58 Tote und kaum Lehren

Ein Jahr nach dem Massaker von Las Vegas

Pfarrer der The Gathering Kirche beten in der Nähe des Mandalay Bay Hotels in Erinnerung an die Opfer der Massenerschießungen in Las Vegas. Foto: epa/Eugene Garcia
Pfarrer der The Gathering Kirche beten in der Nähe des Mandalay Bay Hotels in Erinnerung an die Opfer der Massenerschießungen in Las Vegas. Foto: epa/Eugene Garcia

LAS VEGAS (dpa) - Tausende Menschen feiern friedlich bei stimmungsvoller Country-Musik in Las Vegas. Als Schüsse fallen, denken viele an ein Feuerwerk. Doch ein Mann löscht mit minutenlangen Salven aus mehreren Waffen 58 Leben aus. Ein Jahr danach sind die Konsequenzen bescheiden.

Ohne beglichene Rechnungen wollte Stephen Paddock anscheinend weder töten noch sterben: Bevor er in Las Vegas seine minutiösen Planungen für ein Massaker in die Tat umsetzte, zahlte er all seine Spielschulden zurück. Der 64-Jährige tötete dann in kaum fassbarer Weise 58 Menschen und verwundete 851 weitere. Damit beging er am 1. Oktober 2017 den USA-weit folgenreichsten Massenmord seit den Terroranschlägen von New York und Washington im Jahr 2001.

Doch auch ein Jahr nach dem Ereignis, das Menschen weit über die USA hinaus schockiert zurückließ, hat die Politik nicht entschlossen darauf reagiert. In 40 der 50 Bundesstaaten wurden nicht einmal die von Paddock genutzten sogenannten Bump Stocks verboten, die den hohen Blutzoll erst ermöglichten - kleine Vorrichtungen, die eine halb-automatische Waffe praktisch zum Maschinengewehr machen und somit das Verbot vollautomatischer Schusswaffen umgehen.

Dank dieser frei im Internet erhältlichen Bauteile konnte Stephen Paddock zehn Minuten lang aus seinem Hotelzimmer feuern - ohne Pause. Mehr als 1.100 Kugeln verlassen in dieser Zeit die Läufe seiner Waffen, wie aus dem Abschlussbericht der Polizei fast ein Jahr später hervorgehen sollte. Aus 450 Metern Entfernung in die Menge gefeuert - wahllos. Ohne jeden Zweifel mit der vollen Absicht, größtmöglichen Schaden anzurichten, größtmögliches Leid zu säen. Eine Kugel hatte er für sich selbst reserviert.

Auf 187 Seiten schildern die Ermittler detailreich, was damals passiert ist. Wie Paddock tagelang Waffen und Munition in die beiden angemieteten, nebeneinander gelegenen Zimmer des Mandalay Bay Hotels geschleppt hat. Wie ein Hotelbediensteter Verdacht schöpfte und dann angeschossen wurde. Wie die Menschen, die gerade den Abschluss eines Musikfestivals feierten, nach den ersten Schüssen zuerst an ein Feuerwerk dachten.

Was auch die Untersuchungen der Detectives von der Las Vegas Metropolitan Police sowie des FBI nicht beantworten, ist die Frage: warum? Was hat den Mann getrieben, den die Polizei als Trinker bezeichnet und als notorischen Glücksspieler, der oft mit hohen Einsätzen beim Online-Poker am Bildschirm zockte? «Dieser Bericht ist leider nicht in der Lage, das Warum zu klären», heißt es in dem Papier. Es gibt keinen Abschiedsbrief, Paddock hatte kaum Freunde, er lebte zurückgezogen in einer Pensionärskolonie.

Der Mörder ist eine schillernde Figur. Sein Vater war ein berüchtigter Bankräuber und galt nach einem Gefängnisausbruch einst als einer der meistgesuchten Kriminellen der Vereinigten Staaten. Die Mutter zieht den Jungen groß, als Student arbeitet er bei der Post, später beim Finanzamt, danach als Buchhalter. Mit Immobilien scheffelt er ein Vermögen. Er macht den Pilotenschein, kauft sich ein Flugzeug. Er hat genug Geld, um Zehntausende Dollars in den Kasinos von Las Vegas und Reno aufs Spiel zu setzen, die Zimmer in den Kasino-Hotels bekommt er als Stammgast oft umsonst.

Die Ermittler tun sich schwer mit ihm: Paddock passt in kein übliches Täterprofil. Das eigentliche Motiv könnte für immer im Dunkeln bleiben. Das Muster, wie er sich Waffen und Munition besorgt hat, ist dagegen weitaus gewöhnlicher: ganz legal beim Waffenhändler.

Tote durch Schusswaffen gibt es in den USA täglich. In den Innenstädten der großen Städte sterben jeden Monat Hunderte Menschen durch Kugeln. Allein in Chicago wurden in diesem Jahr mehr als 430 tödliche Gewaltverbrechen gezählt. An einer High School in Parkland (Florida) erschoss ein junger Mann 17 Menschen.

Doch weder Las Vegas noch Parkland, mit einer weltweit beachteten Anti-Waffen-Kampagne der überlebenden Schüler im Schlepptau, haben die Einstellung zum Erwerb von Schusswaffen in großen Teilen der USA einschneidend verändert. Die Waffenlobby-Organisation NRA (National Rifle Association) nutzt ihre Lobbymacht, um Gesetzesvorhaben für straffere Regeln zu verhindern.

Im März 2018, Wochen nach den Schüssen von Parkland, twitterte Präsident Donald Trump unter dem Eindruck öffentlicher Empörung: «Wie versprochen, wird heute das Justizministerium mit einer verbindlichen Anhörungszeit eine Regelung herausgeben, um Bump Stocks zu verbieten.» Tatsächlich passiert ist bisher nichts.

Überzeugen Sie sich von unserem Online-Abo:
Die Druckausgabe als voll farbiges PDF-Magazin weltweit herunterladen, alle Artikel vollständig lesen, im Archiv stöbern und tagesaktuelle Nachrichten per E-Mail erhalten.

Leserkommentare

Vom 11. bis 21. April schließen wir über die Songkranfeiertage die Kommentarfunktion und wünschen allen Ihnen ein schönes Songkran-Festival.

Jürgen Franke 30.09.18 18:43
Herr S, wenn die Bildung der Amerikaner eine
andere wäre, hätten sie vermutlich nicht diesen Präsidenten gewählt. Das Recht Waffen zu besitzen steht in der USA Verfassung und wird von keinem Präsidenten angetastet. Diese Weltmacht hat seinerzeit ihre jungen Männer in einen Krieg geschickt, wo die meisten noch nicht einmal den Namen Vietnam kannten. Der Rest der Welt hat diese Lügen der US Regierung zu glauben, die die Medien täglich verbreiten.
Johann Riedlberger 30.09.18 15:50
Das Motiv
Wenn man sieht dass er sowohl einen Pilotenschein als auch Sprengstoff hatte, hätte er die Möglichkeit gehabt wesentlich mehr Menschen zu töten. Die Unmenge an Waffen, die er im Zimmer angehäuft hat, ist geradezu eine Überzeichnung eines Waffennarren. Vermutlich war er politisch links, da er sonst eher das Burning Man Festival als ein Coutrykonzert ausgesucht hätte. Alles deutet auf einen militanten Gegner des 2. Verfassungszusatzes.