Was hat Russlands Wirtschaft von der WM?

​Abgerechnet wird am Schluss

Ein spanischer Fan posiert vor dem WM-Schriftzug. Foto: epa/Ronald Wittek
Ein spanischer Fan posiert vor dem WM-Schriftzug. Foto: epa/Ronald Wittek

MOSKAU (dpa) - Neue Stadien, neue Flughäfen - Russland leistet sich die bislang teuerste Fußball-WM. Doch in der vertrackten Ökonomie solcher Großereignisse rechnet sich nicht alles. Gleich am Eröffnungstag muss die Bevölkerung eine bittere Pille schlucken.

Noch jeder Gastgeber einer Fußball-WM hat sich die wirtschaftlichen Folgen schöngerechnet, Russland mit dem bislang teuersten Turnier ist da keine Ausnahme. Mehr als zehn Milliarden Euro lässt sich die Führung um Präsident Wladimir Putin das größte Einzelsport-Event der Welt kosten. Russland leistet sich die Weltmeisterschaft als reiches und zugleich armes Land: Während die Russen fahnenschwenkend den 5:0-Auftaktsieg gegen Saudi-Arabien feierten, jubelte ihnen die Regierung eine höhere Mehrwertsteuer und ein höheres Rentenalter unter. Denn für die kommenden Jahre herrscht in der Staatskasse Ebbe.

In den gut vier Wochen, in denen der Ball rollt, soll auch der Rubel rollen. «Jetzt kommen die Leute hierher, und das bringt positive Effekte für bestimmte Branchen - Wohnungsvermieter, Taxis, die Hotel- und Restaurantbranche», sagte der Analyst Stanislaw Muraschow von der Raiffeisenbank der Zeitung «RBK». Die russische Eisenbahn, Fluglinien wie Aeroflot sowie Telekom-Anbieter können bis zum Finale am 15. Juli auf Zusatzeinnahmen hoffen.

Allein die Fußball-Touristen werden dem russischen Bruttoinlandsprodukt (BIP) dieses Jahr 121 Milliarden Rubel (1,64 Mrd. Euro) zusätzlich bescheren, schätzen die Organisatoren stolz. Der Wermutstropfen: Bezogen auf die Gesamtgröße sind das Stellen hinter dem Komma, vielleicht 0,2 Prozentpunkte mehr. Um das BIP wirklich zu beeinflussen, sei eine WM zu kurz, sagt Schlomo Weber, Rektor einer Moskauer Wirtschaftsuni.

Bedeutender, aber schwer abzuschätzen sind die Langzeitauswirkungen des Prestigeprojekts WM. Das Organisationskomitee ließ sich im April von der Beratungsfirma McKinsey berechnen, dass die WM-Vorbereitung 2013 bis 2018 die Wirtschaftsleistung um 867 Milliarden Rubel (11,7 Mrd. Euro nach derzeitigem Kurs) erhöht habe. Auch das macht über die Jahre nur einen Prozentpunkt des BIP aus. Aber die WM-Investitionen hätten wie ein großes Konjunkturprogramm Russland durch Jahre der Krise getragen, sagte Cheforganisator Arkadi Dworkowitsch damals.

Bis 2023 erwartet das Papier Zusatzeinnahmen zwischen 150 Milliarden bis 210 Milliarden Rubel im Jahr - weil mehr Touristen kommen und die neuen Flughäfen, Bahnhöfe, Straßen und Hotels die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit erhöhen. Moskaus größter Flughafen Scheremetjewo hat ein neues Terminal bekommen. An der neuen Autobahn zwischen Moskau und St. Petersburg, einem Langzeitbau, sind Anfang Juni weitere 200 Kilometer Mautstrecke eröffnet worden.

Die Ratingagentur Moody's sieht die Lage weniger enthusiastisch. «Wir erwarten keinen dauerhaft positiven Einfluss des Turniers auf die Wirtschaft», schrieben die Analysten. Der Effekt werde kleiner sein als nach den Olympischen Winterspielen 2014 in Sotschi. Damals sei eine unterentwickelte Region ausgebaut worden, «die aber einfacher erreichbar ist als viele Regionen, in den die WM ausgetragen wird». Im Klartext: Sotschi verdient seit 2014 mehr an Touristen, für Städte wie Rostow-am-Don, Wolgograd oder Samara wird das eher nicht gelten.

Dabei ist aus Sicht der Veranstalter wie der Fans die Verteilung auf elf Spielstädte wohl eine der Stärken dieser WM - soviel Begegnung mit Land und Leuten gab es in Russland noch nie. Nur werden hinterher viele leere teure Stadien in Städten ohne erst- oder zweitklassigen Fußballverein zurückbleiben. In der Zenit-Arena in St. Petersburg wird zwar immer Spitzenfußball gespielt werden. Doch der für 180 Millionen Euro geplante, korruptionsumwitterte Bau hat schließlich etwa eine Milliarde Euro gekostet - Putins Heimatstadt hat zur Fertigstellung Geld bei Kindergärten und Schulen sparen müssen.

Der abgelegene kleinste Spielort Saransk in Mordwinien sowie Kaliningrad im Westen haben nach den Berechnungen von Moody's am meisten von den Zuweisungen für bessere Infrastruktur profitiert. Andere Städte wie Rostow sitzen nach der WM auf hohen Schulden.

Wenn die Regierung den Wert der WM-Investitionen betone, bleibe immer die Frage, ob andere Ausgaben nicht nötiger gewesen wären oder sich besser gerechnet hätten, sagt der Analyst Muraschow. Er sieht das Turnier, von Putin am Eröffnungsabend als «großes Fußballfest» angekündigt, deshalb unter dem Strich als Verlustgeschäft. Aber, so gibt Uni-Rektor Weber zu bedenken, wenn ein Land solch eine WM ausrichte, «dann geht es nicht zuerst um wirtschaftliche Ziele».

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