Acht Jahre nach Fukushima

Ein Biobauer kämpft für seine Heimat

Foto: epa/Kimimasa Mayama
Foto: epa/Kimimasa Mayama

FUKUSHIMA (dpa) - Acht Jahre ist es her, dass ein Erdbeben und ein Tsunami das Atomkraftwerk in Fukushima zerstörten. Örtliche Bauern beteuern, dass ihre Produkte heute sicher sind. Doch noch immer leiden sie unter Stigmatisierung. Ein Biobauer aus Fukushima sieht nur einen Weg.

Seiju Sugeno lässt den Blick über seine Reisfelder schweifen, die an diesem kalten Februarmorgen von einer dünnen Schneeschicht bedeckt sind. «Letztes Jahr haben hier erstmals seit dem Atomunfall wieder Kinder gespielt», erzählt der Biobauer und lächelt. «Lange Zeit konnten sich die Kleinen draußen nur mit Schutzmasken bewegen». Acht Jahre sind vergangen, seit am 11. März 2011 ein starkes Erdbeben und ein gewaltiger Tsunami im Kernkraftwerk Fukushima einen Super-Gau auslösten - und das Leben von Familien wie die von Sugeno, die seit unzähligen Generationen in dieser einstigen Kornkammer Japans beheimatet sind, für immer verändern sollte.

Fukushima ist 50 Kilometer von Sugenos Heimatort Nihonmatsu entfernt. Seit der Katastrophe kämpft der Biobauer für den Erhalt seiner seit Tausenden von Jahren vom Reisanbau geprägten Heimat - und um seine Existenz. Seit jenem Schicksalstag 2011 pflügt er jahrein jahraus unentwegt seine Äcker, auch wenn er anfangs seinen Reis kaum los wurde. Früh hat er gelernt, dass das ständige Pflügen hilft, die Strahlenwerte im Boden zu senken. Er streute Siedesteine, die Strahlen absorbieren sollen, und misst seit Beginn der Katastrophe unablässig die Werte.

Statt sich auf die Regierung zu verlassen, kooperierte der Bauer frühzeitig eng mit Forschern der Universität Niigata, studierte komplizierte Meßtabellen, fertigte selbst Strahlenkarten an, organisierte Messinstrumente. Heute könne er versichern, dass Reis und Gemüse, das auf den Markt komme, frei von Strahlung sei, sagt der 60-Jährige.

Dennoch machen auch nach acht Jahren viele Verbraucher weiter einen Bogen um Lebensmittel aus Fukushima. «Die Leute trauen dem Staat nicht mehr», berichtet Sugeno. Zählte Reis aus Fukushima einst zu den beliebtesten Sorten, gehe 60 Prozent der Ernte heute nur noch an Gewerbekunden wie Restaurants - zu deutlich ermäßigten Preisen. «Wenn Verbraucher erst einmal den Reis aus anderen Regionen kaufen, ist es schwer, sie wieder zurückzugewinnen», schildert der Landwirt. Die Regierung fördere jetzt zudem mit Subventionen den Anbau von Reis als Futter für Nutztiere. Nur so könne sich mancher Bauer noch am Leben halten.

Während der Vater von vier Kindern mit seiner Mutter, seiner Frau und seiner ältesten Tochter weiter Reis anbaut und Gemüse züchtet, führt 50 Kilometer entfernt der Atombetreiber Tepco Journalisten durch die Atomruine und erklärt, die Strahlung sei stark gesenkt worden. «Wir sehen deutliche Fortschritte», sagt Sprecher Kenji Abe. Auch das Problem mit Millionen Litern belasteten Wassers sei unter Kontrolle.

In einigen Gebieten hat der Staat die Sperrzonen wieder aufgehoben und drängt die ehemaligen Bewohner nach umfangreichen Dekontaminierungsarbeiten zur Rückkehr. Doch viele weigern sich, dem zu folgen, andere haben woanders längst ein neues Leben begonnen. Die Leute hätten die Werbung der Regierung für Fukushima als Propaganda durchschaut, sagt Bauer Sugeno. «Man hat immer nur den Wiederaufbau betont, nicht aber die täglichen Bemühungen von uns Bauern kommuniziert». Immer mehr Bauern haben aufgegeben. Sie haben keine Kraft mehr oder sind zu alt. «Viele baten mich, ihre Felder weiter zu bestellen», sagt Sugeno, der trotz aller Widrigkeiten weiterkämpft.

Ihm gelingt es inzwischen, neue Kundschaft zu gewinnen. Entscheidend dafür sei, mit den Kunden zu kommunizieren und aufzuklären. «Wenn wir Bauern korrekte Informationen direkt an die Menschen herausgeben, dann verstehen das auch die Verbraucher», so Sugeno. Zu diesem Zweck hat er so wie auch einige andere Kollegen bei sich zu Hause eine Gästeunterkunft eingerichtet. Zu seinen Gästen zählten Studenten und Professoren - und in letzter Zeit auch Firmenmitarbeiter aus dem Großraum Tokio, die bei ihm nicht nur lernen, wie die Bauern ihre Felder bestellen und durch ständige Messungen die Sicherheit ihrer Ware prüfen. Die Gäste dürfen auch selber mitarbeiten. «Wir wollen, dass die Leute die Realität in Fukushima kennenlernen», so der Bauer.

Dazu gehört allerdings auch, dass in Orten nahe der Atomruine wie Nihonmatsu auch nach acht Jahren keine Bambussprossen und kein Berggemüse verkauft werden dürfen - beides wächst in den Bergen. «Die Verstrahlung auf den Bergen ist nach wie vor ernst. Die Berge kann man eben nicht bestellen», weiß Sugeno. Zwar gelange kaum noch radioaktives Cäsium mit dem Regenwasser von den Bergen in die Felder. Zudem habe man gelernt, dass weniger Cäsium aus dem Boden in die Pflanzen gelange, wenn diese mehr bestellt werden. Doch statt dass der Staat solche Informationen kommuniziere, würden Lügen verbreitet - zum Beispiel, dass die riesigen Mengen verstrahlten Wassers in der Atomruine unter Kontrolle seien.

«Der Staat soll lieber klar und deutlich sagen, dass man bedauere, so einen Unfall verursacht zu haben und dass die Menschen auch die nächsten 100 Jahre nicht zurückkehren können und Entschädigung erhalten», fordert Sugeno. Stattdessen dränge der Staat die Menschen zur Rückkehr. Ähnlich verhalte es sich mit den Olympischen Spielen 2020. Die Auftaktspiele des Olympia-Gastgebers Japan im Baseball und Softball sollen im kommenden Jahr in Fukushima stattfinden. Noch immer seien Zehntausende wegen der Strahlung auf der Flucht, so Sugeno. «Wenn die so viel Geld und Zeit für Olympische Spiele haben, dann sollte man viel lieber Maßnahmen für solche Menschen treffen».

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