Was Merkel und Löw verbindet

Akute Abstiegsgefahr

Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und Joachim Löw, Bundestrainer der deutschen Fußballnationalmannschaft (r.). Foto: epa/Rainer Jensen
Bundeskanzlerin Angela Merkel (l.) und Joachim Löw, Bundestrainer der deutschen Fußballnationalmannschaft (r.). Foto: epa/Rainer Jensen

BERLIN/SOTSCHI (dpa) - Sie sind fast gleich lang im Amt, schätzen sich und essen gern mal Cordon bleu zusammen. Kanzlerin und Bundestrainer erleben gerade, wie schnell es einen aus der Bahn werfen kann. Da läuft es in der Politik nicht anders als im Fußball. Es sind wahre Schicksalstage für Beide.

Es sind besonders schöne Stunden im Leben einer Kanzlerin. Sie sitzt am 13. Juli 2014 auf der Terrasse des deutschen Generalkonsuls in Rio de Janeiro, der Blick schweift über den großen Pool auf den Zuckerhut. Angela Merkel gilt als mächtigste Frau der Welt. Wenig später geht es per Konvoi ins Maracanã. Durch Mario Götzes 1:0 wird Deutschland gegen Argentinien Weltmeister.

Merkel jubelt frenetisch, dann schaut sie mit Bundespräsident Joachim Gauck in der Kabine vorbei. Es entsteht ein fast ikonisches Bild mit der Mannschaft und dem Weltpokal sowie ein Selfie mit Lukas Podolski.

Merkel ist da auf dem Zenit, 2013 hatte die Union dank der Kanzlerin nur knapp die absolute Mehrheit verpasst. Ganz oben ist auch Joachim Löw. Er wird später zum Welttrainer des Jahres gekürt. Die Kanzlerin regiert seit 2005, Löw ist seit 2006 Nationaltrainer. Ihre ruhige, nüchterne Art prägt ihr Bild nach außen. Es birgt eine gewisse Ironie, dass beide nun gleichzeitig in die vielleicht schwersten Krisen ihrer Amtszeit schlittern. Aber bei beiden gab es zuvor auch durchaus Signale.

Irgendwie wird ja der Fußball gerne als Spiegelbild für den Zustand eines Landes herangezogen, 2006 war es das Sommermärchen, das für ein neues fröhliches, weltoffenes Deutschlandgefühl stand. Jetzt passt die Vorrundenniederlage gegen Mexiko zur latent schlechten Stimmung. Die in rassistischen Attacken gegen Mesut Özil und Ilkay Gündogan gipfelt, deren Verdienste um den deutschen Fußball nicht mehr zählen, seit dem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan.

Das letzte WM-Gastgeberland Brasilien hadert bis heute mit dem 1:7 im Halbfinale gegen Deutschland, danach ging es steil bergab. 2015 kommt Merkel schon wieder nach Brasilien, Mitte August, finden dort die ersten deutsch-brasilianischen Regierungskonsultationen statt.

Die Stimmung ist gut, in den abendlichen Gesprächen an der Hotelbar spielt ein Thema da kaum eine Rolle, das zwei Wochen später alles verändern wird: Merkel wird am ersten September-Wochenende grünes Licht geben, dass Zehntausende in Ungarn festsitzende Flüchtlinge über Österreich nach Deutschland einreisen können. Und es wird wieder Selfies geben - dieses Mal die Kanzlerin mit Flüchtlingen in Berlin.

Horst Seehofer ist am Wochenende der folgenschweren Entscheidung nicht erreichbar. Er vergleicht Merkels Entscheidung später mit dem Stöpsel, der aus der Badewanne gezogen wurde. Auch den Merkel-Selfies wird eine Sogwirkung zugesprochen. Da die CSU und Seehofer nie ihren Frieden mit der Flüchtlingspolitik gemacht haben, kommt es jetzt - im Sommer 2018 - zum Endspiel. Ab Juli will Seehofer bereits woanders registrierte Flüchtlinge an der deutschen Grenze abweisen lassen.

Merkel müsste ihn bei einem solchen Alleingang entlassen, das wäre das Ende der Koalition und wohl auch ihrer Kanzlerschaft. Es wirkt so, als wollten einige um jeden Preis Merkels Sturz.

Die Eskalation kam überraschend, war aber absehbar, so wie nun wegen der ersten Auftaktniederlage bei einer Fußball-WM seit 1982 auch bei Löw viel in Frage gestellt wird. Aber er blieb wie Merkel für Kritiker etwas stur, er setzt vor allem auf den Kern der Helden von Rio. Geht die Russland-Mission schief, dürfte es auch für Löw sehr ungemütlich werden, trotz Vertrags bis 2022. Es dürfte wieder gefragt werden, warum er zum Beispiel Leroy Sané nicht mitgenommen hat.

Sowohl für Merkel als auch für Löw stehen die Uhren auf fünf vor zwölf. Bei einer Niederlage gegen Schweden könnte am Samstag schon Schluss sein für die DFB-Elf. Es wäre ein historisches Ereignis: Noch nie ist die Nationalmannschaft bei einer WM bereits in der Vorrunde ausgeschieden. Löw gibt sich optimistisch: «Wir werden es schaffen», verspricht er. Die Worte erinnern an Merkels berühmte Worte von 2015, als sich Hunderttausende Flüchtlinge nach Deutschland aufmachten. Die Kanzlerin reagierte bestimmt und selbstsicher: «Wir schaffen das.»

Auch wenn man es auf dem ersten Blick kaum vermuten mag, Merkel und Löw ähneln sich in einigen Bereichen. Beide lassen sich ungern reinreden. Beide haben einen Zirkel enger Vertrauter um sich herum aufgebaut. Privates halten sie privat. «Es gibt Widerstände in einem Turnier, das weiß man. Die muss man annehmen», sagt Löw. Ein Satz, der auch von Merkel kommen könnte. Gibt es einen Präsidenten wie Donald Trump oder Wladimir Putin, muss man das halt annehmen.

Radikale Lösungen schließt der Bundestrainer auch in Zeiten größter Not aus. «Einen Plan über den Haufen schmeißen, das machen wir schon gar nicht. (...) An unserer Linie halten wir fest.» So ist meist auch Merkels Linie, gerade auch in der Flüchtlingspolitik.

Löw besucht Merkel ab und an im Kanzleramt - dort kennt man schon seine Vorlieben. «Ich habe der Kanzlerin mal nebenbei gesagt, dass ich gerne Cordon bleu mag - mit Pommes oder Bratkartoffeln», sagte er kürzlich in einem Interview. «Seitdem gibt es immer Cordon bleu mit Bratkartoffeln, wenn wir im Kanzleramt sind. Und der Koch macht das wirklich überragend.»

Merkel ist nicht nur von Amts wegen Fußballfan. Als sie am Tag des Mexiko-Spiels wegen des dramatischen Asylstreits mit der CSU eine Krisensitzung der CDU-Spitze einberief, musste zuerst das Spiel geschaut werden. Immer wieder stattet sie der Mannschaft Besuche ab und schaut sogar - da kennt sie keine Berührungsängste - in der Kabine vorbei. Berühmt wurde eine umstrittene Aufnahme des Bundespresseamtes, die Merkel mit dem nur mit einem Handtuch bekleideten Özil zeigt. Wie ihre Vorgänger Helmut Kohl und Gerhard Schröder versucht sie von dem Glanz der Kicker zu profitieren.

Zuletzt besuchte Merkel Anfang Juni die Mannschaft im Trainingslager in Südtirol. «Sie hat uns natürlich viel Glück gewünscht und uns einiges mit auf den Weg gegeben», berichtete danach Nationalspieler Sami Khedira. Damals hätte sich wohl kaum jemand vorstellen können, was kommt. Politik wie Fußball sind unberechenbar. Merkel erlebte erst einen ungemütlichen G7-Gipfel, dann kam Horst Seehofer. Und Löw wurde gegen Mexiko von Hirving Lozanos Flachschuss kalt erwischt.

Man will ja nichts verschreien. Aber die letzte deutsche Niederlage zum WM-Auftakt (die Nationalelf kam damals aber noch bis ins Finale) und der letzte Koalitionsbruch in Deutschland geschahen im selben Jahr: 1982.

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Jürgen Franke 22.06.18 20:33
Das Leben in einer Demokratie scheint
offensichtlich gar nicht so einfach zu sein, wo die Menschen, mit ihrer Meinung und ihren Stimmen zu den entsprechenden Parteien das politische Leben bestimmen können. Offensichtlich sehnen sich die Menschen wieder nach einem Führer, der die Richtlinien der Politik und die des Lebens bestimmt.
aurel aurelis 22.06.18 16:23
Voll daneben
Die Vergleiche hinken. Beim Fußball geht es um die überzogene Entwicklung eines Geschäftszweiges. Den mit Sport hat es nur noch wenig zu tun. Amts- und Altersstarrsinn von Merkel gefährden das ganze Land und Europa. Es sollte eine Grenze bei 2 Amtsperioden für alle Funktionäre gesetzt werden. Mesut Özil und Ilkay Gündogan sind bei Gott keine Opfer von Rassismus. Durch ihre Werbung für einen marodierenden Diktator haben sie sich selbst disqualifiziert. Fußballer arbeiten meistens für Geld! Sie sind zudem ein schlechtes Beispiel für die Jungtürken in Deutschland, sagte z.B. auch Ministerin Giffey (SPD).