, sagt sie. Vielleicht kommt sogar das Fernsehen.

(Fortsetzung in Ausgabe FA24/2022)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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