ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 15

(Fortsetzung von FA21/2022)

Es ist Samstag, der 24. September, 14.10 Uhr. Eine hochgradig aufgeregte Phoo sitzt am Tisch Nummer zwei von links und schaukelt nervös mit dem linken Fuß. Sie hat die Beine übereinander geschlagen. Kleidung ruhig ein bisschen sexy, aber nicht ordinär. So hat sie diesmal kein Kostümchen an, sondern ein schickes neues rotes Poloshirt mit leicht gepols­tertem BH drunter und eine lange, hautenge Jeans, die die Endlosigkeit ihrer Beine betont. Er kommt nicht, denkt sie. Es war alles umsonst. Der arme Mr John. Da hat er sich so eine Mühe gegeben für mich, und dieser Mistkerl kommt nicht. Das Wort »Mistkerl« hätte sie sich vor zwei Wochen noch nicht zu denken getraut. Aber Mr Johns Intensivkurs hat erste Früchte getragen.

Mr John ist fast so aufgeregt wie Phoo. Wochenende, keine Schule. Es hält ihn nicht zu Hause. Er schaut auf dem Sportplatz ein paar Schülern beim Basketballspielen zu. Aber da hält es ihn auch nicht. Er begibt sich auf einen Spaziergang, der ihn, hol’s der Teufel, immer wieder beim Big C vorbeiführt.

So bekommt er mit, wie die nervöse Phoo weit nach vierzehn Uhr noch allein dasitzt und mit dem linken Fuß wippt. Gerade ist er um die Ecke beim 7/11 gebogen und läuft in die Straße mit den vielen Lädchen für Haushaltswaren, Klimaanlagen, Werkzeuge hinein, da hält im Verkehrsgetöse am Straßenrand vor Phoo ein Motorroller mit einer Gepäckbox hinten drauf. Der Fahrer nimmt seinen Helm ab und schiebt seine PCX vorsichtig zwischen die anderen Bikes am Rinnstein.

Excuse me, I know I’m late!

Sie merkt gar nicht, dass sie gemeint ist. Erst als er ihren Blick sucht und findet und noch mal ruft:

Excuse me, I know I am late!

stellt sie fest, dass der junge Farang auf dem Bike tatsächlich mit ihr spricht. Nun hat er sich aus dem Helm und einer Windjacke geschält, die er unter dem Sitz verstaut und er kommt etwas steifbeinig auf sie zu. Ohne viel Federlesens setzt er sich mit einem »Darf ich?« auf den freien Stuhl ihr gegenüber.

Phoo ist sprachlos. Der Mann ist blond, groß, schlank und wirkt von weitem jugendlich, als wäre er um die dreißig. Erst jetzt, als er vor ihr sitzt, bemerkt sie die Falten um die Mundwinkel. Aber fünfzig ist er bestimmt noch nicht.

Mein Name ist Max, und du musst Phoo sein.

Aller Mut, alle eingeübte Frechheit sind dahin. Phoo merkt, dass sie rot wird und sie nickt wortlos.

Der Mann wartet, bis die Pause peinlich wird. Dann schießt er über das Ziel hinaus: Wirst du heute noch etwas sprechen, oder müssen wir einen Logopäden bemühen? Gleich darauf: Entschuldige bitte, du bist sicher ganz nervös. Ich auch. Deswegen rede ich so ein Zeug. Ich leide unter übertriebenem Selbstbewusstsein. Ein schweres Gebrechen.

Nein, nein, es geht schon, antwortet Phoo. Muss nur erst mal warten, bis ich nicht mehr rot bin. Du bist also Max.

Das Rot steht dir gut. Bleib ruhig ein bisschen so. Und du bist supersüß. Noch viel mehr, als ich auf den Fotos gesehen habe. Ja, ich bin Max. Sagte ich ja schon. Wollte um vierzehn Uhr hier sein. Hab mich vor der Stadt aber ein Stück verfahren. Deswegen die Verspätung.

Gleich darauf wird er wieder forsch: Entschuldige, aber hast du an das Gepäck gedacht?

Sie fühlt sich überrumpelt. Eigentlich war abgesprochen, dass sie erst mal eruieren sollte, ob sie sich ihm anschließen wird oder ob sie es vorerst lieber bei einem Kaffee hier in der Cafeteria belässt. Was geht es ihn an, dass sie sich zu Hause schon für das Wochenende verabschiedet hat. Khon Kaen steckt ihr noch in den Knochen.

Wie? Was? Welches Gepäck?

Ich hatte doch geschrieben: leichtes Gepäck.

Du denkst wirklich, ich komme so einfach mit dir mit? Ich kenne dich doch noch gar nicht.

Wir haben gechattet.

Er lächelt umwerfend.

Sie schweigt betreten.

Er sagt: Entschuldige bitte. Lassen wir das. Ich bin froh, mit dir hier zu sitzen. Wenn du heute nicht mit mir gehen willst, können wir uns dann morgen wieder treffen?

Sie schaut ihn an, von oben bis unten und dann wieder hoch. Der ganze Mann gefällt ihr. Wozu soll sie sich belügen. Er gefällt ihr gut. Sie fühlt sich zu ihm hingezogen. Mit einem hilflosen Lächeln hebt sie eine kleine Reisetasche, die unter dem Tisch stand. Es ist eher eine große Handtasche. Zahnbürste, Schminkzeug, Slip und BH zum Wechseln, eine kurze Hose und ein T-Shirt sind da drin.

Er ist klug und sagt jetzt nichts. Er lächelt nur fröhlich zurück und bestellt eine Cola und eine Portion Khao Pad Gung, Reis mit Krabben.

Das Gespräch kommt nun doch in Gang. Es ist leicht, sich mit ihm zu unterhalten. Er ist ein guter Zuhörer, er drängt sie zu nichts, sie sprechen über einfache Dinge. Phoo merkt nach einer Weile, dass sie die Zeit vergessen hat. Und sie hat Hunger. Er bestellt Khao Pad Gai für sie, Reis mit Huhn. Als sie aufgegessen hat, fragt er:

Und, wie geht’s jetzt weiter?

Ich dachte, das weißt du, sagt sie.

Wenn’s nach mir geht, fahren wir jetzt los. Es wird ein längerer Trip.

Da muss ich vorher aber noch mal wohin, sagt sie. Sie geht im Einkaufszentrum auf die Toilette, macht sich noch mal frisch. Lange schaut sie sich im Spiegel an. Da machst du schon wieder so etwas Verrücktes, sagt sie dem Gesicht im Spiegel.

Mach’s trotzdem!, antwortet das Gesicht.

Er hat inzwischen einen zweiten Helm aus dem Roller hervorgeholt. Ihre vergrößerte Handtasche kommt in die Box.

Wo geht es eigentlich hin?

Nong Khai, dachte ich.

Phoo fällt fast vom Motorbike. Weißt du, wie weit das ist?

Zweihundertfünfzig Kilometer ungefähr.

Und da fahren wir einfach so hin?

Da fahren wir einfach so hin.

(Fortsetzung in Ausgabe FA23/2022)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.