Präsident hebt Ausnahmezustand auf

​Ägypten als «Oase der Sicherheit» 

Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz. Foto: epa/Costas Baltas/pool
Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi spricht während einer gemeinsamen Pressekonferenz. Foto: epa/Costas Baltas/pool

KAIRO: Im Ausnahmezustand konnte Ägyptens Regierung seit 2017 weite Teile des öffentlichen Lebens kontrollieren. Diesen will Präsident Al-Sisi jetzt überraschend nicht mehr verlängern. Kehrt das autoritär regierte Land damit zur verfassungsrechtlichen Normalität zurück?

Ein landesweit geltender Notstand mit besonders großen Befugnissen für Behörden, Sicherheitskräfte und den Präsidenten - in Ägypten ist das seit Jahren Normalität. In diesem Ausnahmezustand sind Überwachung, Zensur, willkürliche Festnahmen und monatelange Haft ohne Anklage übliche Mittel geworden in dem, was die Regierung als Kampf gegen «Terroristen» bezeichnet. Jetzt hat Präsident Abdel Fattah al-Sisi diesen Ausnahmezustand überraschend aufgehoben.

Ägypten sei eine «Oase der Sicherheit und Stabilität in der Region» geworden, teilte Al-Sisi am Montagabend mit. Fast konnte man seine Worte als Seitenhieb gegen den südlichen Nachbarn Sudan lesen: 1500 Kilometer südlich von Kairo brannten in Khartum nach einem Militärputsch die Barrikaden, der höchste Militärvertreter verhängte dort den Ausnahmezustand. Ägypten hat nach Worten Al-Sisis jetzt aber «harte Arbeit» hinter sich und soll offenbar wieder ein Stück mehr im verfassungsrechtlichen und polizeilichen Alltag ankommen.

Al-Sisi hatte den Ausnahmezustand am 10. April 2017 verhängt, einen Tag nach den Anschlägen auf zwei christlich-koptische Kirchen in den Städten Tanta und Alexandria mit mehr als 40 Toten. 17 Mal wurde der Notstand seitdem verlängert, jeweils für weitere drei Monate. Zu den Anschlägen bekannte sich die Terrormiliz Islamischer Staat (IS), deren Ableger das Militär im Sinai bis heute nicht in den Griff bekommen hat. Dort und in anderen Landesteilen gab es in vergangenen Jahren mehrere teils schwere Terroranschläge.

Mit dem Dauer-Notstand wuchs die Macht von Sicherheitskräften, Behörden, Gerichten für Staatssicherheit (SSC) und nicht zuletzt vom Präsidenten selbst. Dieser kann im Notstand die Bewegung und Versammlungen der Bevölkerung einschränken, er kann laut Gesetz alle Formen von «Korrespondenz» überwachen sowie die Presse und alle Formen der freien Meinungsäußerung zensieren. Er kann Strafverfahren und sogar Ordnungswidrigkeiten an SSC verweisen, deren Urteile sind nicht anfechtbar. Nicht nur Menschenrechtler schlugen Alarm.

Der Notstand ist keine Erfindung Al-Sisis, der 2013 nach einem Militärputsch an die Macht kam. Ein mehr oder weniger dauerhafter Ausnahmezustand oder Kriegsrecht galten in Ägypten seit Zeiten des britischen Protektorats (1914) und unter Langzeitpräsident Husni Mubarak rund drei Jahrzehnte. Aktivisten, Kommunisten, Homosexuelle und vor allem Islamisten seien damit verfolgt worden, schreibt Sadiq Reza von der Harvard Law School. Mubaraks Begründung lautete (ähnlich wie heute), die Verlängerungen seien notwendig zur «Bekämpfung von Terrorismus» und dem «Schutz der Demokratie und Stabilität».

Die Reaktionen auf Al-Sisis Schritt sind gemischt. Gesetzespassagen zu Festnahmen und Durchsuchungen ohne ordentliches Verfahren seien schon in andere Gesetze verschoben worden, meint etwa der Kairoer Anwalt Nassir Amin. Diese Regeln seien also weiter in Kraft - auch ohne Notstand. Wenn die Regierung es ernst meine, müsse sie die im Notstand Festgenommenen freilassen, urteilt die die Organisation DAWN, die der Journalist Jamal Khashoggi vor seiner Ermordung gegründet hatte. Der Schritt sei aber «lang überfällig» und «willkommen».

«Gute Nachrichten», schreibt auch Hossam Bahgat, Gründer der Menschenrechtsorganisation EIPR. Die Staatssicherheitsgerichte würden damit abgeschafft. Prominente Fälle wie die des Studenten Patrick Zaki sowie des Aktivisten und Bloggers Alaa Abdel Fattah, deren Verfahren schon dorthin verwiesen wurden, sollten aber noch an diesen umstrittenen Gerichten verhandelt werden.

Am Spielraum Al-Sisis, der auch ohne Notstandsgesetz mächtig bleibt, dürfte sich wenig ändern. Sein politisches Fortleben hatte er schon bei einer Verfassungsänderung 2014 abgesichert, die ihm noch mehr Machtbefugnisse einräumte. Mit dabei: eine mögliche Verlängerung seiner Amtszeit bis zum Jahr 2030.

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