80 Jahre NS-Angriff auf Sowjetunion

Putin kritisiert EU und Nato

Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt an einer Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten im Alexandrowski-Garten nahe der Kremlmauer in Moskau teil. Foto: epa/Alexej Nikolski/sputnik/kreml
Der russische Präsident Wladimir Putin nimmt an einer Kranzniederlegung am Grabmal des Unbekannten Soldaten im Alexandrowski-Garten nahe der Kremlmauer in Moskau teil. Foto: epa/Alexej Nikolski/sputnik/kreml

MOSKAU: Der 22. Juni 1941 markierte den Beginn eines grausamen Vernichtungsfeldzugs der Wehrmacht in der Sowjetunion. Russlands Präsident nutzt den Gedenktag für Kritik am Westen. Doch auch die Erinnerungskultur in seinem Land ist umstritten.

Mit Gedenkveranstaltungen haben Russland, die Ukraine, Belarus und andere Staaten an den Überfall Hitler-Deutschlands auf die Sowjetunion vor 80 Jahren erinnert. In Berlin besuchte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier am Dienstag das sowjetische Ehrenmal Schönholzer Heide und legte einen Kranz nieder. Der Angriff durch die Nazis am 22. Juni 1941 markierte für die Kommunisten den Beginn des Großen Vaterländischen Krieges.

Russlands Präsident Wladimir Putin legte in Moskau Blumen am Grabmal des unbekannten Soldaten an der Kremlmauer nieder. Der Platz war weiträumig abgesperrt und nur für ausgewählte Besucher zugänglich.

Auch der AfD-Spitzenkandidat und Fraktionsvize Tino Chrupalla, der in dieser Woche in der russischen Hauptstadt zu Besuch ist, brachte dort einen Kranz vorbei. «Es war mir persönlich wichtig, ein Zeichen der Versöhnung zu setzen», sagte der Politiker der Deutschen Presse-Agentur in Moskau. «Leider war ich der einzige Vertreter aus Deutschland, der hier einen Kranz abgelegt hat.

In der Ukraine gedachte Präsident Wolodymyr Selenskyj in der Hauptstadt Kiew der Opfer des Zweiten Weltkriegs und hielt eine Schweigeminute ab. In Belarus, das während des Krieges jeden dritten Einwohner verloren hatte, kamen Tausende Menschen noch im Morgengrauen zur Festung in Brest im Westen des Landes an der Grenze zu Polen. Zu Ehren gefallener Soldaten seien weiße Luftballons in den Himmel aufgestiegen, meldete die Staatsagentur Belta.

Russlands Präsident Putin sprach sich anlässlich des Jahrestags in einem deutschsprachigen Gastbeitrag für die Zeitung «Die Zeit» zudem für bessere Beziehungen mit Europa aus. Es gebe viele gemeinsame Interessen wie Sicherheit, strategische Stabilität, Klima- und Umweltprobleme, schrieb Putin in dem Text, den das Medium am Dienstag veröffentlichte. Gleichzeitig erhob das russische Staatsoberhaupt Vorwürfe gegen EU und Nato.

«Die Grundursache des zunehmenden gegenseitigen Misstrauens in Europa lag im Vorrücken des Militärbündnisses gen Osten», kritisierte Putin in dem Beitrag, der laut «Zeit» zuerst auf Russisch und dann auf Deutsch in der Redaktion eingetroffen war. Europa warf er vor, einen «bewaffneten verfassungswidrigen Staatsstreich» in der Ukraine unterstützt zu haben. Damals war der russlandfreundliche Präsident Viktor Janukowitsch von prowestlichen Kräften gestürzt worden.

Der Kremlchef erinnerte daran, dass mit dem Angriff der Nazis am 22. Juni 1941 für das sowjetische Volk der Große Vaterländische Krieg begonnen hatte - «der blutigste in der Geschichte unseres Landes». Er lobte «den Mut und die Standhaftigkeit der Helden der Roten Armee und der Arbeiter daheim», die nicht nur ihr Vaterland, sondern auch Europa und die ganze Welt vor Versklavung gerettet hätten.

Putin telefonierte zudem mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, wie der Kreml und das Bundespresseamt in Berlin mitteilten. Die CDU-Politikerin sprach außerdem mit Selenskyj, wie der ukrainische Präsident mitteilte. «Die Welt muss alles dafür tun, dass sich solche Tragödien niemals wieder wiederholen», mahnte er.

Der Historiker Matthias Uhl zeigte sich unterdessen besorgt angesichts des Umgangs mit dem Zweiten Weltkrieg in Russland. «Es wird auf eine strikte Gesetzgebung zurückgegriffen, die Lesarten vorschreiben möchte», sagte der Experte am Deutschen Historischen Institut (DHI) in Moskau. So ist es per Gesetz nun etwa verboten, die Diktaturen von Adolf Hitler und Josef Stalin zu vergleichen. Wer sich abfällig über frühere Angehörige der Roten Armee äußert, riskiert eine Strafverfolgung wegen Veteranenbeleidigung.

«Man sollte Argumentationen und Diskussionen viel mehr Raum geben», sagte Uhl der Deutschen Presse-Agentur. Es müsse erlaubt sein, Fragen zu stellen - auch mit Blick darauf, dass der Weltkrieg besonders für junge Generationen immer weiter weg sei.

Im Vordergrund stünden heute Sieg und Heldenverehrung, sagte der Historiker. «Es gibt den Versuch, den Mythos am Leben zu halten - und ein unbeflecktes Bild der Roten Armee zu zeigen und alles auszublenden, von dem man glaubt, dass es das Bild des Sieges trüben könnte.»

Die Sowjetunion hatte mit rund 27 Millionen Toten so viele Opfer zu beklagen wie kein anderes Land im Zweiten Weltkrieg. Der Überfall durch die Nazis markierte den Beginn eines beispiellosen Vernichtungsfeldzugs - darunter die Leningrader Blockade, mit der die NS-Führung und die Wehrmacht versuchten, die Bevölkerung der Stadt in den Hungertod zu treiben.

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