ALLE LIEBEN MR JOHN

Fortsetzungsroman von Wolfgang Rill – Teil 13

(Fortsetzung von FA19/2022)

Weit entfernt am anderen Ende des großen Feldes steht in der Pause die Oppositionsgruppe und zerreißt sich das Maul. Windelweich, diese Anuthida, giftet Khun Sen, die Lehrerin für Singen und Tanzen. Die lässt sich einfach so überfahren und den ganzen Schultag durcheinanderbringen. Und Pim, der zweite Englischlehrer, pflichtet ihr bei. Man müsste sowas an höherer Stelle melden, sagt er. Khun Phi, die Schulsekretärin, steht auch dabei. Eigentlich steht sie auf der Seite der Direktorin. Sie hält sich aber mit dem Urteilen zurück. Zwei Lehrerinnen der Unterstufe kommen dazu. Bei mir war nicht mal die Hälfte da, da habe ich die anderen auch raus aufs Feld geschickt, sagt die eine.

Am Anfang der fünften Stunde naht der Höhepunkt. Alle anwesenden Schüler werden auf die Wiese des Fußballfeldes beordert. Sie sitzen im großen Kreis um den Sportlehrer herum, der ein Megaphon braucht, um sich verständlich zu machen. Saaphaa heißt die Volleyballspielerin, das wissen alle. Khun Nes gibt Anweisungen. Handys raus!, ruft er. Die Schüler tun das, was sonst eigentlich verboten ist. Sie zücken auf dem Schulgelände ihre Handys. Nes gibt die Nummer bekannt, die einzutippen ist. Jetzt auf SMS drücken. Alle drücken, es sind an die dreihundert Schüler anwesend. Nun ihren Namen tippen: Saaphaa. Und nun etwas Nettes, etwas Freundliches dazu schreiben. Ich gratuliere Dir! Ich bin so glücklich über Euren Sieg! Meine ganze Familie war außer sich! Ich freue mich riesig! Am Schluss, so ruft Sen, die Musiklehrerin, soll jeder seinen Vornamen eingeben, damit Saaphaa auch gleich lesen kann, wer ihr gratuliert. Tip, tip, tip, es ist still auf dem Fußballplatz. Nach fünf Minuten hat jeder seine SMS fertig.

One, two, three!, kommandiert Nes auf Englisch, um der Sache ein internationales Gepräge zu geben. Bei three tippen alle auf.

Senden!

Wie die Elektronik der Telefonfirmen mit diesem Nachrichtengewitter zurechtkommt, bei dem Hunderte SMS binnen weniger Sekunden an die gleiche Telefonnummer geschickt werden, darüber macht sich hier keiner Gedanken. Es wird schon klappen.

Danach leppert das Fest aus. Frau Anuthida hat bekannt gegeben, dass die normalen Klassen heute nach Hause gehen dürfen. Nur Klassen, die sich auf eine Abschlussprüfung oder eine Zwischenprüfung vorbereiten, müssen die restlichen Stunden noch besuchen. Tin, Bla und Namtip wollen sich gar nicht trennen. Sie sitzen noch lange mit anderen auf der Wiese und helfen dann emsig beim Wegräumen der Plastikbecher und beim Abbau des Grills.

Um vier Uhr Nachmittag liegt der Platz wieder sauber und wie unberührt da. Ein sonniger, nicht zu heißer Schultag ist vergangen, einer der Tage, wegen denen die Schüler manchmal doch ganz gerne in die Schule gehen.

* * *

Um den Schock ihrer Reise nach Khon Kaen erst einmal zu verdauen, hat Phoo für eine Woche die »Englischstunden« unterbrochen. Aber am Montag danach ruft sie wieder an. Ihre verzweifelte Lage zu Hause hat sich nicht gebessert. May I come tomorrow? Natürlich kann sie kommen. Und schon am Telefon verrät Mr John: Perhaps I have a surprise for you!

Um sechs Uhr nachmittags sitzt sie wieder auf ihrem Schemelchen im ersten Stock und duftet. Über den Reinfall in Khon Kaen wird nicht mehr gesprochen. Zuerst zeigt Phoo ein paar Profile in DIA, an die sie selbst geschrieben hat. Es sind drei Männer, alle haben zurückgeschrieben. Einer hat nur mit Hallo geantwortet, einer hat sich zu zwei Sätzchen durchgerungen, ein Dritter hat unverschämterweise geschrieben: Sorry – too many contacts already. Wie kann man einer solchen Schönheit wie Phoo nur so etwas Ablehnendes schreiben?, wundert sich John.

Dann zeigt Phoo die neuen Anfragen, die von außen in den letzten Tagen reingekommen sind. Es sind sieben. Die meisten beschränken sich auf ein anfängliches Hi oder Hallo. Nur einer schreibt immerhin: My name is Jean. Je suis Francais. I like your picture very much. Are you really so beautiful? Please write me back. Keiner der sieben überzeugt Mr John und Phoo ebenfalls nicht.

Dann rückt John die Tastatur zu sich rüber, dreht aber den Bildschirm etwas mehr zu Phoo, verschwörerischer Blick, dann tippt er ein anderes Konto ein, das Isaantulip heißt. Tulips, also Tulpen, wachsen nicht in Thailand. Das Klima ist nicht danach. Deswegen haben viele Thais für diese Blumen eine besondere Schwäche, falls sie sie überhaupt kennen. Sie geraten direkt in Begeisterung, wenn sie im Ausland oder in einem Gewächshaus mal ein Tulpenbeet sehen. Wenn man will, enthält der Name Isaantulip auch eine Botschaft: Die Trägerin dieses Namens passt so wenig zur Region des Isaan wie eine schöne gelbe Tulpe. Sie kann nur woanders wachsen und blühen.

Phoo findet unter Isaantulip ihr eigenes Foto wieder. Sie sieht frisch gewaschen und natürlicher aus als auf ihrem stark geschminkten, mit Weichzeichner geschönten Foto in ihrem eigenen Profil. Auch der Text ist etwas anders geraten, als sie selbst es geschrieben hätte. Mr John hat es heimlich entworfen und in das Programm gesetzt. Sie findet über sich Sätze wie:

Mir geht es beschissen.

Ich brauche Geld wie jede, aber ich bin nicht käuflich.

Ich will nicht zum Bargirl verkommen. Ich will lernen.

Ich bestehe aus mehr als Gesicht und Körper.

Über den Mann, den sie sucht, liest sie:

Hast du nicht nur Humor, sondern auch genug Grips für Humor?

Kann man dich auf Dauer aushalten?

Merkst du frühzeitig, wenn du ins Meckern kommst?

Bist du langweilig und öde, oder steckst du voller Ideen?

Bist du zärtlich?

Suchst du eine Partnerin oder ein Betthäschen? (Ich kann beides und will auch beides.)

Hast du wenigstens halb so viel Geld für mich übrig, wie dich eine deutsche Frau kosten würde?

(Fortsetzung in Ausgabe FA21/2022)

Über den Autor

Wolfgang Rill wurde in Fulda geboren. Heute lebt er zeitweise wieder dort, vorwiegend aber in Thailand. Seit dreißig Jahren schreibt er Geschichten und veranstaltet Schreibrunden für Interessierte. Seine Bücher sind bei Amazon unter „Wolfgang Rill“ bestellbar oder beim Autor erhältlich. „Alle lieben Mr. John“ ist sein siebter Roman.

Kontakt: wrill@t-online.de

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