Alitalia, Arcelor und die Schulden

Probleme über Probleme in Italien

Foto: epa/Telenews
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ROM (dpa) - Wird's nun endlich was mit Alitalia? Wieder läuft eine Frist für die Rettung der angeschlagenen Traditionslinie ab. Aber das ist nicht die einzige Sorge, die die Regierung in Rom plagt.

Man kommt mit dem Zählen kaum noch mit. Sieben Mal hat die italienische Regierung schon die Frist verlängert, um einen neuen Besitzer für die seit zweieinhalb Jahren insolvente Fluggesellschaft Alitalia zu finden. Am Donnerstag (21.11.) ist es wieder so weit. Bis dahin müssen potenzielle Investoren ein verbindliches Angebot auf den Tisch legen. Ob es anders läuft als zuletzt am 15. Oktober und mehr herauskommt als unverbindliche Absichtserklärungen, ist unwahrscheinlich.

Es geht um fast 11.000 Arbeitsplätze und um ein nationales Symbol. Mit Überbrückungskrediten hat Rom die Alitalia seit der Insolvenz im Mai 2017 am Leben gehalten. Die mit 117 Flugzeugen und weniger als 20 Millionen Passagieren im Jahr eher kleine Airline macht netto jeden Tag rund eine Million Euro Verlust. Nun sollen die italienischen Staatsbahnen (FS), der von der Benetton-Familie kontrollierte Infrastrukturkonzern Atlantia und die US-Fluggesellschaft Delta Air Lines einsteigen. Weiterer Partner würde das Finanzministerium.

Delta, die das nötige Know-how zum Betrieb einer Fluggesellschaft mitbringt, würde sich, so weit bekannt, nur mit zehn Prozent am Kapital der neuen Alitalia in Höhe von einer Milliarde Euro beteiligen. FS und Atlantia, die mit je 37,5 Prozent dabei wären, hatten vergeblich auf einen höheren Anteil der Amerikaner gedrängt.

Viel war in den vergangenen Wochen über einen Einstieg der Lufthansa spekuliert worden. Lufthansa-Chef Carsten Spohr hatte aber zuletzt bekräftigt, dass Europas größte Airline nur in eine restrukturierte Alitalia investieren würde. Auch hatte er öffentlich bezweifelt, dass die Deadline eingehalten werden könnte. Am Dienstagabend meldete auch Atlantia Vorbehalte an und schrieb, dass die Bedingungen für den - weiterhin beabsichtigten - Einstieg noch nicht gegeben seien.

Ob das Modell mit Delta, Staatsbahnen und Atlantia überhaupt trägt, bezweifeln Branchenexperten. «Für den Erfolg der Alitalia ist es essenziell, dass sie einen kommerziellen Partner findet. Wir glauben, diese Rolle für Alitalia spielen zu können. Deswegen habe ich wenig Verständnis, dass es wichtiger zu sein scheint, wer die letzten zehn Prozent investiert als die Frage, wer der richtige kommerzielle Partner ist», sagte Lufthansa-Vorstandschef Carsten Spohr der dpa.

«Wir werden alles tun, was möglich ist, um sicherzustellen, dass die nationale Fluggesellschaft wieder mit ausgebreiteten Flügeln fliegen kann», hatte Italiens Ministerpräsident Giuseppe Conte im Oktober getönt. Derzeit ist Alitalia aber nicht das einzige Großunternehmen, das dem Regierungschef Kopfschmerzen machen dürfte. Ähnlich viele Arbeitsplätze stehen in Europas größtem Stahlwerk in Tarent in Apulien auf dem Spiel. Anfang November teilte der weltgrößte Stahlkonzern ArcelorMittal mit, aus dem Übernahmevertrag für das Stahlunternehmen Ilva auszusteigen. Conte reagierte empört und leitete rechtliche Schritte ein.

Der Weltkonzern hatte mit den Italienern im Oktober 2018 vereinbart, das verlustreiche Stahlwerk zunächst zu mieten, dann zu kaufen und einschließlich Kaufpreis 4,2 Milliarden Euro zu investieren. Grund für den Sinneswandel ist laut ArcelorMittal eine Entscheidung des italienischen Senats, die Immunität aufzuheben, die die Betreiber des Stahlwerks bei Verstößen gegen Umweltbestimmungen eigentlich genießen sollten. Hinzu komme ein Gerichtsentscheid, nach dem einer der Hochöfen schon bis zum 13. Dezember geschlossen werden müsste. ArcelorMittal sieht sich nun berechtigt, von einer Ausstiegsklausel im Vertrag Gebrauch zu machen. Die Regierung widerspricht.

Nach Einschätzung des Magazins «L'Espresso» sendete die italienische Politik ein verheerendes Signal in Sachen Rechtssicherheit im Lande, als sie die Konditionen für ArcelorMittal kurzfristig änderte. «Ein groteskes Spektakel, wie einstudiert, um die großen internationalen Investoren zu überzeugen, einen weiten Bogen um Italien zu machen», schrieb das Blatt. Im Fall Alitalia wiederum, so «L'Espresso», habe die Regierung niemals bewiesen, einen wirklichen Zukunftsplan zu haben. «Das einzige Konzept der Politik scheint dasjenige der Wahlen zu sein: Arbeitsplätze zu schützen, um keine Stimmen zu verlieren.»

Das Stahlwerk Ilva liegt im Mezzogiorno, dem strukturschwachen Süden Italiens. Das Gleiche gilt für eine Waschmaschinenfabrik des US-Konzerns Whirlpool in Neapel, die jetzt aus Kostengründen geschlossen werden soll. Im reichen Norden wiederum, wo vorige Woche Venedig in den Fluten versank, erschüttern die Pannen beim Bau einer geplanten Hochwasserschutzwand das Vertrauen der Italiener in die technische Leistungsfähigkeit ihres Landes.

Die drittgrößte Volkswirtschaft der Eurozone ist mit rund 135 Prozent des Bruttoinlandsprodukt verschuldet, erlaubt sind nur 60 Prozent. Selbst wenn Rom seine Haushaltszusagen gegenüber der EU-Kommission einhalten sollte, droht wegen Alitalia nach Einschätzung des Luftfahrtexperten Andrea Giuricin Ärger mit Brüssel. Die Airline erhielt bisher Überbrückungskredite von 900 Millionen Euro, für das kommende Jahr hat die Regierung 400 Millionen vorgemerkt. Da Alitalia die Kredite kaum tilgen kann, würden daraus unerlaubte staatliche Subventionen. «Wir wissen, die Kommission steht noch nicht, aber sie wird reagieren müssen», sagt Giuricin.

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