Alarmstufe Ferrari-rot

Vettel/Leclerc zum Rapport nach Maranello

Die beiden Ferraripiloten Sebastian Vettel (r) und Charles Leclerc fahren nebeneinander her. Foto: Photo4/Lapresse/Lapresse via ZUMA Press/dpa
Die beiden Ferraripiloten Sebastian Vettel (r) und Charles Leclerc fahren nebeneinander her. Foto: Photo4/Lapresse/Lapresse via ZUMA Press/dpa

Wie soll das weitergehen? Ferrari will die beiden Zoffrivalen Vettel und Leclerc erst nach der Rückkehr nach Maranello zum Rapport bestellen. Bei der angesetzten Medienrunde fehlen beide, nur der Teamchef spricht.

São Paulo (dpa) – Wo Sebastian Vettel und Charles Leclerc Platz nehmen sollten, standen nicht mal zwei der roten Hocker im Motorhome von Ferrari. In Abwesenheit der beiden zerstrittenen Ferrari-Stallrivalen redete bei der angesetzten Medienrunde nur einer, und der versuchte nach dem größtmöglichen Unfall-Desaster eines jeden Formel-1-Teams zu retten, was nach außen noch zu retten ist. «Es geht nicht darum, jemanden zu bestrafen oder jemanden zuerst dafür verantwortlich zu machen», meinte Teamchef Mattia Binotto.

So nüchtern sah es die Presse in der Ferrari-Heimat bei weitem nicht. «Es gibt Siege, die die süßesten Träume übertreffen, und es gibt Niederlagen, die über die düstersten Alpträume hinausgehen», schrieb der «Corriere dello Sport».

Binotto blieb aber nach außen ruhig, redete wie sonst auch. Sachlich, mehr Ingenieur als Teamchef, der heutzutage noch mehr Teammanager sein muss. Eigentlich. «Es geht nicht darum etwas zu managen, es geht darum, zu erkennen, was die Fehler waren», befand Binotto allerdings. Er will erstmal Videos und Daten auswerten. Ein auch öffentliches Machtwort schien nach einem lange schon schwelenden und nun eskalierten Zoff zwischen den beiden Piloten aber nicht unangebracht. Die Frage: Wie wollen Vettel und Leclerc im nächsten Jahr miteinander umgehen?

Dass es zwischen dem viermaligen Weltmeister aus Heppenheim, der mit 32 Jahren auch im fünften Jahr beim Titelversuch mit der Scuderia gescheitert ist, und dem zehn Jahre jüngeren Neuzugang aus der Ferrari-Talentschmiede, der mehr Pole Positionen und mehr Siege als Vettel in diesem Jahr schaffte, irgendwann krachen würde, war irgendwie absehbar. «Hinter dem Zusammenstoß Ferraris in Brasilien stecken eine wachsende Spannung zwischen dem vierfachen Weltmeister und dem Kleinen Prinzen, so viele kleine Präzedenzfälle und eine Rivalität, die dem Cavallino ernste Führungsprobleme schafft», betonte die «La Gazzetta dello Sport».

Ferrari hatte bei der Verpflichtung Leclercs vor gut über einem Jahr deutlich gemacht, dass der Monegasse einer für die Zukunft ist. Sein Vertrag gilt bis Ende 2022, der von Vettel nur noch bis Ende 2020. Vettels Wohlfühl-Kumpel Kimi Räikkönen hatte das Cockpit räumen müssen und wurde zu Ferrari-Partner Alfa Romeo geschickt.

Im 90. Jahr von Ferrari sollte mit Vettel und Leclerc die Sehnsucht nach dem ersten Titel seit Räikkönens Triumph 2007 in Brasilien gestillt werden. «Als Team tragen wir die Hoffnungen, Erwartungen und den Stolz einer ganzen Nation und von Millionen Fans in aller Welt. Wir akzeptieren diese Verantwortung», hatte Ferrari-Präsident Louis Camilleri bei der Vorstellung des Wagens gesagt.

Stattdessen räumten Lewis Hamilton und Mercedes wieder die Titel ab. Bei Ferrari herrschte neben einigen starken Momenten Zoff in Monza, Singapur und Sotschi - und auch an noch anderer Stelle, wenn sich einer mal wieder nicht richtig behandelt gefühlt hatte.

Diesmal eskalierte die Situation aber. Vettel wütete beim Großen Preis von Brasilien auf englisch und deutsch, ein Schimpfwort wurde von dem Formel-1-Etikettenhüter überpiept. Nicht minder zornig reagierte Leclerc im ersten Moment, als sein rechtes Vorderrad nach einer Berührung der beiden Autos in der 66. Runde fast abgerissen worden war. Vettel konnte wegen eines Reifenschadens hinten links nicht weiterfahren. «Es ixt blöd für das Team, mit zwei Autos nicht die Zielflagge zu sehen», meinte Vettel danach vor den TV-Kameras.

Dass den Wutausbrüchen am Steuer die kontrollierteren, zum Teil erklärend-entschuldigenden Aussagen folgten, hatte einen Grund. Binotto hatte ihnen vorher noch mit auf den Weg gegeben, «dass das einzige, was ich von ihnen vor den Mikrofonen gern hören würde, ist, dass es ihnen leidtut fürs Team». So blieb ein verbales Nachtreten nach dem verhängnisvollen Foul fünf Runden vor Schluss aus. Vorerst.

Auch weil die sonst übliche Medienrunde einfach abgeändert wurde. In roten Buchstaben wurden auf dem ausgehängten Zeitplan für das Rennwochenende Vettel, Leclerc und Binotto angekündigt. Aus gegebenem Anlass änderte die Scuderia im Fahrerlager des Autódromo José Carlos Pace kurzerhand das Programm.

Binotto musste den Alleinunterhalter machen und wurde immer wieder mit Fragen nach dem Teamzoff konfrontiert. Der 50-Jährige versuchte, sich und die Herangehensweise des Teams zu erklären. Ein Beispiel an Mercedes, wo einst Toto Wolff mit seinem damaligen Pilotenpaar Hamilton/Nico Rosberg einen Verhaltenskatalog nach dem eskalierten Giftduell erstellte, will sich Binotto nicht nehmen. «Ich weiß nicht, was Toto gemacht hat, ich will es nicht beurteilen und es interessiert mich auch nicht.»

Ob er, wie ein italienischer Reporter erzählte, es wie einst angeblich Enzo Ferrari machen und die beiden Streitherren einfach lange allein vor seinem Büro warten lassen will, sagte Binotto auch nicht. Was er aber auch macht, es muss funktionieren, nicht nur bis zum Finale in knapp zwei Wochen in Abu Dhabi. Sonst herrscht noch lange Alarmstufe Ferrari-rot.

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