Liebesroman «Heimkehr nach Fukushima»

Adolf Muschg. Foto: Wikimedia/Klaus Baum
Adolf Muschg. Foto: Wikimedia/Klaus Baum

BERLIN (dpa) - Mit Adalbert Stifter nach Japan. Adolf Muschg erzählt vor dem Hintergrund der Atomkatastrophe von Fukushima eine Liebesgeschichte, die nicht ohne Kopfgeburten auskommt.

Es zieht die Männer magisch nach Fernost, immer auf der Suche nach Erleuchtung: Im letzten Herbst schickte Marion Poschmann ihren angeknacksten Protagonisten in «Die Kieferninseln» auf eine Reise nach Japan. Ein ähnlicher Fall scheint der Held von Adolf Muschgs neuem Roman «Heimkehr nach Fukushima» zu sein.

Der 62-jährige Schriftsteller Paul Neuhaus lebt in einem schicken Architektenhaus am Kaiserstuhl mit Blick auf die Vogesen. Dank einer Erbschaft hat er keine finanziellen Sorgen und kann sich ganz auf seine Leidenschaft, die Lektüre der Werke von Adalbert Stifter (1805-1868) konzentrieren. Vor mehr als 30 Jahren hat er selbst den Roman «Hier und Jetzt» geschrieben, von dessen sagenhaftem Ruhm er immer noch zehrt. Seine langjährige Beziehung zu der Architektin Suzanne hängt indes irgendwie in der Luft.

Als Paul die Einladung eines befreundeten japanischen Ehepaars erhält, macht er sich auf den Weg in ein Dorf, das ganz in der Nähe des havarierten Reaktors von Fukushima liegt. Auf Initiative des örtlichen Bürgermeisters soll Paul an der Gründung einer Künstlerkolonie mitwirken, die neues Leben und Hoffnung in das verstrahlte Gebiet bringen soll.

Der 1934 in Zürich geborene Romancier Adolf Muschg, lange Jahre auch Literaturprofessor und Präsident der Akademie der Künste Berlin, hat sich diese Geschichte eines Aufbruchs ins Ungewisse ausgedacht und sehr viel Wissen reingepackt. Muschg kennt sich gut in Japan aus, ist zudem psychoanalytisch und literaturgeschichtlich bestens geschult, und entfaltet mit diesem Rüstzeug ein Drama von Liebe und Begehren in 18 kompakten Kapiteln. Durchsetzt ist sein Text mit Auszügen aus Stifters später Erzählung «Die Nachkommenschaften».

Schon bald nach seiner Ankunft verliebt sich Neuhaus in seine Gastgeberin Mitsu. Die mit einem schwerkranken Manga-Zeichner verheiratete Frau führt den Europäer als Reiseführerin und Verführerin in die «verstörte Landschaft» in der Nähe des Unfallreaktors. Dort besuchen sie, bewaffnet mit Geigerzähler und in Schutzanzügen, das verlassene, von Wildschweinen beschmutzte «Okura»-Haus. Hier hat Mitsu in ihrer Jugend gelebt, wir erfahren eine leidvolle Familiengeschichte zwischen Missbrauch und Schweigen. Aber jetzt scheint Mitsu von ihrem europäischen Gast entflammt zu sein - es kommt zur akrobatischen Sexeinlage über verstrahlter Erde. Bitte nicht hinlegen! Es geht um Mitsus Nachkommenschaft.

Weil Muschg seinen kleinen Roman völlig überladen hat, gerät der doppelt und dreifach codierte Text immer wieder in Schieflage. Dabei sind die Schilderungen aus der verstrahlten Zone am eindringlichsten geraten: Bilder aus einer postapokalyptischen Welt, die in Japan Realität ist. In einer halb verlassenen Stadt hängen lauter Puppen und simulieren ein Leben, das verschwunden ist. Am Ozean zoomt der Erzähler sich hinweg von seinen Figuren, die sich noch einmal vereinigen dürfen. Sex on the Beach, und dann kommt da ein Zaungast, und die nackte Mitsu verscheucht ihn, weil sie sich als Geist eines Tsunami-Opfers ausgibt. Das kann man auch geschmacklos finden.

Nach ein paar Tagen mit Mitsu am Kraterrand der Katastrophe ist Neuhaus fix und fertig. Die Frau kehrt zu ihrem kranken Mann zurück, der überwältigte Mann hat die Vision eines ominösen Spielmanns und fasst einen Beschluss: Er will japanisch lernen. Für die Nachkommenschaft.

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