May sucht in neuen Gesprächen einen Ausweg

HÄNGEPARTIE BREXIT

Foto: epa/Neil Hall
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LONDON/BRÜSSEL (dpa) - Im Streit über den britischen EU-Austritt beharren London und Brüssel auf ihren unvereinbaren Positionen. Aber immerhin: Der Gesprächsfaden reißt nicht ab.

Der völlig verfahrene Brexit-Streit wird immer mehr zur Nervenprobe. Großbritannien holte sich mit neuen Nachbesserungswünschen prompt eine Abfuhr bei der Europäischen Union. Nur zwei Monate vor dem Austrittsdatum ist damit immer noch kein Weg für eine gütliche Trennung in Sicht. Beide Seiten suchten zwar am Mittwoch das Gespräch und beteuerten, sie wollten keinen chaotischen Bruch am 29. März. Trotzdem treibt die EU ihre Vorbereitungen für genau diesen Fall voran.

Das britische Unterhaus hatte sich bei Abstimmungen am Dienstagabend nur auf zwei Positionen einigen können: Es soll keinen ungeregelten Austritt geben - was aber nicht mehr als eine Willensbekundung war. Und Premierministerin Theresa May soll in Brüssel abermals über die von der EU im Brexit-Deal verlangte Garantie einer offenen Grenze zwischen der britischen Provinz Nordirland und dem EU-Mitglied Irland verhandeln. May soll erreichen, diesen sogenannten Backstop zu streichen und zu ersetzen.

Die EU lehnt dies jedoch seit Wochen ab und bekräftigte diese Haltung unmittelbar nach dem Londoner Votum. Nachverhandlungen seien ausgeschlossen, insbesondere über die irische Frage, erklärte EU-Ratschef Donald Tusk über einen Sprecher: «Das Austrittsabkommen ist und bleibt der beste und der einzige Weg, einen geordneten Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union sicherzustellen. Der Backstop ist Teil des Austrittsabkommens, und das Austrittsabkommen ist nicht für Nachverhandlungen offen.»

Hinter diese Position stellten sich auch die Brexit-Fachleute des Europaparlaments, wie der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sagte. Es gebe «eine völlig einheitliche Auffassung aller demokratischen Fraktionen dieses Hauses», bei der Strategie der EU zu bleiben. Im übrigen sei in London immer noch keine einheitliche Position mit einer sicheren Mehrheit im Unterhaus erkennbar, meinte Brok.

Auch Bundesaußenminister Heiko Maas forderte Großbritannien zur Klärung seiner Position auf. Wie sich die britische Regierung Änderungen beim sogenannten Backstop vorstelle, habe sie bisher nicht gesagt, sagte der SPD-Politiker der Funke Mediengruppe (Donnerstag). «Sie muss nun zügig sagen, was sie will, denn die Zeit wird knapp. Wir sind bereit zu Gesprächen.» Beim Backstop stünden Deutschland und die gesamte Union fest an Irlands Seite.

May kündigte danach im Unterhaus an, sie wolle der EU unter anderem ein einseitiges Kündigungsrecht für die Backstop-Regelung vorschlagen. Allerdings war diese Option in den Austrittsverhandlungen bereits verworfen worden.

Die EU verlangt eine unbefristete Garantieklausel, damit eine feste Grenze mit Kontrollen zwischen Irland und Nordirland auf jeden Fall vermieden wird. Denn eine Teilung der Insel könnte neue Gewalt in der ehemaligen Bürgerkriegsregion heraufbeschwören. Eine offene Grenze ist im Karfreitagsabkommen von 1998 zugesagt. Großbritannien hat dies damals mitgetragen.

Der Backstop sieht vor, dass ganz Großbritannien in der Zollunion bleibt und in Nordirland einige Binnenmarktregeln gelten, bis eine andere Lösung für eine offene Grenze gefunden ist. Etliche britische Konservative und die nordirische DUP wollen dies nicht - ein Grund für die Ablehnung des EU-Austrittsvertrags im Londoner Parlament vor zwei Wochen. May will sich mit einer Änderung des Backstops doch noch eine Mehrheit sichern.

Bereits für Mittwoch beraumte die Regierungschefin Telefongespräche mit EU-Ratspräsident Donald Tusk und dem irischen Premierminister Leo Varadkar an. Zudem wollte sich May mit Oppositionschef Jeremy Corbyn von der Labour-Partei treffen, um den weiteren Brexit-Kurs zu klären. Corbyn hatte am Dienstag keine Mehrheit für den Antrag gefunden, gleich eine dauerhafte Zollunion Großbritanniens mit der EU anzustreben und damit den Backstop praktisch unnötig zu machen.

Auf der EU-Seite zeigen sich angesichts des Zeitdrucks vor dem Austrittsdatum 29. März und mangels Lösungsansätzen inzwischen Differenzen. So erklärte der CDU-Abgeordnete Brok den Schutz des EU-Binnenmarkts zur obersten Priorität, also auch Kontrollen von Waren, die künftig über Nordirland in die EU kommen könnten. Das widerspricht eigentlich dem Ziel, eine harte Grenze in Irland unter allen Umständen zu vermeiden.

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt drückte in Berlin seinen Unmut darüber aus, den britischen Wunsch nach Änderungen am Brexit-Vertrag brüsk abzuweisen. Er halte die schroffe Reaktion Brüssels für befremdlich, sagte er. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) warnte vor «erheblichen wirtschaftspolitischen Verwerfungen» im Fall eines Brexits ohne Vertrag.

Die EU hatte am Dienstagabend bekräftigt, dass sie den harten Bruch nicht wolle und begrüßt, dass sich auch das britische Parlament zu dem Ziel bekannt habe. Trotzdem brachte die EU-Kommission am Mittwoch weitere Vorbereitungsmaßnahmen auf den Weg.

Sie schlug vor, dass in Großbritannien angesammelte Rentenansprüche auch im Fall eines ungeregelten Brexits in den übrigen EU-Staaten angerechnet werden sollen. Auch für rund 14 000 Erasmus-Studenten in Großbritannien soll vorgesorgt werden: Sie sollen ihren Aufenthalt im Falle eines ungeregelten Brexits planmäßig abschließen können.

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