Fünf Jahre nach der Tragödie bleiben Fragen

Fast 300 Menschen starben vor fünf Jahren beim Abschuss der malaysischen Passagiermaschine MH17. Damit geriet der Krieg in der Ostukraine international in den Fokus. Zwar halten Ermittler in den Niederlanden den Fall für geklärt. Doch es bleiben viele Fragen.

Kiew/Moskau (dpa) – Brennende Flugzeugtrümmer und tote Passagiere noch angeschnallt in ihren Sitzen – es sind tragische Bilder, die sich am 17. Juli 2014 in der Ostukraine bieten. In der Ortschaft Hrabowe kracht an dem Tag ein malaysisches Flugzeug mit 298 Menschen an Bord auf die Erde - abgeschossen über dem Kriegsgebiet Donbass. Soweit herrscht Einigkeit über die Katastrophe. Doch auch am fünften Jahrestag (Mittwoch) bleiben viele Fragen zur MH17-Tragödie offen.

Eine internationale Untersuchungskommission in den Niederlanden sieht erdrückende Beweise für eine Schuld der aus Russland unterstützten Separatisten. Vier Verdächtige, drei Russen und ein Ukrainer, benannten Ermittler im Juni. Sie sollen die Maschine mit einer Rakete russischer Bauart vom Luftabwehrsystem Buk abgefeuert haben. Gegen sie beginnt am 9. März 2020 der Prozess in den Niederlanden, weil das Land die meisten Opfer zu beklagen hat. Auch Menschen aus Malaysia, Australien, Indonesien, Deutschland und Belgien, von den Philipinen und aus Kanada und Neuseeland starben damals.

Die Toten des MH17-Fluges sind bis heute die größte einzelne Opfergruppe dieses blutigen Konflikts im Donbass, bei dem nach UN-Schätzungen rund 13 000 Menschen starben. Russland weist bis heute jede Verantwortung zurück. Eine Überstellung müssen die wegen 298-fachen Mordes Verdächtigten deshalb nicht befürchten. Erst auf dem G20-Gipfel in Japan Ende Juni sprach der niederländische Premierminister Mark Rutte mit Russlands Präsident Wladimir Putin wieder über den Fall. Die Familien der Opfer erhoffen sich Klarheit - und eine Entschuldigung Russlands.

Die russische Position sei klar, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow dagegen kurz vor dem Jahrestag. «Und sie basiert natürlich darauf, dass Ermittlungen ohne Beteiligung Russlands wohl kaum anerkannt werden können», sagte Peskow.

Wie gerufen kam Russland da auch die neuerliche Reaktion des malaysischen Premierministers Mahathir Mohammad auf die Ermittlungsergebnisse. Er deutete in Kuala Lumpur eine Verschwörung gegen Moskau an. «Das war von Anfang an eine politische Frage, wie man Russland eines Fehlverhaltens beschuldigen kann.» Es gebe bislang keine Beweise gegen das Land.

Russland hat immer wieder andere Versionen gestreut. Lange hieß es, ein Flugzeug könne die MH17 abgeschossen haben. Ein nach Russland geflüchteter ukrainischer Zeuge nannte sogar den Namen eines ukrainischen Piloten, der mit einem Kampfjet Suchoi Su-25 die Maschine abgeschossen haben soll. Der Pilot erschoss sich 2018. Zu den Verschwörungstheorien gehörte auch, der Mann habe angeblich das Flugzeug von Putin an dem Tag treffen wollen.

Einen Befreiungsschlag versuchte das russische Verteidigungsministerium auch mit einem angeblichen Nachweis, die von internationalen Ermittlern präsentierten Reste des aus Sowjetzeiten stammenden Raketenantriebs trügen eine ukrainische Kennnummer. Die Ukraine wies das zurück.

Beweise für diese russischen Versionen gibt es nicht. Im Westen gilt all das vielmehr als gezielte Desinformation – als Versuch Russlands, Zweifel zu säen, um die Arbeit von Ermittlern in Frage zu stellen und von den Vorwürfen gegen Moskau abzulenken.

Für Russland waren die Folgen des Abschusses verheerend. Der regionale Konflikt erhielt erstmals durch die vielen getöteten Ausländer erstmals eine internationale Dimension. Gab es nach Russlands Einverleibung der ukrainischen Schwarzmeer-Halbinsel Krim noch vergleichsweise milde Reaktionen, so folgten nach dem Abschuss der Boeing harte Sanktionen.

Für die Kommission in den Niederlanden ist der Fall klar: Die Maschine auf dem Weg von Amsterdam nach Kula Lumpur sei vom Separatistengebiet aus abgeschossen worden. Die Ermittler präsentierten auch Protokolle abgehörter Funkgespräche. Das private britische Enthüllungsteam Bellingcat recherchierte, dass das Buk-System von der 53. Brigade der russischen Luftabwehr von Kursk in den Donbass transportiert worden sei. Videos sollen das beweisen. Doch konnte das Buk-System nur aus Russland kommen?

Am Abend vor dem Abschuss der Boeing zeigte das ukrainische Militärfernsehen Verteidigungsminister Waleri Geletej bei der Inspektion einer einsatzbereiten Buk-Einheit - im Kriegsgebiet. Schon drei Wochen vor dem Abschuss der MH17 meldeten russische Staatsmedien, die Separatisten hätten einen Stützpunkt der ukrainischen Luftabwehr in Donezk besetzt und ein Buk-System erbeutet. Das Verteidigungsministerium in Kiew wies das zwar zurück. Am Tag nach dem Abschuss gestand der ukrainische Geheimdienst SBU aber ein, von einem Buk-System bei den Separatisten gewusst zu haben.

Erreichen können diese Raketen Luftziele in Höhe von 22 Kilometern. Komplett gesperrt wurde der Luftraum über dem Kriegsgebiet dennoch nicht. Schon in den Tagen vor der MH17-Tragödie hatten die Separatisten auch ohne Buk-System bei Kampfeinsätzen der ukrainischen Luftwaffe immer wieder Flugzeuge abgeschossen. Am 14. Juni starben beim Abschuss einer Militärmaschine vom Typ Iluschin IL-76 beim Landeanflug auf den Flughafen Luhansk sogar 49 Menschen.

Unklar ist bis heute, warum die Ukraine den Luftraum damals nicht komplett sperrte. Wollte das finanziell angeschlagene Land nicht auf die Einnahmen aus den Überflugrechten verzichten? Kremlchef Putin gab der Ukraine kurz nach der Tragödie die Schuld. Die Regierung dort habe es versäumt, über den Kriegsgebiet eine Flugverbotszone einzurichten. Heute fliegt dort kein Passagierflugzeug mehr.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.